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Abschlussbericht vom 23. März 1939 nach der Verhaftung der ersten Landesleitung der KPÖ heißt, Pirker habe von Marburg den Auftrag erhalten, Verbindungen zu den revolutionären Sozialisten und auch zu katholischen Kreisen zwecks Schaffung einer Einheitsfront auf freigewerkschaftlicher Grundlage zu suchen.” Zudem erhielt Pirker Anfang Oktober 1938 aus Marburg einen Programmentwurf für eine Vereinte Arbeiterpartei der Steiermark, über den die Gestapo Graz durch einen Spitzel in der Leitung der KPÖ Steiermark informiert wurde. In ihrem Bericht an das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin vom 4. November 1938 heißt es dazu: Nach Mitteilung des V-Mannes ist dieser Entwurf vor etwa 4 Wochen von der Auslandskommission der kommunistischen Partei Österreichs in Marburg an den Pol. Leiter der kommunistischen Partei Österreichs des Kreises Graz, welcher uns bekannt ist, mit dem Auftrage übermittelt worden, denselben zu vervielfältigen und an die einzelnen Funktionäre und Zellenleiter zur Besprechung und Beratung weiterzugeben. Es ist beabsichtigt, in der nächsten Zeit eine Besprechung abzuhalten, an welcher je 3 Vertreter der kommunistischen Partei und der Revolutionären Sozialisten Steiermarks teilnehmen sollten.” Dazu dürfte es aber durch die Verhaftung Pirkers und der anderen nicht mehr gekommen sein. Monarchistische Netzwerke zwischen Graz, Marburg und Zagreb Das südlich von Marburg gelegene Slovenska Bistrica war für die Steirische Freiheitslegion, eine monarchistische Organisation in Graz um den Musiker und Maler Anselm Grand, die aus den Ostmärkischen Sturmscharen kommend sich als militärische Organisation begriff, 1938/39 jener Ort, von wo aus sie ein Netz von Widerstandszellen in die Steiermark hinein und nach Zagreb aufbaute.”” Während die Mitglieder dieser Organisation in der Steiermark ab Mai 1938 erste Kontakte zu Sozialisten und Kommunisten und monarchistisch gesinnten Offizieren knüpften, die im Falle eines Aufstands gegen die Nationalsozialisten tätig werden sollten, knüpften sie über den von Graz nach Slovenska Bistrica geflohenen Friedrich Hohl weitere Kontakte nach Zagreb. In Zagreb, wohin nach den ersten Verhaftungen Ende September 1938 immer mehr aus der Freiheitslegion geflohen waren, unterhielten sie ständigen Kontakt mit den Abwehroffizieren im französischen Konsulat und versuchten um Friedrich Hohl, der bald schon nach Zagreb übersiedelte, eine „Österreichische Legion“ aufzubauen. Aus diesem Grund überreichten sie dem damaligen jugoslawischen Kulturminister Anton Korogec auch ein Memorandum, das aber fruchtlos blieb, denn zur Errichtung dieser Legion ist es nicht gekommen. Nachdem Hohl aus Sicherheitsgriinden im Juni 1940 aus Zagreb wieder weg musste, tibernahm Dr. Wolfgang Mayer-Gutenau, der aus der Schweiz nach Zagreb iibersiedelt war, seine Stelle und versuchte von Zagreb aus den Widerstand in der Steiermark zu vernetzen. Sein Mitstreiter Franz Frank meinte dazu: Er war der Meinung, dass es noch viele in der Steiermark geben wiirde, die fiir einen Widerstand bereit waren, aber keine Ahnung von den bestehenden Gruppen hätten. Eine Flut von Schreiben ging nach Steiermark und Kärnten. Es gab keinen ehemaligen Freund oder Verwandten, den er nicht anschrieb und zu einer Aussprache nach Marburg einlud.? Diese Briefe sowie der darauf folgende Verrat einer Freundin, die als Konfidentin der Gestapo arbeitete, weswegen Mayer-Gutenau beim illegalen Grenzübertritt festgenommen und zwei in seiner Begleitung befindliche Priester erschossen wurden, führten letztlich dazu, dass das Netz dieser Widerstandsgruppe in der Steiermark zerstört und der Stützpunkt in Zagreb 1941 aufgegeben wurde. Zagreb — das Ende des kommunistischen Auslandsapparats Nachdem mit Kriegsbeginn die Situation für Angehörige aus dem Deutschen Reich in Paris prekär wurde, gingen mehrere führende Funktionäre der KPÖ nach Jugoslawien bzw. weiter nach Istanbul, von wo aus sie teilweise in die Sowjetunion fuhren. Einige Funktionäre des Auslandsapparates der KPÖ blieben in Jugoslawien bzw. pendelten zwischen verschiedenen Ländern am Balkan und der ehemaligen Tschechoslowakei, um von hier aus den Kontakt mit Österreich aufrecht zu erhalten.?' Um die wegen der Verhaftungswellen in Österreich im Jahr 1939 zusammengebrochenen Widerstands- und Parteistrukturen wieder aufzubauen sowie die Kontakte zwischen dem Auslandsapparat und dem Parteiuntergrund wieder herzustellen, trafen sich Ende des Jahres 1939 in Split leitende Auslandsfunktionäre der KPÖ. Bei diesem Treffen, an dem u. a. Erwin Puschmann, Willi Frank, Franz Honner und Julius Kornweitz teilnahmen, wurde der Beschluss gefasst, fortan wieder eine ständige Verbindung zwischen dem Ausland und den neu zu organisierenden Gruppen in Österreich einzurichten. Das Zentrum am Balkan, von wo aus Verbindungen mit Österreich hergestellt werden sollten, war Zagreb, wo Julius Kornweitz Leiter des Auslandsapparats war.” Um die Kontakte wieder herzustellen, sollten Kuriere aus der Tiirkei, die bislang den Nationalsozialisten politisch nicht bekannt waren, im Auftrag der Auslandsleitung der KPO nach Osterreich zuriickkehren. Diese Kuriere waren der Grazer Architekt Herbert Eichholzer, die Wiener Architektin Margarete Schiitte-Lihotzky sowie die chilenische Architektin Ines Viktoria Maier, die alle bei Clemens Holzmeister in Istanbul gearbeitet und dort eine KPO Zelle errichtet hatten, welche iiber Herbert Eichholzer auch Anlaufstelle für kommunistische Funktionäre war.” Die ersten, die fuhren, waren Herbert Eichholzer und Ines Viktoria Maier. Sie gingen im April 1940 über die Anlaufstelle in Zagreb getrennt nach Österreich. In Zagreb trafen sie sich mit Puschmann, Kornweitz und Frank, wobei die konkreten Arbeitsaufgaben für Eichholzer und Maier in Österreich besprochen wurden. Demnach sollte in Graz die kommunistische Organisation ermittelt oder aufgebaut und danach die Verbindung zwischen dieser Organisation und dem Auslandsapparat in Zagreb hergestellt werden. Zudem gedachte man in der Nähe von Klagenfurt eine Unterkunft für einen Auslandsfunktionär zu schaffen. In Wien wollten man die unterschiedlichen Gruppen zu einer einheitlichen Organisation zusammenfassen.’ Im Dezember folgte Margarete Schütte-Lihotzky, wobei auch sie sich in Zagreb mit Julius Kornweitz traf. In ihren Erinnerungen schreibt sie, dass sie „sofort in die Wohnung von Herrn Ohler“* ging: Ohler war Osterreicher, Besitzer des Grazer Warenhauses Kastner und Ohler, das in Zagreb eine Filiale hatte, Jude, nach Zagreb emigriert, von wo aus er in die Türkei flüchten wollte, wenn die Deutschen in Jugoslawien einfielen. [...] Ich hatte Ohler schon ein Jahr zuvor durch „Flurl“ [d. i. Herbert Feuerlöscher] in Istanbul kennen gelernt. Er war kein Kommunist, unterstützte aber den Widerstandskampf 1-2/2010 47