Das Flüchtlingshilfswerk
a) Die Anfänge
Gleich zu Beginn [...] der Einsetzung der Flucht der Juden aus
Deutschland im April 1933 schuf die soziale Abteilung des BJRG
in allen Gemeinden örtliche Aufnahms- und Hilfskomitees, um
den spontan gebildeten Komitees ein festeres Gefüge zu geben.
Zugleich wurden umfangreiche Geldsammlungen eingeleitet.
Von dem Unheil, das über das deutsche Judentum hereinbrach,
betroffen, wandte die gesamte jugoslawische Öffentlichkeit zu Be¬
ginn und lange Zeit danach den Flüchtlingen ihre volle Sympathie
und Mitgefühl zu; es könnten in diesem Zusammenhange gerade¬
zu führende Beispiele von spontanen Kundgebungen eines sittlich
hochstehenden Mitgefühls angeführt werden, und es ist kenn¬
zeichnend, dass es sich bei dem einfachen Volke, der Bauernschaft
insbesondere, mit einer liebevollen Selbstverständlichkeit äußerte.
Aber auch der Staat versagte damals und noch lange nachher den
Flüchtlingen das Asyl niemals; sie konnten sich vielmehr wie Gäste
im Lande fühlen.
Die erste Welle von einigen Hundert Flüchtlingen kam nach der
Stadt Zagreb, die vom Beginn der Immigration an, zufolge ihrer
geographischen Lage, die hauptsächliche und jahrelang die einzige
Einbruchsstelle des Flüchtlingsstromes bildete.
Die jüdische Religionsgemeinde in Zagreb inaugurierte am 21.
Mai 1933 ihre Aktion mit einem gut organisierten Volksmeeting.
In den ersten 14 Tagen brachte diese Aktion einen ansehnlichen
Betrag von Din 572.000 (Din 56 = 1 $) an freiwilligen Spenden
ein und stellte überdies Monatsverpflichtungen von weiteren Din
208.000 bis Ende 1933 sicher. Im Schoße der Religionsgemeinde
wurde einem wohldurchdachten und gut organisierten „Hilfsko¬
mitee für jüdische Flüchtlinge“ (künftighin „Hilfskomitee“) die
Basis geschaffen, welches vom BJRG in Beograd mit weit gehender
Autonomie versehen, fast zehn volle Jahre Trager des Fliichtlings¬
hilfswerks in Jugoslawien war. In engster Verbundenheit mit der
regulären Arbeit der Religionsgemeinde, unter der Aufsicht eines
aus dem Gemeindevorstande gewählten Ausschusses (Präsident
Dr. Max Pacherhof, Vizepräsident Otto Heinrich; Mitglieder:
Gemeindepräsident Dr. Marko Horn, Lavoslav Steiner [gestor¬
ben im Konzentrationslager], Dr. Dragutin Rosenberg, Dr. Ziga
Neumann, Dr. Nikola Tolnauer, Dr. Hugo Kon, Dr. Lavoslav Sik
[gestorben im KZ], Dr. Joel Rosenberger, Oberrabbiner Dr. Gavro
Schwar, I. Sekretär Alexander Klein, II. Sekretär Josef Abraham,
Kassierin Zlata Goldschmidt), versah das Hilfskomitee seine weit
verzweigte und vielfältige Arbeit und entfaltete seine segensrei¬
che Tätigkeit zugleich als Landesvertreter der HICEM (Hias-Ica¬
Emigdirect) und des JOINT (American Jewish Joint Distribution
Committee) mit voller Unterstützung nicht nur der Gesamtjuden¬
heit Jugoslawiens, sondern auch sämtlicher jüdischer Institutionen
und Vereine; hiebei ist besonders die überaus rege Mitwirkung der
Chewra Kadischa in Zagreb (Präsident Theodor Griinfeld, gestor¬
ben im KZ) hervorzuheben.
Bis zum Jahre 1937 wohlwollend und tolerant, griffen die
Staatsbehörden praktisch in die Regelung der Flüchtlingsproble¬
me kaum ein. Aufenthaltsbewilligungen erhielten die Flüchtlinge
ohne weiteres; im späteren Verlaufe der Zeit wurden Bewilligun¬
gen zur Schaffung von Flüchtlingsstätten erteilt. Die Sorge um
den Unterhalt der Flüchtlinge war ausschließlich der jüdischen
Privatinitiative überlassen; sie war es, die für das Materielle aufzu¬
kommen, aber auch die Organisierung, die Kontrolle, die Pflege
der gesellschaftlichen Beziehung der Flüchtlinge zueinander und
zur einheimischen Judenheit, die Kulturarbeit und alle anderen
Funktionen zu versehen und den Behörden gegenüber die mo¬
ralische Verantwortung für das Wohlverhalten der Flüchtlinge zu
tragen hatte.
Mit Ausnahme einer Spende von 50 Betten von Seiten des Ju¬
goslawischen Roten Kreuzes für eines der Flüchtlingslager hat das
Hilfskomitee von nichtjüdischer Seite keinerlei Beiträge erhalten.
Im Laufe des Jahres 1933 war das Hilfskomitee in Zagreb
hauptsächlich damit beschäftigt, den Zufluss von Flüchtlingen
in geregelte Bahnen zu lenken. Es dirigierte sie größtenteils in
verschiedene Ortschaften im Landesinneren, wobei die unter¬
stützungsbedürftigen Kinderlosen zum Teil in Provinzortschaften
untergebracht wurden, während Familien mit Kindern, denen der
Schulbesuch ermöglicht wurde, in Zagreb verblieben; Flüchtlinge,
die sich selbst erhalten konnten, blieben zumeist in Zagreb. Die
in Zagreb Verbliebenen wohnten in vom Hilfskomitee gemieteten
möblierten Zimmern privat, wurden aber in Gasthäusern oder in
Volksküchen gegen vom Hilfskomitee verabfolgte Bons, die dieses
einlöste, ohne Entgelt von Seiten der Flüchtlinge verköstigt.
Überdies hat das Hilfskomitee allen jenen zur Transmigration
verholfen, die es vorzogen, nach anderen Ländern, hauptsächlich
nach Italien, Bulgarien, der Türkei, nach Griechenland weiterzu¬
reisen. Mittellosen wurde hiebei die Reise bezahlt.
Die schulpflichtigen Kinder wurden ohne größere Schwierigkei¬
ten in die öffentlichen Schulen aufgenommen; in Zagreb besuch¬
ten sie die Jüdische Volksschule bzw. den Jüdischen Kindergarten
(Gan hajeladim).
Zur Erlernung der Landessprache wurden für Schüler aller Ka¬
tegorien Sonderkurse eingeführt. Die Mittel- und Hochschüler
konnten ohne weiteres inskribiert werden, soweit sie natürlich die
hiefür geltenden allgemeinen Bedingungen erfüllten. Der vor¬
züglich ausgestattete Turn- und Sportverein „Makabi“ (Präsident
Julius König) nahm die verfolgten Brüder mit offenen Armen auf
und auch die übrigen Vereine wetteiferten in ihrem Bestreben, den
Flüchtlingen als willkommenen Teilnehmern die Vereinsheime zu
öffnen und sie auch zur aktiven Mitwirkung heranzuziehen [...]
Der Gesundheitsdienst organisierte sich gewissermaßen von
selbst: Es bedurfte eines einzigen Appells von Seiten des Hilfsko¬
mitees, damit sich sämtliche jüdische Ärzte in Zagreb, deren rund
70, zur unentgeltlichen ärztlichen Behandlung der Flüchtlinge zur
Verfügung stellten; das Gleiche war auch in der Provinz der Fall.
Die beeideten jüdischen Dolmetscher gewährten ihre Überset¬
zungsdienste ohne Entgelt, ebenso die jüdischen Rechtsanwälte
und Juristen, die den Flüchtlingen als Berater und Vertreter vor
den Gerichten und den Behörden zur Seite standen.
Die jüdische Zentralstelle für soziale produktive Hilfe (Präsi¬
dent Dr. Nikola Tolnauer) richtete Umschulungskurse ein, die,
fachmännisch geleitet, die Flüchtlinge in verschiedenen Gewerbe¬
zweigen ausbildete. Auf einem aus den Mitteln der jugoslawischen
Judenheit gepachteten, rund 70 Hektar umfassenden Gute wurde
durch die jugoslawische Hachscharah-Kommission (Obmann Dr.
Joel Rosenberger), die dem Zionistischen Landesverband (Präsi¬
dent Dr. Alexander Licht) unterstand, [...] unter fachmännischer