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f) Die Donautransporte Eine Tatsache, die an Bedeutung und Zahl den bisherigen Zustrom auf dem Landwege bei Weitem übertraf, kam im Jahre 1939 neu hinzu. Zum ersten Male fuhren Flüchtlinge, aus der Slowakei und Österreich, auf Donauschiffen zum Schwarzen Meer, als Ziel Erez Jisrael. Kaum waren diese Flüchtlingstransporte im ersten jugoslawischen Donauhafen von Bezdan eingetroffen, setzte die Fürsorge für diese Flüchtlinge ein und begleitete sie rastlos den ganzen Weg entlang. Es sollten dies für Jugoslawien bloß Durchgangstransporte bedeuten; 6800 Flüchtlingen war es gelungen, das Schwarze Meer zu erreichen. Durch verbrecherische Schiffsunternehmungen, die nicht seetaugliche Schiffe bereitstellten, die den Stürmen im Schwarzen Meer nicht standhalten konnten, kamen leider einige Hundert Flüchtlinge um. Die weitaus überwiegende Mehrzahl erreichte jedoch ihr Ziel. Eine wesentliche Steigerung der Hilfsarbeit war erforderlich, um diese transitierenden Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln, Kleidungsstücken, Sanitätsmaterial, Zigaretten und Geld zu versorgen. Die überaus rege Tätigkeit des Beograder Hilfskomitees (Präsident Rechtsanwalt David A. Alkalaj, Sekretär der im Jahre 1941 von der Besatzungsmacht erschossene Generalsekretär des BJRG Simon Spitzer) erwies sich dieser besonders schweren Aufgabe, bei der es auch vielerlei Fragen mit den Behörden zu regeln galt, voll gewachsen. Zu dem „Fall Kladovo“ kam hinzu, dass [...] auch der Zustrom der Flüchtlinge zu Lande, die sich auf dauernden Aufenthalt einzurichten gezwungen waren, überaus hoch angewachsen war. Zu den Ländern der Judenverfolgungen kam, im Jahre 1940, auch noch Ungarn hinzu, von wo zumeist ausländische Juden nach Jugoslawien „abgeschoben“ wurden. Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, Anfang September 1939, wurde das Zagreber Hilfskomitee von Susak (bei Fiume) telefonisch verständigt, dass der Personendampfer „Galilaea“ mit 600 Flüchtlingen auf der Reise von Triest, als Haifa bereits in Sicht war, von den italienischen Behörden rückbeordert wurde und im Hafen von Susak Anker geworfen hat. Man erbat dringende Hilfe. Nur eine Stunde später waren die Vertreter des Zagreber Hilfskomitees (Richard Kohn, Alexander Klein) auf dem Wege nach SuSak. Spät in der Nacht wurde der Dampfer nach Fiume verlegt, wo ihn die Delegation betrat und den erschöpften, hungernden und entmutigten Flüchtlingen Nahrungsmittel verabreichte. Der Dampfer fuhr dann noch vor Morgengrauen nach Triest, von wo aus er nach einigen Tagen mit weiteren einigen Hunderten Personen doch den Weg nach Haifa nehmen und dort landen konnte. Diese erweiterten Aufgaben erforderten auch erhöhte Beitragsleistungen. [...] Immer noch strömten neue Flüchtlinge nach Jugoslawien; 15 Sammellager mit rund 3800 Insassen, die Sorge um die Gruppe in Sabac, von der oben die Rede war, sowie für die außerhalb der Lager untergebrachten Flüchtlinge drängte zu einer neuerlichen gründlichen Aussprache mit dem JOINT. [...] h) Der Zusammenbruch Es ist hier nicht der Platz, über das Schicksal der jüdischen Gemeinschaft in Jugoslawien, in das auch jenes der Flüchtlinge mit hineingerissen wurde, zu sprechen. Es mag in Bezug auf die Flüchtlinge noch erwähnt werden, dass Tausende von ihnen sich 58 _ ZWISCHENWELT im Augenblicke der Kriegskatastrophe, die über Jugoslawien hereinbrach, in Jugoslawien befanden. Das Flüchtlingslager Sabac wurde von der Luft aus bombardiert und löste sich ersten Tage des Kriegsausbruches auf; dasselbe geschah mit den übrigen Sammellagern (Ni$ka Banja, Banja Kur$umlija) in Serbien, als die deutschen Truppen immer tiefer ins Land eindrangen. Es verblieben die Flüchtlingslager auf kroatischem Gebiet. Obwohl gleich zu Beginn die Tätigkeit der Zagreber Jüdischen Gemeinde wesentlich eingeschränkt und unter Aufsicht gestellt wurde, konnten noch immer mit behördlicher Bewilligung diese Flüchtlingslager besucht und mit Geld versorgt werden, mit dem die Lager sich selbst verpflegten. Von einer organischen Verbindung und einer eigentlichen tieferen Fürsorge konnte jedoch nicht mehr die Rede sein. [...] Nach und nach wurden bald darauf die übrig gebliebenen Lager aufgelöst. Ein Teil der Insassen flüchtete, der andere Teil wurde deportiert. In der Mehrzahl gelang es den Flüchtlingen, nach Italien zu entkommen. Sie alle passierten Zagreb, wo sie von der jüdischen Gemeinde mit Geld versehen wurden. Nachdem das Sammellager Kr$ko im Mai 1941 fast geschlossen das von den Italienern besetzte Gebiet erreicht hatte, verblieben nur noch zwei Sammellager in Kroatien: jenes in Samobor, das bis Februar 1942 bestand, dann aber nach dem von den Italienern besetzten Gebiet Herzegowinas (Capljina) und späterhin nach Rab (Arbe) verlegt wurde, und jenes in Draganici, das erst Ende 1942 aufgelöst und die Mehrzahl seiner Insassen in kroatische Konzentrationslager deportiert wurde. |...] Schlussbetrachtung Bis auf wenige Überreste besteht kein Judentum in Jugoslawien mehr. Ein kümmerlicher Rest versinnbildlicht gewissermaßen die Torso-Gemeinde, die sich noch jüdische Gemeinde in Zagreb nennt und die mit Hilfe von auswärts mühselig die dahinsiechenden Reste dessen betreut, was einst eine angesehene Judenheit war. Zerstörte und niedergebrannte Synagogen, verwüstete oder der Verwüstung preisgegebene jüdische Friedhöfe sind die toten Spuren eines einst lebensstrotzenden Organismus. Daneben nur noch jene in den Konzentrationslagern, zumeist menschliche Wracks; daneben auch jene überaus Wenigen, die bisher verschont blieben. Nur die Hoffnung ist noch geblieben, dass eines Tages eine neue, wenn auch winzige jüdische Gemeinschaft aus den Ruinen sich wieder aufbauen wird lassen. Diejenigen aber, die, in alle Windrichtungen zerstoben, ihr Leben retten konnten, werden jener einstigen lebensstarken jüdischen Gemeinschaft gedenken, der es, selbst in den Zeiten eigener größter Bedrängnis, gegönnt war, ein Jahrzehnt hindurch ein historisch zu würdigendes Werk zu vollbringen: das Werk eines seelisch und sittlich hoch zu bewertenden Beistandes für Brüder und Schwestern, als diese an ihre Türen und an ihre Herzen pochten. Aleksandar Klein (später Aleksa Arnon, geb. 1898 in Sarajevo, gest. 1956 in Israel) lebte bis zu seiner Flucht 1942 in Zagreb. Er war der Erste Sekretär des 1933 gegründeten Ausschusses für Flüchtlingshilfe und Zentralsekretär der Zionistischen Organisation in Zagreb. Er gehörte der „Loge Zagreb 1090“ und der jüdischen Loge B’nai B’rith an. 1941, kurz nach dem deutschen Überfall auf Jugoslawien, wurde Aleksandar Klein gemeinsam mit anderen prominenten jüdischen Funktionären und seiner Frau Vera (geborene Berl) und seinen beiden Kindern, Boris (geboren 1931) und Tamar (geboren 1937), von der Gestapo verhaftet. Zur Einschüch