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neugierig gaffenden und schimpfenden Volksdeutschen, die am Straßenrand gleichsam ein Spalier für die endlosen Elendszüge der erniedrigten und gepeinigten serbischen Menschenmassen bildeten. Wir verstanden natürlich nicht die Hintergründe dieses makabren Spektakels, bis uns plötzlich der Vater entdeckte und uns ganz gegen unsere Schaulust nach Hause führte. Er zürnte uns und sagte prophetisch: „Jene, die jetzt am Strassenrand die Vertriebenen begaffen, werden bald das gleiche erleiden und vertrieben werden. Dann werden die Rollen umgekehrt verteilt sein.“ Wenn immer ich es mit vertriebenen Donauschwaben zu tun bekam, die ihr zweifellos auch sehr tragisches Schicksal beklagen, muss ich an diese Szenen denken. Schlecht und recht konnten wir noch einige Monate in Futog verbringen. Die Nächte waren schrecklich, weil der volksdeutsche Mob regelmässig versuchte, in unser Haus einzudringen und uns zu schlagen oder gar zu töten. So mussten täglich alle Fenster und Türen verbarrikadiert werden, um das Ärgste zu verhindern. Eine menschenwürdige Zukunft konnte uns das besetzte Jugoslawien natürlich nicht mehr bieten. Da die Möglichkeit der Emigration nach England oder Amerika nicht mehr gegeben war, versuchte Vater Missong, in Budapest eine neue Existenz als Journalist in einer katholischen deutschsprachigen Zeitung zu finden. Dort wurde er allerdings verhaftet und zusammen mit der gesamten Familie per Schub unter Polizeibewachung nach Deutschland ausgeliefert. Diese Reise von Budapest nach Wien und der Abschied von meinem Vater am Ostbahnhof in Wien, wo er von der Gestapo abermals in Haft genommen wurde, werde ich nie vergessen. Bevor ihn die Nazischergen abführten segnete er uns Kinder und sprach uns Mut zu. Wir hatten wenig Hoffnung, ihn jemals wieder zu schen. Abermals erwies sich der Umstand, dass er den Großteil seiner schriftstellerischen Arbeiten unter falschem Namen publizieren musste, als Rettung. Die Gestapo hatte auch nie erfahren, dass er in Eingaben versucht hatte, den Vatikan zu einer Exkommunikation der nationalsozialistischen Ideologie und seiner Anhänger zu bewegen. So wurde Missong nach einigen Wochen der Haft wieder auf freien Fuß gesetzt. Allerdings sorgten regelmäßige Vorladungen zur Gestapo bis zur Befreiung 1945 für Abwechslung besonderer Art. Walter Manoschek Abschließend möchte ich meinen Vater als Familienmenschen schildern. Alle seine Kinder verdanken ihm unendlich viel. Er liebte uns und nahm uns und unsere kindlichen Sorgen sehr ernst. In unserem Haus wurde viel diskutiert und der Vater bemühte sich, uns die Welt zu erklären und uns durch Ermahnungen aber vor allem durch sein Beispiel zu reifen und verantwortungsbewussten Menschen zu erziehen. An Hand der Bücher über „Lebensführung“ seines verehrten Lehrers und Mitstreiters, des deutschen Pädagogen Friedrich Wilhelm Foerster, wurde theoretischer Ethikunterricht erteilt. Schon in meinen frühen Kindheitsjahren erzählte mir mein Vater aus seinem reichen geistigen Erfahrungsschatz. Die jüngste österreichische und europäische Geschichte erlebte ich förmlich in seinen spannenden Erzählungen. Da ich als Bub oft den nächtelangen Diskussionen meines Vaters mit seinen Freunden beiwohnen durfte, war mir das besondere Glück beschieden, tief in seine geistige Welt einzudringen und sie zu verstehen. Ich hätte mir keinen besseren Vater und Lehrer als ihn vorstellen können und weiß, dass ich ihm zu größtem Dank verpflichtet bin. Alfred Missong (sen.), geb. 1902 in Höchst am Main als Sohn eines deutschen Vaters und einer österreichischen Mutter, optierte 1919 für Österreich, studierte 1921-25 Staatswissenschaften an der Universität Wien und war 1925-38 als Redakteur und freier Publizist tätig, vor allem für die Zeitschriften „Schönere Zukunft“ und 1934-38 „Der Christliche Ständestaat“. Mitarbeiter u.a. der christlich-sozialen „Reichspost“. 1927 mit Ernst Karl Winter Mitbegründer von „Die österreichische Aktion“; früher Vertreter einer nationalen Selbständigkeit Österreichs. 1930 Heirat mit Juliane Riepl. 1932 Veröffentlichung von „Der Nazispiegel“ unter dem Pseudonym Thomas Murner. Im August 1938 nach monatelander Gestapo-Haft Flucht mit der Familie in die Schweiz, im Jänner 1939 nach Jugoslawien. Nach der erzwungenen Rückkehr nach Wien neuerlich in Gestapo-Haft, dann bis 1945 in einer Rechtanwaltskanzlei tätig. 1945 Mitgbegründer der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), Mitverfasser des Parteiprogramms und bis 1950 Chefredakteur der theoretischen Zeitschrift der Partei „Österreichische Monatshefte“. Ab 1950 als Presseattache im österreichischen diplomatischen Dienst, ab 1955 in Rom. Afred Missong (jun.), geb. 1934 in Wien, war Osteuropakorrespondent für schwedische und Schweizer Zeitschriften, ehe er in den österreichischen diplomatischen Dienst eintrat; Botschafter u.a. in Mexiko, Venezuela und Portugal. 1986-93 Direktor der Diplomatischen Akademie in Wien. — Die in seinem Text erwähnte Schwester Agnes war 1931 in Wien geboren. Als die deutschen Truppen am 6. April 1941 das „Königreich Jugoslawien“ überfielen, lebten in diesem Land etwa 80.000 Juden. Etwa 55.000 — 60.000 jugoslawische Juden und rund 4000 ausländische jüdische Flüchtlinge fielen dem Holocaust zum Opfer. Nach der militärischen Kapitulation Jugoslawiens Mitte April 1941 wurde der jugoslawische Staat auf Weisung Hitlers zerschlagen und zwischen den Achsenmächten Deutschland, Italien, Ungarn und Bulgarien aufgeteilt. In Kroatien wurde hingegen ein Satellitenstaat unter der Führung der Ustascha installiert, der auch Slawonien, Bosnien und die Herzegowina umfasste und bis an die 62 _ ZWISCHENWELT Tore Belgrads reichte. Wie „unabhängig“ dieses Ustascha-Kroatien tatsächlich gewesen ist, zeigt sich schon daran, dass es in ein deutsches und italienisches Besatzungsgebiet aufgeteilt war. Das Deutsche Reich annektierte den nördlichen und östlichen Teil Sloweniens; der südliche Teil Sloweniens, einschließlich Ljubljana, sowie ein Teil Dalmatiens fielen an Italien. Montenegro wurde von Italien besetzt, während der Kosovo und ein Teil von Westmazedonien an das italienische „Großalbanien“ kamen. Der Hauptteil Mazedoniens sowie ein Stück Südostserbiens (Pirot) wurden von Bulgarien annektiert. Ungarn erhielt die Batschka