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selbst vollstreckt. Waren es im Sommer Polizei und SD gewesen, die Juden und Kommunisten exekutiert hatten, so wurde diese Aufgabe nunmehr von der Truppe selbst durchgeführt. Noch während die erste Massenexekution von Juden und Kommunisten durch Wehrmachtseinheiten im Gang war, definierte Böhme die Opfergruppen für zukünftige Erschießungen: „Alle Kommunisten, als solche verdächtige männliche Einwohner, sämtliche Juden, eine bestimmte Anzahl nationalistischer und demokratisch gesinnter Einwohner ...“ Mit Ausnahme der Kollaborateure war davon potentiell nahezu die gesamte Bevölkerung betroffen. General Böhmes Befehle lösten im Herbst 1941 eine Dynamik des Massenmordes aus. Dabei wurde rassistische Vernichtungslogik mit herrschaftstechnischer Zweckrationalität verbunden: Der überwiegende Teil der etwa 8.000 erwachsenen männlichen Juden, die nicht sesshaften Zigeuner und „verdächtige Kommunisten“ waren bereits in Lagern interniert und standen für Erschießungsaktionen jederzeit „auf Abruf“ zur Verfügung. Nun wurden die Opfer entsprechend der nationalsozialistischen Rassenhierarchie ausgewählt: zuerst alle Juden und Zigeuner, dann als Kommunisten verdächtigte Personen und zum Schluss die übrige Bevölkerung — wobei die Zuordnung zu den letzten beiden Gruppen in der Praxis recht willkürlich ausfiel. Die „Sühnemaßnahmen“ liefen nach einem bestimmten Schema ab. Als erste wurden die Juden und Zigeuner ermordet. Nach Verlusten im Partisanenkampf beantragte die betroffene Wehrmachtseinheit bei den Stabstellen, dass ihr eine Anzahl von „Geiseln“ (im Verhältnis 1: 100 für jeden Gefallenen beziehungsweise 1: 50 für jeden Verwundeten) zur Verfügung gestellt werde. Verwaltungschef Turner traf die Auswahl der Opfer und legte Zeit und Ort der Exekution fest. Ein Erschießungskommando aus Freiwilligen der entsprechenden Einheit holte die Opfer mit Lastkraftwagen aus dem Lager ab und transportierte sie zur Hinrichtungsstätte. Der Platz wurde großräumig abgesperrt, die Opfer mussten Gruben ausheben, ehe sie erschossen wurden. Die Exekutionen wurden von der Propagandakompanie gefilmt und fotografiert. Nach Abschluss der Aktion fertigte der befehlshabende Offizier einen detaillierten Bericht über die „Erschießung von Juden und Zigeunern“ an, der an die höheren militärischen Dienststellen in Serbien und an das Armeeoberkommando 12 in Saloniki — der höchsten Wehrmachtsstelle in der Balkanregion — weitergeleitet wurde. Größere Erschießungsaktionen dauerten von frühmorgens bis zum Abend und nahmen oft mehrere Tage in Anspruch. Im Herbst 1941 gehörten die Massaker an Juden, Zigeunern und anderen serbischen Zivilisten zum fixen Bestandteil des Besatzungsalltags der Wehrmacht. Dabei war die Zahl der Juden und Zigeuner im Verhältnis zum hohen Bedarf an Erschießungsopfern relativ gering. Obwohl dieses „Geiselreservoir“ um die etwa 400, großteils aus Österreich stammenden, jüdischen Flüchtlinge des „Kladovo-Iransportes“ aufgestockt wurde, war es nach wenigen Wochen „ausgeschöpft“. Bereits Anfang November 1941 berichtete der im Auswärtigen Amt mit der „Lösung des Judenproblems“ in Serbien beauftragte Legationsrat Franz Rademacher: „Die männlichen Juden sind bis Ende dieser Woche erschossen, damit ist das in dem Bericht der Gesandtschaft angeschnittene Problem erledigt.“ An der systematischen Missachtung aller bestehenden Kriegsnormen waren sämtliche Besatzungsstellen beteiligt. Der Genozid an den Juden und Teilen der Zigeuner war ebenso wie die massiven Repressalien gegen die übrige Zivilbevölkerung in Serbien ein Gemeinschaftsunternehmen aller Institutionen. Die Wehrmacht 64 ZWISCHENWELT hatte dabei im Herbst 1941 die Initiative zur Befehlsgebung ergriffen und die Truppe setzte diese Politik auch praktisch um. Die Bilanz, die General Böhme nach nur zwei Monaten Aufenthalt als Bevollmächtigter Kommandierender General in Serbien im Dezember 1941 hinterließ, war, dass den 160 gefallenen und 278 verwundeten Wehrmachtsangehörigen ofhiziell 3.562 im Kampf gefallene Partisanen und zwischen 20.000 und 30.000 erschossene Zivilisten gegenüberstanden — darunter nahezu alle erwachsenen männlichen Juden und nicht sesshaften Zigeuner. Die wenigen noch lebenden jüdischen Männer wurden im Dezember 1941, gemeinsam mit den jüdischen Frauen und Kindern aus Serbien, dem Banat und etwa 500 Juden aus dem italienisch besetzten Kosovo, im Konzentrationslager Sajmiste bei Belgrad interniert. Das weitere Schicksal der insgesamt etwa 6.500 jüdischen Internierten stand zum Zeitpunkt ihrer Einlieferung bereits fest. Ende 1941 hatte Militärverwaltungschef Turner das neueste technische Produkt für die Judenvernichtung aus Berlin angefordert: einen Gaswagen. Das KZ Sajmiste lag in Blickweite von Belgrad auf der anderen Seite der Save, auf damals kroatischem Gebiet. Mit einem Fernglas war es möglich, von der Festung Belgrad die Internierten zu erkennen. Die ehemaligen Messehallen waren für die Aufnahme von tausenden Menschen nur unzureichend eingerichtet worden. Die Frauen und Kinder wurden in behelfsmäßigen Baracken untergebracht, die kaum beheizt werden konnten. Im eiskalten Winter 1941 / 1942 war die Mortalitätsrate, insbesondere bei den Kleinkindern, entsprechend hoch. Anfang März 1942 erhielt der aus Österreich stammende Kommandant des KZ Sajmiste, Herbert Andorfer, die Information, dass der Gaswagen in Belgrad eingetroffen war. Die ebenfalls interniert gewesenen 292 Romafrauen und -kinder wurden daraufhin aus dem KZ entlassen. Unmittelbar darauf begann die Vergasung der jüdischen Insassen. Zwischen Anfang März und Anfang Mai 1942 fuhren jeden Morgen zwei Lastwagen von Belgrad zum KZ Sajmiste. Dort angekommen, verstauten jeweils 50 — 80 Frauen und Kinder ihr Gepäck und stiegen dann in den anderen Lastwagen. Dann setzten sich beide Wagen in Richtung Belgrad in Bewegung. Nachdem die Belgrader Save-Brücke überquert war, bog der Gepäckwagen ab und der Gaswagen hielt kurz an. Einer der beiden Fahrer stieg aus und drehte an der Außenseite des Wagens einen Hebel um, wodurch die Abgase in das Wageninnere geleitet wurden. Während der nun folgenden Fahrt — quer durch Belgrad — zum Zielort Avala (circa 15 km südöstlich der Hauptstadt) wurden die Juden im Auto vergast. Am Schießplatz Avala angekommen, wurden die Toten ausgeladen und in Gruben verscharrt. Anfang Mai 1942, also nach zwei Monaten, waren auf diese Weise alle jüdischen Lagerinsassen ermordet worden. Der Chef der Militärverwaltung in Serbien, Harald Turner, konnte dem Wehrmachtsbefehlshaber Südost, General Löhr, stolz berichten: „... Judenfrage ebenso wie die Zigeunerfrage völlig liquidiert: Serbien einziges Land, in dem Judenfrage und Zigeunerfrage gelöst.“ Nach Estland war Serbien das zweite Land im nationalsozialistischen Hertschaftsbereich, das „judenfrei“ gemacht worden war. Um die Geheimhaltung der Massenmorde machte man sich zu diesem Zeitpunkt wenig Gedanken. Unter den Besatzern war es ein offenes Geheimnis, dass in den Lastwagen Juden vergast wurden. Erst als sich die deutsche Niederlage abzuzeichnen begann, machten sie sich daran, die Spuren ihrer Massenmorde zu verwischen. Im November 1943 traf das „Sonderkommando 1005“ des Ein