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Um die diversen Aspekte von politischer Arbeit und Politikverständnis von Frauen im Exil zu untersuchen, veranstaltete die AG „Frauen im Exil“ in der deutschen Gesellschaft für Exilforschung e.V. in Kooperation mit der Georg-von-Vollmar-Akademie vom 30. Oktober bis zum 1. November 2009 eine Tagung unter dem Titel Politik — Parteiarbeit — Pazifismus in der Emigration: Frauen handeln im bayerischen Kochel am See. Die Intentionen dieser Veranstaltung legte Hiltrud Häntzschel in ihrem programmatischen Referat mit dem Titel Was ist politisches Handeln? Panorama politischer Aktivitäten von Frauen im Exil dar. Sie arbeitete vier Gesichtspunkte, nämlich parteipolitische, nicht parteipolitische/soziale Aktivitäten sowie künstlerische bzw. intellektuelle Aufklärung über den Faschismus heraus und stellte zuletzt die Frage nach dem Einfluß von Remigrantinnen auf den Redemokratisierungsprozeß in deren Heimatländern. Im Anschluß daran sprach Hanna Papanek über Genossinnen meiner Mutter. Die sozialdemokratische Solidargemeinschaft. Sie stellte ihre Mutter Elly Kaiser, die vor der Flucht in die USA für die SPD-Fraktion im Reichstag tätig gewesen war, in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen und versuchte, die politische Atmosphäre der ausgehenden Weimarer Republik wie auch der Solidargemeinschaft, die unter anderem die Kinderfreunde oder die Roten Falken umfaßte, zu vermitteln. Die Abendveranstaltung bestritt der Schweizer Autor Robert Cohen, Dozent an der New York City University, der seinen 2009 erschienenen Roman „Exil der frechen Frauen“ vorstellte, in dem die Schicksale der Widerstandskämpferinnen Maria Osten, Ruth Rewald und Olga Benario in halbdokumentarischer Weise verknüpft werden. Die ersten Vorträge des zweiten Tages untersuchten die Bedeutung partnerschaftlicher Beziehungen im Exil. Doris Danzer eröffnete die Vormittagssitzung, indem sie unter dem Titel „Mit guten Grüßen an Ihre Frau!“ Exil und Remigration als Beziehungs- und Bewährungsprobe im Leben der Ehefrauen kommunistischer Intellektueller über Lilly Becher, Grete Weiskopf, deren Schwester Gertrud Herzfelde sowie Lisa 74 ZWISCHENWELT Bredel und die Bedeutung ehelicher Verbindungen mit prominenten Partnern im Exil sprach. Kristina Schulz stellte in ihrem Referat „... da namentlich nach der Vorakte über den Ehemann |[...] eine gewisse Vorsicht geboten scheint“: Frauen in der Emigration — die „Unpolitischen“ an seiner Seite die Beziehungen der Schriftstellerinnen Lisa Tezner (zu dem Schriftsteller Kurt Kläber) und von Maria Gleit (zu dem Publzisten Walther Victor) in den Mittelpunkt, bot eine Reflexion der Herausforderungen und Zumutungen im Exil und zeigte auf, welche Rollen den Frauen durch die Schweizer Behörden zugeschrieben wurden. Manja Firnberg wiederum hob anhand des Beispiels von Ruth Seydewitz, der Gattin des Politikers Max Seydewitz, die Bedeutung der „Arbeit im Unsichtbaren“ hervor: Ruth Seydewitz im Exil. Unsichtbare politische Arbeit und die Entdeckung der Geschlechterdifferenz. So wurden Ruth Seydewitz‘ Verdienste als Mitarbeiterin ihres Mannes von dessen Außenwirkung weitgehend verdeckt und haben nie eine gebührende öffentliche Würdigung gefunden. Ursula Langkau-Alex behandelte unter dem Titel Zwischen Schreibtisch und Schafott: Frauen in der Volksfrontbewegung deren Situation im französischen Exil der Dreißigerjahre. Nachdem Astrid Albrecht-Heide Die Pazifistin (1892 — 1987) Charlotte Leonhard, die Mutter des Historikers Wolfgang Leonhard, vorgestellt hatte, sprach Klaus Voigt über Emigrantinnen aus Deutschland im italienischen Widerstand: Ruth Gottlieb, Ursula Hirschmann, Brigitte Löwenthal und Ruth Weidenreich. Auf dem dicht gedrängten Abendprogramm standen drei Vorträge: Zunächst beschrieb Karin Gille-Linne die Aktivitäten der Journalistin und Politikerin Herta Gotthelf in ihrem Beitrag „Was hörst Du aus Deutschland?“ Herta Gotthelf (1902 — 1963) — Redakteurin, (R-)Emigrantin, Frauensekretärin der SPD, wobei deutlich wurde, daß die deutschen Sozialdemokraten im Unterschied zur SPÖ in Österreich ihre RemigrantInnen sehr wohl in vergleichsweise wichtige Ämter aufsteigen ließen. Gisela Notz referierte über die SPD-Politikerin Marie Juchacz und ihre Tätigkeit in der Gruppe „Neu Beginnen“ im französischen Exil sowie im Rahmen der „Arbeiterwohlfahrt USA“ in New York („Sozialarbeit als Hilfe von Mensch zu Mensch organisieren“. Marie Juchacz 1879 — 1956: soziale Hilfstätigkeit im Exil), danach Christl Wickert über Käte Frankenthal, Toni Sender und Hedwig Wachenheim im amerikanischen Exil — Konzepte und Überlegungen für ein Deutschland nach Hitler. Unter der Leitung von Hanna Papanek entwickelte sich anschließend eine spannende Diskussion über grundlegende Fragen zur Sinnhaftigkeit und Methodik der Exilforschung, wie auch über die in den letzten Jahren immer wieder behandelte Frage nach einer Ausweitung des Forschungsgebiets auf die Phänomene des Exils in der Gegenwart. Den Schlußtag eröffnete Irme Schaber mit einem Beitrag über Fotographie und Exil (Augenecho -Medienecho, Politik und Engagement von Fotografinnen im Exil), wobei sie über die Fotografinnen Gerda Taro, Gisele Freund, Annemarie Schwarzenbach und Edith Tudor Hart berichtete, die Pionierleistungen in verschiedenen fotografischen Genres erbracht hatten. Julia Gillet befaßte sich in ihrem Beitrag mit der jüdischen Schriftstellerin und Journalistin Maria Leitner und deren Berichten von illegalen Reisen durch NS-Deutschland (Maria Leitner — eine Verschollene des Exils: Reportagen aus Nazi-Deutschland). Mit Germaine Götzingers Vortrag, „You have to put Luxembourg on the map“ (ED. Roosevelt). Das politische Wirken einer Landesfürstin im Exil, über die Großherzogin Charlotte von Luxemburg, die bei Reisen in die Vereinigten Staaten und in Großbritannien um Unterstützung für ihre Heimat warb, wurde die Konferenz abgeschlossen. Insgesamt gesehen, war es eine sehr gelungene Tagung, die nicht nur durch zahlreiche fundierte Beiträge, sondern auch durch die häufigen Möglichkeiten zur Diskussion, die bei so manchen derartigen Veranstaltungen oft viel zu kurz kommt, sicherlich einige neue Erkenntnisse für die TeilnehmerInnen erbracht hat. Christoph Mentschl