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REZENSIONEN Mit Band 3 der neuen Buchreihe „anders erinnern“ hat der Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft einen der vorderen Plätze im Wiener Buchhandel erreicht. Die seit 1980 in Wien lebende iranische Schriftstellerin und Lyrikerin Nahid Bagheri-Goldschmied trifft mit ihrem zeitgeschichtlich aktuellen Thema aufeine literarische Lücke, gewährt in fesselnder Weise Einblick in die Lebenswelt, in das Lebensgefühl und die verschiedenen politischen Intentionen der Teheraner Gesellschaft. Von familiärem Alltag wird erzählt, von Männern, Frauen und religiösen Festen; vom Arbeitseifer in Schulen, Bibliotheken undan der Universität. Zur Sprache kommen aber auch die überaus harten Gefängnisstrafen für Regimekritiker und ein schmerzlicher Weg ins Exil. „Entwicklungsroman im besten Sinn“, nennt HH. W. Käfer in seinem Nachwort Nahid Bagheri-Goldschmieds wichtiges Werk, die atemberaubende Geschichte des Mädchens Chawar und ihrer patriarchalischen Groffamilie, ihren Weg vom aufmerksamen, sensiblen Kind bis hin zur engagierten Studentin und schließlich erwachsenen, verantwortlich handelnden jungen Frau. Vor dem Hintergrund einer jahrzehntelang tragisch problembeladenen politischen Entwicklung, angefangen vom Schah-Regime bis zur Proklamation der Islamischen Republik, öffnet die Erzählerin mit dieser gelungenen Übersetzung ihres Romans dem europäischen Leser Fenster zu einer Welt, deren Leben ihm unbekannt ist, vielen jakaum erahnbar, nun aber durch zahlreiche feine, nur scheinbar nebensächliche Details, plötzlich lebendig wird und menschlich berührt. Die Kraft des Erzählstroms reicht aus, um Haltung und Handlungen der straff gezeichneten Figuren deutlich und nachvollziehbar zu machen, auch deren Umgang mit den Wechselfällen der Zeit, mit Schicksalsschlägen und politischen Gegebenheiten samt Widerstand und Revolution. Oft gelingt das mit Hilfe kurzer, geschickt eingefügter Dialoge oder kleinteiliger Beschreibung häuslicher und schulischer Atmosphäre, mit der Darstellung des Ablaufs von Festen und religiösem Brauchtum. Was in so weiter Ferne liegt, in den Stunden des Lesens riickt es ganz nah. Nahid BagheriGoldschmied hat mit der Ubersetzung ihres Hauptwerkes eine wichtige — vielleicht die wichtigste Aufgabe der Literatur überhaupt — erfüllt: Brücke zu sein zwischen anderen Ufern, anderen Bedingungen, Lebensformen, Möglichkeiten; und allzu krasser Unkenntnis samt daraus entstehenden Fremdheitsgefüh„Wollt‘'s jetzt doch wieder einen Saujuden bei eurer Feier dabei haben?“ So emotional reagierte Frank Feldman (früher hieß er Kurt Frank Feldmann) auf die Kontaktaufnahme, die von Seiten des RG 7, Kandlgasse, rund 70 Jahre nach seinem aus rassistischen Gründen 1938 stattgefundenen Schulausschluss erfolgte. Diese fand im Zuge eines Schulprojektes statt, aus dem das von Vera Karin Cerha und Christopher Treiblmayr herausgegebene Buch „Weggewiesen 1938. Vom Gestern ins Heute geholte Schicksale jüdischer SchülerInnen am Realgymnasium Wien 7“ hervorging. In den letzten Jahren haben sich — wie von ZW mehrmals berichtet — eine ganze Reihe von Wiener Gymnasien ihrer Geschichte angenommen und der Ende April 1938 von diesen Schulen ausgeschlossenen jüdischen und im NS-Rassensinn als jüdisch geltenden Schülerinnen und Schüler erinnert. Manchmal etwas bescheiden mit im Innern der Schule angebrachten Gedenktafeln, die die Namen der Ausgeschlossenen nichtnennen, manchmal aber auch mit dem Versuch, zu Menschen, die damals vertrieben wurden, Kontakt zu finden. Zweitere Herangehensweise ist natürlich die beschwerlichere, denn len zwischen Mensch und Mensch tapfer entgegenzuwirken. Darüber hinaus erhält der Leser wertvolle Anreize zur Beschäftigung mit der Geschichte des Mittleren und Nahen Ostens sowie den vielen Besonderheiten einer uralten, durch arabische Einflüsse jahrhundertelang überformten Kultur. Rosemarie Schulak Nahid Nahid Bagheri-Goldschmied: Bagheri-Ge yidschmied Chawal Chawar. Roman. Mit einem Eugene Nachwort von H.W. Käfer. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2009. 147 S. Euro 18,me Buchprämie für „Chawar“ Nahid Bagheri-Goldschmied wurde für den im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft erschienenen Roman „Chawar“ eine Buchprämie von Euro 1.500 des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur zuerkannt. Wir gratulieren der Jury zu ihrer Entscheidung und der Autorin zu ihrem Erfolg. die damaligen Opfer und auch die Täter müssen dabei aus ihrer Anonymität geholt werden. Und das tut scheinbar manchmal manchen Institutionen in Österreich immer noch weh. Denn wie sonst wäre es zu erklären, dass von Seiten des Stadtschulrates für Wien auf Anfrage nach den Personalakten der 1938 unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrer des RG 7 zunächst keine Auskunft erteilt wird. So ist es Christopher Treiblmayr ergangen. Erst die sanfte Drohung, dies im Buch — das im Ubrigen auch ein Nachwort der amtsführenden Stadtschulratspräsidentin enthält — zu vermerken, führte doch zu einem Umdenken. 97 Schülerinnen und Schüler konnten von einer Projektgruppe aus heutigen Schülerinnen und Schülern des RG 7, Kandlgasse, benannt werden, denen 1938 der Schulaus1-2/2010 75