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schluss widerfuhr. Zu 19 gelang es, rund 70 Jahre später, Kontakt zu finden. Einige dieser hochbetagten Menschen sind noch im Laufe des Projektes leider verstorben, für eine ganze Reihe kam dieses Unterfangen ihrer ehemaligen Schule überhaupt zu spät. „Warum erst jetzt?“, fragt oder klagt oben erwähnter Frank Feldman, der aber in der Folge zum intensivsten Korrespondenzpartner der heutigen Schülerinnen und Schüler wird. Und dennoch ist es natürlich besser, solch ein Projekt vielleicht etwas spät, aber eben doch noch durchzuführen. Denn gerade die heutigen Schülerinnen und Schüler des RG Kandlgasse, die zu einem sehr hohen Prozentsatz so genannten Migrationshintergrund haben, konnten mit den Lebensgeschichten der 1938 ausgeschlossenen und in der Folge aus Österreich vertriebenen Schülerinnen und Schüler, ihrem Leben und Überleben in ihren jeweiligen neuen „Heimatländern“ sehr viel anfangen bzw. waren von deren dort gelebten und durchaus gelungenen Leben angetan. Bemerkenswert ist auch, dass durch die Arbeit der Projektgruppe zwei Jugendfreunde — Otto Zinn und Harry Fiss (früher Harry Kranner) - einander wiedersahen. Otto Zinn lebt heute in Säo Paulo in Brasilien, Harry Fiss, mittlerweile verstorben, lebte in Connecticut, USA. Dieses Ereignis des Aufeinandertreffens nach über 70 Jahren fand sogar seinen Niederschlagin der lokalen Presse, wie man einem in Faksimile wiedergegebenen Zeitungsbericht entnehmen kann. Der heute bekannteste der 1938 aus dem RG Kandlgasse Ausgeschlossenen ist zweifelsohne der Kabarettist und Schriftsteller Georg Kreisler, der dieses Projekt vor allem deshalb schätzt, weil dabei eben kein bloßes anonymes Erinnern stattfindet. So befinden sich etwa auf der Gedenktafel, die in der Schule angebracht ist, die Namen all derer, die 1938 ausgeschlossen wurden. Und das Buch „Weggewiesen“ verstärkt dieses Erinnern durch die Wiedergabe des Briefwechsels mit diesen Menschen, durch Fotos, Dokumente, biographische Abrisse und mehrere Aufsätze. Zwei davon sind besonders bemerkenswert. Der eine, sehr informative Text stammt von Eva Blimlinger, die über das „Jüdische Leben in Neubau“ schreibt, der andere von Christopher Treiblmayr, der den bis dato besten wissenschaftlichen Überblick über den im April 1938 erfolgten Ausschluss der jüdischen und im NS-Sinn als jüdisch geltenden Mittelschülerinnen und Mittelschüler in Wien gibt. Georg Kereisler erinnert sich im Buch „Weggewiesen“ an schmerzliche Momente, 76 ZWISCHENWELT die am Tag des Ausschlusses von der Schule stattfanden: Als wir das Gymnasium in der Kandlgasse verließen, hatte sich am Ausgang ein Spalier von christlichen Mitschülern gebildet und wir wurden beim Hinausgehen beschimpft, bespuckt und geschlagen. Robert Roper erfährt als Zehnjähriger, welchen Druck sein Vater angesichts der Emigration aushalten musste. An der belgischen Grenze werden die Dokumente seiner Familie von Grenzpolizisten kontrolliert, es gibt keine Komplikationen, doch „als wir die belgische Grenze überschritten, schluchzte mein Vater vor Erleichterung. Das war das einzige Mal, dass ich meinen Vater weinen sah.“ Der schon erwähnte Harry Fiss erinnert sich an die Ereignisse der Novemberpogromnacht: „Ich sehe noch immer die Ruinen meiner ausgebrannten Synagoge in der Schmalzhofgasse vor mir sowie die ‚Juden unerwünscht‘-Tafeln an den Geschäften.“ Heute befindet sich an der Stelle, an der diese Synagoge stand, ein Wohnhaus, in dessen Eingangstürnische sich, gut versteckt angebracht, eine so genannte Gedenktafel befindet. Den immer noch grassierenden Antisemitismus in Wien beschreibt folgende Begebenheit, die Hans Hacker in einem Brief der Projektgruppe mitteilt. Seine Tochter lebte mit ihrer Familie 1986 bis 1988 wieder in Wien. „Eines Tages stiegen meine Tochter, hochschwanger, an der Hand meine damals zwölfjährige Enkelin, und meine damals 75-jährige Tante in eine Straßenbahn. Alle Sitzplätze besetzt. Die Tante (schr scharfe Zunge) sagte laut: Bei uns in Argentinien kann das nicht passieren. Totenstille, kein Mensch steht auf. Plötzlich eine Stimme: Warum fahrt ihr Saujuden nicht wieder zurück, man hat damals leider zu wenige von euch vergast. Wieder Totenstille. Meine Tochter bekommt einen Weinkrampf und die ganze Familie steigt an der nachsten Haltestelle aus.“ Kurt Reiss, heute fast 90-jahrig, reiste aus Israel zur Buchpräsentation an, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Über den Holocaust sprechen“ am 11. März 2010 im Jüdischen Museum Wien stattfand. Im Buch stellt er die ihn bewegende Frage: „In Wien wohnen heute 8.000 Juden (damals waren es 200.000). Aber heute wohnen in Wien viele Türken, Serben, Kroaten, Bosnier, Tschechen, Slowaken, Polen - und was geschieht jetzt?“ Der Leser/die Leserin kann in diesem Buch Lebensgeschichten der 1938 vom RG 7, Kandlgasse, ausgeschlossenen Schülerinnen und Schülern nachgehen, die durch die Arbeit der Projektgruppe aus der Anonymität herausgeholt wurden. Aber er/sie kann dieses Buch auch als ein Plädoyer im Sinne von Kurt Reiss‘ obiger Frage verstehen — und auch deshalb verdient es viele Leserinnen und Leser, die sich diesem Plädoyer anschließen. Martin Krist Vera Karin Cerha, Christopher Treiblmayr (Hg.): Weggewiesen 1938. Vom Gestern ins Heute geholte Schicksale jüdischer SchülerInnen am Realgymnasium Wien 7. Wien: Löcker Verlag 2010. 270 S. Euro 22,Die Autobiographie von Eva Avi-Yonah, einem Mitglied des mittlerweile über die Grenzen Israels hinaus bekannt gewordenen Lyris-Kreises, enthält, so die Autorin, alle Elemente eines Märchens: die schreckliche Kindheit, die Suche nach dem Sinn, dem Glück, dem Wissen, dem Ritter, die vierzig Jahre in der Wüste und das glückliche Ende. Jede Geschichte hat einen Anfang und diese hier beginnt in Wien, wo Eva Avi-Yonah 1921 als Tochter von Hugo und Elisabeth Boyko, zwei Botanikern und späteren Pionieren der Wüstenforschung, geboren wird. Es ist eine bürgerliche Kindheit, mit den üblichen Ritualen und ihrer Geborgenheit, aber auch mit den als grausam und ungerecht empfundenen Erwachsenen, sei es der distanzierte Vater, zu dem einzig durch die Mitarbeit an seinem Herbarium eine gewisse Nähe entstehen konnte, oder die als dominant und unbeherrscht beschriebene Mutter. Wie so viele ihrer Generation stößt auch sie auf ihre jüdische Herkunft erstmals durch den offen zur Schau getragenen Antisemitismus in der Schule. Was als Kritzeln an der Wand im Kinderzimmer heimliches und verbotenes beginnt, sich im Malunterricht bei Franz Czisek fortsetzt, ist der Anfang einer lebenslangen Hinwendung zur Malerei. Mehr als das Leben in der Schule oder die Kontakte mit Gleichaltrigen interessiert die 13-jährige die Frage nach dem Sinn des Lebens