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und sie versucht, in der elterlichen Bibliothek Antworten darauf zu finden. Spinoza, Kant, Schopenhauer, Nietzsche werden zu Rate gezogen, Selbstmord als praktische Möglichkeit erwogen. Ein abruptes Ende ihres bisherigen Lebens als Gymnasiastin in Wien bedeutetE die Übersiedlung nach Palästina 1935, zu der sich die Eltern als überzeugte Zionisten, in Vorahnung des Kommenden, entschlossen hatten. Während die Eltern versuchten, in Palästina Fuß zu fassen, rebellierte die so plötzlich Entwurzelte. Eva weigerte sich, das Gymnasium zu beenden, wo sie sich nicht nur wegen ihrer fehlenden Sprachkenntnisse verloren fühlte, und setzte den Besuch der Bezalel Kunstschule durch. Dort lernte sie ihren ersten Mann, den Silberschmied Hans Rawinsky, kennen, den sie mit 19 Jahren, gegen den Widerstand ihrer Eltern, heiratete. Die nun folgende Schilderung ihres Lebens in Armut, der kurzen Ehe während des Krieges und der ersten Jahre des Staates Israels gehören zu den spannendsten Teilen des Buches. Es beeindruckt, mit welcher Unerschrockenheit und Kraft sie darangeht, ihr Leben zu meistern. In der Hoffnung, auf einen Brotberuf erlernt sie bei Zwillingsschwestern aus Wien die Schneiderei. Anfang der 1950er Jahre geht sie zu einem Studium an der Ecole des Beaux Arts nach Paris und unterrichtet nach ihrer Rückkehr Kunsterziehung. Offen analysiert sie ihre weibliche Entwicklung, spricht über ihre sexuellen Erfahrungen und setzt sich dabei unbekümmert über biedere Moralvorstellungen hinweg. Nach einer längeren Menage 4 trois mit einem älteren Mann, heiratet sie den Historiker Michael AviYonah, bekommt den Sohn Reuven. Mit ihrem Mann unternimmt sie ausgedehnte Reisen und begleitet ihn zu Forschungsaufenthalten ins Ausland, wo sie, wie in Rom, ihre künstlerische Ausbildung fortsetzt. Briefe Erich Frieds Nicht sich verstecken! vor den Dingen/ der Zeit] in die Liebe/ Aber auch nicht! vor der Liebel in die Dinge! der Zeit Den meisten ist Erich Fried als Dichter von Liebesgedichten, als Shakespeare-Ubersetzer wie als Persönlichkeit bekannt, der Lyrik und Politik zu verbinden verstand. Für ihn galt weniger das Motto l’art pour l’art, Nach dessen Tod, Anfang der 1970er Jahre, beginnt sie ein Studium der Philosophie, Kunstgeschichte und Germanistik, das sie mit dem Doktorat abschließt, intensiviert ihre künstlerische Arbeit und engagiert sich im Lyris-Kreis. Das ist in wenigen Stichworten ein spannendes, auch schwieriges Leben, auf das die Autorin mit oft nüchterner, ironischer Distanziertheit zurückblickt und sich gerade durch die Abwesenheit jeder Großsprecherei oder nachträglich dem eigenen Leben aufgepfropfter Bedeutsamkeit wohltuend von so manch anderen Lebensberichten unterscheidet. Aber — und der Verzicht auf dieses Aber würde etwas Wesentliches der Geschichte verschweigen — die Autorin beschreibt ohne Rücksicht auf ihre Reputation ihre fast schon eine amour fou zu nennende spirituelle Beziehung zu „Jenifer“, einem Geistwesen, das in einer früheren Inkarnation Goethe gewesen sein soll; Vorstellungen, die an Rudolf Steiners anthroposophischen Spiritualismus denken lassen. Detailreich schildert sie Jenifers kosmische Existenz, um mit Freuden einer zukünftigen Vereinigung, als happy end ihres Lebens, entgegen zu blicken. Märchen spielen im Leben und in der Kunst von Eva Avi-Yonah eine große Rolle. Das kleine Mädchen Eva liebte es, Märchen zu erfinden, in einem davon gewährte ihr eine Fee einen einzigen Wunsch, der sich in ihrem Leben erfüllen würde. Die Wahl fiel nicht auf Schönheit, Reichtum, Glück, Liebe oder Erfolg, sondern auf Wissen. Und die Suche nach Wissen, die Neugier auf das, was „dahinter ist“, hat sie durch ihr Leben mit all seinen Verästelungen stets begleitet. Dass diese Suche nach Wissen sich in den Weiten des Weltalls verirrt hat, wird wohl nicht nur die Rezensentin verwirren. Ulrike Oedl Eva Avi-Yonah: Aus meinen sieben Leben. rainStein-Verlag: Berlin 2009. 232 S. als vielmehr das einer politisch engagierten Literatur. Sein Engagement galt dem Aufdecken sozialer Ungerechtigkeit; sein Zuhören-Können, sein Sich-Äußern wie sein Sich-Öffentlich-Exponieren sind legendär, „man kennt (ihn) als ... Reise-Rabbi“. Bis heute unbekannt geblieben ist Erich eingreifenden Fried als Verfasser von Briefen. Und das zu Unrecht - eine umfangreiche Korrespondenz lagert bis heute fast unbeachtet in seinem Nachlass im Österreichischen Literaturarchiv. Volker Kaukoreit, (Mit-)Herausgeber und Nachlassverwalter seines Gesammelten Werkes, stellt nunmehr eine schmale Auswahl seiner Briefe vor, die er im Klaus Wagenbach Verlag in der optisch schönen Reihe der SALTOBände hat erscheinen lassen. Die 33 Briefe von und an den Lyriker bieten einen breiten Querschnitt. Briefe an von ihm geschätzte Autorenkollegen wie Ilse Aichinger, Elias Canetti, Heinrich Böll u.a., lesbar als eine Art Literaturgeschichte, wie Briefe an Karin Kiwus oder Anne Duden, die sich durch Ermutigung zum Schreiben auszeichnen, und Briefe an seine Ehefrauen, seine Mutter, an Genossinnen und Genossen oder an seinen Verleger Klaus Wagenbach, dessen Freundschaft einer Belastungsprobe, wie der entsprechende Brief verdeutlicht, ausgesetzt war, sind in dem Bändchen versammelt. Als ein Mann der Wörter und der Sprache zeigt sich Erich Fried, und allen Briefen ist ein hohes Maß an Menschlichkeit und ein Sinn für Recht und Gerechtigkeit eigen. Berührend ist der Brief an sein ehemaliges Kindermädchen Josefine Freisler, in dem er seinen Lebensweg schildert und gleichzeitig mit den Erinnerungen an das Zusammensein seine Kindheit bildlich und emotional vorstellbar werden lässt. Sein Fazit „Fini“ gegenüber über ihr jeweiliges Leben lautet mit Rilke: „Wer spricht von Siegen,/ Überstehn ist alles“. Beeindruckend ist der Brief des Achtjährigen, der sich für einen „unschuldig Verurteilten“ einsetzt, Zeugnis ablegt von seinem bereits ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und Frühreife dokumentiert, ohne altklug zu wirken. Dankbarkeit schimmert in dem Brief durch, den er von dem 1952 stark unter Schreibhemmungen und Depressionen leidenden Paul Celan erhält, der in Frieds Worten Trost und Ermutigung findet: „Lieber Erich Fried, ich denke viel an Sie, immer wieder lehne ich mich an diesen Gedanken.“ Bitterböse Anschuldigungen auf seine Kritik an den österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim muss er sich von einem Hugo Stitz gefallen lassen, auf die er sachlich und um Verständnis bemüht eingeht. Auf eine Entschuldigung Stix‘ für dessen beleidigende Anwürfe verzichtet er. Sein Glaube an das Gute im Menschen ist derart ausgeprägt, dass er sogar Mitte der 1-2/2010 77