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1980er Jahre eine briefliche Verständigung mit dem inhaftierten Neonazi Michael Kühnen sucht. Auch der Offene Brief an Jean Amery von 1975 und dessen Reaktion darauf finden Aufnahme, geht es doch um nichts weniger als die Auseinandersetzung im Umgang mit Mittätern des NSRegimes. Alles in allem ein gelungener Einstieg in die gut kommentierte Welt der Briefe Erich Frieds. Trefliche Schwarz-Weiß-Fotos und Faksimiles der Unterschriften Frieds, die die Innenseiten des Einbands schmücken, ergänzen die Ausgabe, die Lust auf mehr macht. Christiana Puschak Erich Fried: Alles Liebe und Schöne, Freiheit und Glück. Briefe von und an Erich Fried. Hg. von Volker Kaukoreit. Berlin: Klaus Wagenbach 2009. 139 S. Euro 16,40 Hedwig Brenners Liebe zu Czernowitz ist ungebrochen. Die Liebe zur Stadt ihrer Kindheit, ihrer Jugend wird mit zunehmendem Alter stärker und stärker. Ob in der Zeit der Donaumonarchie, später rumänischer Verwaltung, dann kurzzeitiger Sowjetbesetzung oder ukrainischer Regierung, der heimatliche Blickwinkel durchzieht sämtliche Zeiten ihres heute fast zweiundneunzigjährigen Lebens. Der Mythos „Czernowitz“ wird bleiben. Hedwig Brenners Erinnerungen sind KindheitsSchon als Kind hatte sie eine fantastische und Jugenderinnerungen. Auffassungsgabe. Nichts ist in der Erinnerung verloren gegangen bis ins hohe Alter. Das Lernen in der Schule fiel Hedwig Brenner nicht schwer. Mutter Friedl Langhaus, geborene Feuerstein, und die Großmutter achteten sorgfältig auf ihre Erziehung, ließen sie noch vor dem Zweiten Weltkrieg nach Wien und in die Schweiz zu Verwandten reisen. Dr. Adolf Langhaus, der Rechtsanwalt und Vater, starb, als Hedwig keine elf Jahre alt war. Mit ihrem gerade erschienenem neuen Buch „Mein altes Czernowitz — Erinnerungen aus mehr als neun Jahrzehnten 1918-2010“ hat sie erneut ein Denkmal für ihre Heimat gesetzt, die sie bereits vor fünfundsechzig Jahren verlassen hat. Mit Hedwig Brenner durch die Straßen und Gassen, über den Ringplatz und durch den Volkspark der Stadt zu laufen, ob im Sommer, ob durch tiefen Schnee im Winter, ist ein Vergnügen. Vorbei an Menschen und Häusern ihrer Erinnerung laufen wir, Gesprächen über Freundinnen hören wir zu und den alten Geschichten aus ihrer eigenen Familie. Zum Skilaufen auf den Cecina begleiten wir sie, baden mit ihr im Strandbad Gänsehäufel am Pruth. Lauschige Plätze für Liebende gab es überall, sie sind ihr, der lebensfrohen alten Dame, in 78 ZWISCHENWELT ihren Gedanken geblieben. Sie wird sie damals genutzt haben, wie alle frohen jungen Menschen. Ecken und Winkel der Verschwiegenheit lernen wir kennen, die Lebendigkeit und die Lebensvielfalt der verschiedenen Völkergruppen und Religionen in der Stadt lernen wir aus der Sicht dieser liberalen jüdischen Frau kennen. Alte Postkartenansichten, Familienfotos und auch neuzeitliche Fotos geleiten das Auge durch das Buch. Der Einfall der Sowjetarmee 1940 ließ das Leben in Czernowitz erstarren. Verwandte, Nachbarn und Freunde, jüdische und nichtjüdische Intellektuelle, wurden nach Sibirien verschleppt. „Deutsche“ wurden „heim ins Reich“ geholt. Mit der rumänischen Armee zog 1941 auch die SS in die Stadt ein. Die rumänischen Behörden grenzten ein Ghetto ab und schickten den Großteil der jüdischen Bevölkerung in die Arbeits- und Todeslager nach Transnistrien, jenseits des Tnjestr. 1945 wurde die Nordbukowina der Sowjetunion zugesprochen, die Südbukowina blieb Teil Rumäniens. Grenzen wurden gezogen, der Weg von Nord nach Süd versperrt. Die Brenners konnten nach langem Hin und Her ins Petrolgebiet nach Ploesti in Rumänien auswandern mit einer illegal gekauften Ausreisegenehmigung. Gottfried Brenner, der auch aus Czernowitz stammte und an der Deutschen Technischen Hochschule in Prag studiert hatte, wurde 1939 Ehemann von Hedwig Langhaus. Als Ingenieur bekam Gottfried Brenner Arbeit im Petrolgebiet. Gemeinsam baute sich die Familie dort eine neue Zukunft auf. Diese Zukunft dauerte über dreißig Jahre, bis dem Ehepaar Brenner mit Söhnen und Mutter 1982 die Ausreise nach Israel gestattet wurde. Im Anhang des neuen Buches erinnert Hedwig Brenner an befreundete Czernowitzer Schriftstellern. Das neue Buch von Hedwig Brenner ist ein guter Reisebegleiter in die Bukowina, mit vielen bisher unbekannten Fotos und Dokumenten aus dem Privatarchiv Brenners. Christel Wollmann-Fiedler Hedwig Brenner: Mein altes Czernowitz — Erinnerungen aus mehr als neun Jahrzehnten 19182010. Konstanz: Hartung-Gorre 2010. 127 S., zahlreiche Abb. und Faksimiles. Euro 14,80