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Dank Carlo Levi, Natalia Ginzburg und Primo Levi in der Literatur oder Lina Wertmüller, Bernardo Bertolucci, Pier Paolo Pasolini und Vittorio de Sica im Film kann man sich vorstellen, was sich im Italien Mussolinis und der Nazis abgespielt hat. Dass Italien dennoch zeitweise oder bis zum Ende des Krieges ein wichtiges Zufluchtsland fiir etwa 5.000 Verfolgte des Nationalsozialismus aus Österreich war, ist zwar bekannt, doch über die Lebensbedingungen im italienischen Fxil weiß man wenig. ZW widmete 2005 gleich zwei Ausgaben dem »Exil in Italien“. In der Augustausgabe kamen mehrere italienische ForscherInnen zu Wort, die anhand des Schwerpunkt"Themas einen Einblick in die engagierte Geschichtsforschung in Italien boten. Dabei wurde auch betont, dass man in Zeiten von Berlusconi und Massendeporationen von AsylwerberInnen von staatlicher Seite kaum gefördert wird, wenn man über Faschismus und Nationalsozialismus im Land forschen will. In beiden Heften erfährt man ungewöhnlich viel über Flucht, Überleben und Verfolgung in Italien, über prominente Flüchtlingen wie Franz Theodor Csokor und Alexander Sacher-Masoch und über das Verhalten der Italiener und Italienerinnen selbst. Die Beiträge zeichnen auch ein Bild davon, wie lebensrettend für viele Flüchtlinge Der Fall Rechnitz Vier Tage und 15 Kilometer war die Rote Armee von der burgenländischen Grenze entfernt, als in der Palmsonntagsnacht des April 1945 in Rechnitz ein Massenmord an mindestens 180 ungarischen Juden begangen wurde. Sie gehörten zu den letzten, ab dem Sommer 1944 beim Bau des „Ostwalls“ eingesetzten Zwangsarbeitern, die gegen Kriegsende auf Todesmärschen eben dieses Verhalten war. Trotz der antisemitischen Dekrete ab 1938, den Internierungen nach 1940, die bis 1943 nach den Richtlinien der Genfer Konvention gehandhabt wurden, und schließlich den Deportationen und Ermordungen tausender Juden und Jüdinnen ab 1943 durch die deutsche und faschistische Armee und Polizei, hatte man im Vergleich zu anderen von den Nazis besetzen oder mit ihnen verbündeten Ländern als Verfolgte und Verfolgter in Italien eher eine Chance zu überleben. Von Widerstandsorganisationen, dem Klerus, bis hin zu „Bauern in abgelegenen Gegenden“ wurde einem geholfen. Trotzdem wurden schätzungsweise 300 ÖsterreicherInnen ermordet. Zusammengetragen und herausgegeben haben die 31 Beiträge und das reichhaltige Fotomaterial in beiden Heften Christina Köstner und Klaus Voigt, der schon 1989 im ersten Band seiner zweibändigen und umfangreichen Recherche zum deutschen Exil in Italien, ein Kapitel den österreichischen Flüchtlingen gewidmet hat. Die Zwischenwelt-Beiträge erschienen mit Ergänzungen, u.a. einem ausführlichen Bericht über das Lager Ferramonti, 2009 in Buchform im Mandelbaum Verlag, in der Buchreihe Exilforschung heute der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung. Eine italienische Ausgabe des Buches ist in Vorbereitung und wird noch heuer erscheinen. Alexander Emanuely Christina Köstner, Klaus Voigt: Österreichisches Exil in Italien 1938 — 1945. Wien: Mandelbaum 2009. 375 5. Euro 24,90 Klaus Voigt: Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933-1945 (Band 1). Stuttgart: Klett-Cotta 1989. 660 S. Euro 68,45 ins KZ Mauthausen verlegt — oder eben wie in Rechnitz, in Deutsch-Schiitzen oder am Prabichl ermordet wurden. In mehr als 150 Gemeinden Osterreichs sind nach den Schätzungen der Historiker an die 24.000 ZwangsarbeiterInnen den so genannten „Endphasenverbrechen“ zum Opfer gefallen. Diesen Zusammenhang herauszuarbeiten, der Nachvollzug der Zeitabläufe, die Charakterisierung der Täter und die Suche nach den vergessenen Geschichten der Opfer, machen den Dokumentenband von Walter Manoschek und seinem Team aus jungen Wissenschaftern zu einem herausragenden Ereignis. Die Autorinnen und Autoren versuchen dabei nicht nur die Ereignisse dieser Nacht minutiös zu rekonstruieren, sondern darüber hinaus den Umgang der österreichischen Gesellschaft mit diesem Massenmord. Wer waren die Täter? Im juristischen Sinne ist es ungeklärt, da 1948 die im Rechnitzer Volksgerichtsprozess Angeklagten allesamt von der Mordtat freigesprochen wurden oder vorher untertauchen konnten. Von den im Jahr 1945 13 Beschuldigten standen letztendlich nur noch sieben vor Gericht, deren Täterschaft durch zahlreiche Widerrufungen, unaufgelöste Widersprüche, Verkürzungen und Ungenauigkeiten zu einer unbeweisbaren Mitbeteiligung herabgestuft wurde, die nicht einmal ausreichte, sie strafrechtlich zu belangen. Die „Mitbeteiligten“ waren angeblich unbekannte SSler, Gestapo-Beamte, lokale Parteibonzen, Volkssturmmänner aus der Umgebung. Keine Täter, keine Opfer? „Weder die genaue Zahl der Ermordeten noch ihre Namen sind bekannt. Jahrzehntelang wurde nach dem Massengrab gesucht, aber es wurden keine weiteren Anstrengungen unternommen, die Identität der Opfer zu klären“, bedauert der Herausgeber und Autor Walter Manoschek. In diesem Band ist es nun erstmals gelungen, fünf der Getöteten namentlich zu eruieren und ihre Lebensgeschichten nachzuzeichnen. Die Ereignisse der Mordnacht 24./25. März 1945 laut Urteil des Volksgerichts: Am Abend des 24.3. fand im Wirtschaftsgebäude des Schlosses Batthyäny ein so genanntes „Gefolgschaftsfest“ der lokalen Partei- und SS-Prominenz statt. Man nahm ein Abendessen und Getränke ein. Nach 21 Uhr ging ein Anruf ein — wahrscheinlich aus der Parteikreisleitung Oberwart -, woraufhin sich die leitenden Persönlichkeiten in ein Nebengebäude begaben, wo die Munitionsverteilung stattfand; Waffen trugen die Beteiligten schon mit sich. Offensichtlich war jetzt der Befehl zur Erschießung der Juden eingegangen. Im Laufe des Nachmittags und Abends waren ca. 200 am Bahnhof Rechnitz lagernde ungarische Zwangsarbeiter in ein Waldstück an der Straße nach Schachendorf verfrachtet worden. Trans1-2/2010 81