OCR
Holzinger hatte im April 1940 eine Kampfgruppe der Gebirgsjäger in Norwegen kommandiert und legte damit den Grundstein für seine Wehrmachtskarriere bis zum Oberst. Ende der 1950er Jahre, nun erster Militärkommandant von Kärnten, pries er den Überfall auf Narvik bei Soldatentreffen als „tollkühnes Unternehmen“ und schmückte sich und die Gebirgsjäger- Veteranen mit „unvergänglichem Lorbeer“. Mit derartigen Frontlegenden durfte dann der Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“ Heinz Stritzl den Blick „auf den Krieg“ - vom Nationalsozialismus war nie die Rede - bis herauf in die 1990er Jahre prägen. Stritzl war mit vielen anderen Kärntner und Östtiroler Wehrmachtssoldaten ebenfalls Gebirgsjäger in Norwegen und Finnland gewesen. Nur wenige stellten sich den Holzingers und Stritzls entgegen. Erfolg hatten sie keinen: Walter Hacker, Journalist und Angehöriger des sozialistischen Exil-Widerstands, wurde 1961 für eine scharfe Kritik an Holzinger gerichtlich verurteilt. Selbst wer mit halbwegs wachen Sinnen aufwuchs, suchte vergeblich nach einer „norwegischen“ Gegenerinnerung. Nun — sehr spat — liegt endlich eine vor: Georg Tidl, Historiker und Journalist, hat das Tagebuch des Karntner Kommunisten Hans Laab „Von der Gestapo gehetzt. Auf der Flucht durch Norwegens Fjorde“ publiziert. Hans Laab, geboren im Jahr 1900, wuchs in Klagenfurt auf. Mitte der 1920er Jahre diente er als Soldat des Bundesheeres in Klagenfurt, politisch war der gelernte Bäcker bereits in der KPÖ aktiv und fungierte als Herausgeber des „Kärntner Bolschewik“. Als im August 1931 während einer von der Polizei gewaltsam aufgelösten Antrikiegskundgebung in Klagenfurt ein Polizist ums Leben kam, geriet Hans Laab als Mitorganisator ins Visier der Polizei. 1935 wurde er als führender Aktivist des kleinen, aber rührigen kommunistischen Untergrunds in Kärnten verhaftet, 1936 zu 14 Monaten Arrest verurteilt. 1937, bereits wieder im Visier der Polizei, sandte ihn die KPÖ nach Norwegen, um in der Hafenstadt Stavanger eine Anlaufstelle für politische Flüchtlinge zu organisieren. Georg Tidl fand das Tagebuch von Hans Laab im wissenschaftlichen Nachlass seiner 1995 verstorbenen Mutter Marie Tidl, selbst Widerstandskämpferin und Historikerin des Widerstandes, redigierte und ergänzte es um biographische Skizzen zu den beiden Hauptakteuren Hans Laab und seinem steirischen Genossen Raimund Huber. Das Tagebuch setzt am 9. April 1940 ein, dem Tag des deutschen Angriffes. Die überstürzte Flucht vor der Gestapo zwingt die beiden in die Weiten der norwegischen Fjordlandschaft: Umgeben von Einsamkeit wollten wir nicht glauben, dass sich menschliche Schicksale innerhalb so weniger Stunden so gewaltig verändern können. Während wir noch in der Früh nichtsahnend aus unseren warmen Bette gestiegen waren, standen wir am Abend desselben Tages in der Wildnis |...] Mit Akribie beschreibt Laab die folgenden 883 Tage bis zum erfolgreichen illegalen Grenzübertritt in das neutrale Schweden. Weitgehend auf sich gestellt, stehen Selbstbeobachtungen — das schwierige Überleben in einer fast menschenleeren, rauhen Natur, die Angst vor Verfolgern, die sich trotz der Abgeschiedenheit in Form einer allgegenwärtigen Nervosität des Gefühlslebens bemächtigt — und die Solidarität im Vordergrund, die den beiden in den Fjorden von einfachen Bauern und Fischern, in den Städten von Widerstandsgruppen zuteil wird. So wird eine gut lesbare, auch spannende, andere „norwegische Erfahrung“ frei, eine von Gehetzten der deutschen Besatzer, die im Bündnis mit dem norwegischen antinazistischen Widerstand stehen. Einziges Manko der gelungenen Edition: Es fehlt eine Karte, auf der man hin und wieder die Routen von Laab und Huber nachvollziehen könnte. Peter Pirker Georg Tidl: Von der Gestapo gehetzt. Auf der Flucht durch Norwegens Fjorde. Das Tagebuch des Kommunisten Hans Laab. Wien: Löcker 2010. 237 5. Euro 19,80 Mit zwei, drei Jahren bei Pflegeeltern in Zürich, dann zur Mutter nach Prag, dann gleich in ein Kinderheim in Stadtnähe mit Wochenendbesuchen bei den Eltern. Dann Reichenberg bei sudetendeutschen Pfle86 _ ZWISCHENWELT geeltern, wo sie kurze Zeit eine deutsche Schule besucht. Wegen der Illegalität der Eltern kann sie nicht länger in die Schule gehen und die Mutter holt sie zu sich. Lisa, wie sie genannt wird, ist sieben Jahre alt. Dann geht es in die Sowjetunion wieder zu Pflegeeltern, wo sie in den Kindergarten muss, weil in der Sowjetunion die Schule erst mit acht beginnt. Die Eltern sind irgendwo. Dann kommen sie nach Moskau, das Kind muss wieder versorgt werden, es bleibt allein in einem eigenen Zimmer im Hotel Lux. 1938 ist der Vater gerade in Moskau, als das Kind an Kinderlähmung erkrankt. Die Mutter ist in Paris, Lisa wird geholt und von da an ist sie bei ihren EItern. Sie ist neun Jahre alt. Zur Behandlung des gelähmten Armes geht es nach Paris, wo sie auch in die Schule geht. Schließlich geht es nach Kriegsbeginn über Jugoslawien wieder in die Sowjetunion, wo sie bis Juni 1945 bleibt und von wo sie danach endlich nach Wien, in ihre „Heimat“, zurückkehrt. Eine Geschichte, die einem Kind nur schreckliches Leid bringen kann. Dies äußert sich, wie sich Elisabeth Markstein, die Tochter des KPÖ-Chefs Johann Koplenig, in ihrem jüngst im Milena-Verlag erschienenen Buch „Moskau ist viel schöner als Paris“ erinnert, u. a. in Nägelbeißen und Weinen am Klo. Ein Kind, das so eine Odyssee durchmacht, weiß nicht wohin und zu wem es gehört. Jedoch müssen die Jahre in der Sowjetunion Lisa auch Halt und Geborgenheit gegeben haben. Die sowjetische Gemeinschaft hat ihr ein „Wir“-Gefühl vermittelt, ein Gefühl der Zugehörigkeit, sie war nicht mehr allein und verloren. Bei ihrer Rückkehr nach Wien fühlt sie sich daher zunächst auch fremd und geht später als Studentin für ein Jahr zurück in die Sowjetunion. Ihre tragische Kindheit kann Elisabeth Markstein durchaus kritisch sehen. Auch die Mutter Hilde wird als autoritär und gefühlskalt gezeichnet. Beim Vater jedoch hört die Kritik auf und auch Marksteins Verhältnis zum Stalinismus/Kommunismus erweist sich als höchst ambivalent. In dem Abschnitt „Mein Vater Johann Koplenig“ verwahrt sie sich vehement dagegen, ihren Vater als Stalinisten bezeichnet zu sehen. Eine Zeitung hatte ihn so genannt, woraufhin ihre jüngste Tochter einen Leserbrief schrieb: „Ihr Großvater gehöre zu den besten Menschen, die sie kenne.“ Elisabeth Markstein weiß genau, was ein Stalinist ist: „Doch in einer Sache bin ich mir sicher: Es bedurfte, um Stalinist zu sein, abgesehen von der Befolgung Stalin‘scher und anderer Kremlbosse Anweisungen eines immensen persönlichen Potenzials an Herrschsucht einschließlich der Bereitschaft, politische Gegner zu massakrieren. Und mein Vater