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„Noch sind der Spuren/ unserer Gegenwart/ wenig“ Novalis, Hymne an die Nacht Sage, wenn du magst: erzähle, wenn du kannst, allein: bekenne nicht, lege keine Beichte ab und klage dich nicht an. Man kommt auf deine Spur, auch wenn du verduftet bist Sei also streng mit deinem Munde, zähle die Worte, meide das Mehr, bleib kurz bemessen Bestehst du die Regel, machst du die Ausnahme Preisgekrönt, tust du das von dir Erwartete unverzüglich, unverzeihlich, dankbar Die Tage des Überlebenden, seinen Lebensabend eingerechnet, sind Dankopfer Anerkennen ist eine erlesene Kunst, widerstehen eine rückenstärkende Fürs Schreiben im Widerstand und im Exil ist der Theodor-Kramer-Preis gedacht, gut gedacht, denn das verbindende und hält einen Spielraum zwischen beiden offen. Im Exil muss ich mich befinden, Widerstand muss ich überall leisten können, wo ich mein Wort fallen lasse oder wo es zu Fall gebracht werden soll. Doch auch dabei ist Vorsicht geboten. Also muss auch dem Widerstand, wenn er geleistet werden soll, widerstanden werden. Widerstand verlässt sich auf die Unzufriedenheit nicht, er rollt die Fahnen ein und verbündet sich mit dem Elend der im Dienst grau gewordenen Worte, mit der auf den Hund und das Bellen gekommenen Sprache, die sich alles bieten lässt, was ihr nicht gefällt: auf Verbiegen und Verbrechen. Widerstand als Dienst im Grauen. Ohne Fahnen, ohne Sprüche, in reiner Haltung, schafft sich der Preisträger ein neues Gehör aus altem Sprachgut Dichter machen keine Sprüche und nur bestimmte Worte Der Dichter spricht: „Indem mein Wort das Hiersein übertrifft, bin ich schon dort, wohin ihrs nicht begleitet.“ (Rilke) Jedes Leben hat sein Nebenan, jeder Lebenslauf sein Danebengehen Schickt man sich an, aus dem Baum der Erkenntnis einen Baum des Lebens zu machen, wird man aus dem Paradies verbannt. Aus dem Paradies geht es in die Verbannung. In der Verbannung findet das Paradies seine Verklärung und also kommt man aus dem Paradies nicht heraus Auch die unglücklichste Erinnerung ist noch ein Schein des Trostes Im Exil richtet man sich ein, es ist ein Ort, den man nicht gern für sich festmacht Überallein, überallaus, allerwegs „In“. Das Thema bietet sich an, wo man sich ausgebootet glaubt Exil - eine festzuhaltende, lebensrettende Tasche; Exil - eine großspurige, seichtlebige Masche jenach, jenoach Wenn wir, wie heute, die Sache auf Hebräisch bedenken Wobei noach das Bequeme meint, aber auch an Noach/Noah erinnert, dem es befohlen ward, die Zivilisation zu verlassen und jenseits der Flut, aus dem puren Überleben, eine neue entstehen zu lassen Man hat, so heißt es, in der Sprache seine Heimat; man hat, so will es heißen, in der Sprache sein Exil Das Vaterland gibt es nur unter Waffen, aus seiner Muttersprache wandert man freiwillig aus. Muttersprache — das Lied des Auswanderers. Es ist kein Drama mehr, wiewohl — in Erinnerung — herzzerreiBend genug Verbannung: Die Anhänglichkeit als Verhängnis Hat man seine Sprache nicht, hat man nicht sein Leben; hat man kein Volk, braucht man keine Propheten; hat man nichts vor, sehnt man sich zurück. fällt man in Ohnmacht, kommt man zu sich Das je und je Versäumte ist von Ewigkeit; Exil wird Diaspora 3/2010 15