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Galutopol Oder: Vaterland Exil [Seneca:] „Du wirst verbannt!“ Da wird mir nur mein Aufenthalt, nicht aber mein Vaterland verwehrt. Ich finde es in jedem Lande. Es gibt keine Verbannung, nur eine zweite Heimat Dann wiederum sagt er: „Nusquam est qui ubique est“: Nirgends lebt, wer überall lebt Wie stand es, wie steht es um mich? Das Kind denkt nicht an seine Zukunft, es hat keine Vergangenheit. Ich wurde mitgepackt und verfrachtet; mehr geworfen denn verbannt. Ich könnte trotzdem sagen: Aus Österreich vertrieben, aber in Israel gelandet. Es wäre darum ein Frevel, dächte ich nur, ich lebte im Exil. Meines Ortes gewiss und sicher, legte ich, Ende des Jahres 1962, einen Weg zurück, der nicht der meine war und doch unweigerlich der meine werden sollte. Und erneut, wie verhängt, setzte er mit einer Rückkehr nach Österreich an. Auch Vergessen hat Tradition, auch Trägheit ihre Tragweite Es spricht ein jeder von seinem Weg, die Strassen behält er für sich Was ist ein Tag, bei so vielen Wochen, die Jahre werden, Mond um Mond Was man sich einbildet, findet man in sich vor Wer das Erzählbare nicht innehat, wird seines Lebens nie gewiss, selten froh sein können Die Erinnerungen besagen, dass man sich in anderen liebte In mir fühl ich/ Der Geschäftigkeit Ende/ Himmlische Freiheit/ Selige Rückkehr. In wilden Schmerzen/ Erkenn ich deine Entfernung/ Von unserer Heimat/ Deinen Widerstand/ Gegen den alten/Herrlichen Himmel (Novalis, Hymne an die Nacht) „Sprache ist die Heimat des Dichters, zugleich aber auch der Weg, auf dem er nach ihr sucht“. (Sahadutha) Ist Sprache aber heimatlich heimlich, nicht auch unheimlich heimatlich? Wo beginnt die Heimat und was fange ich mit ihr an? 16 _ZWISCHENWELT Das Exil bringt uns auf den Gedanken, erfordert aber einen anderen Begriff, denn Exil färbt die Poesie mit Farben, die nicht allein aus der Sehnsucht kommen. Das Heimweh, so unumgänglich wie unaustilgbar, schafft eine neue Sprache, die keine Heimat ist. Heimat ist zu matt. Ich habe das Wort auch nur in meinem ersten Buch gebraucht, als ich mich genötigt sah, meine Sehnsucht als Heimweh zu verklären. Ich hatte ja meine Heimat in Israel, und hatte auch keinen Grund, mich zur Exilliteratur zu rechnen. Als ich in Berlin 1965 geschrieben habe, Sprache sei die Heimat des Dichters, war's mir aus der Seele gesprochen. Seitdem machte meine Seele große Wanderungen; ich würde heute das Wort Heimat nicht gern in den Mund nehmen. Möglich, dass ich damit auch meine Vorstellung vom Dichter aufgäbe. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Heimatdichter, so harmlos sie sein mögen, geeignet waren und geblieben sind, einem die Heimat zu verleiden. Der größte Heimatdichter Österreichs war Theodor Kramer, an seiner Dichtung lässt sich das Exil ermessen. Die Bedeutung seines Exils ist die, dass der Heimat in ihm kein Haar gekrümmt wurde, und dies bei klar bleibenden Sinnen. Kramer wusste, woher er kam und wohin er gehörte, und dass beides nicht übereinstimme. Dessen ungeachtet machte dies seine Sprache aus. Er hatte sein Herz nicht gezähmt, aber erzogen, und alle Sinne, die er nicht nur betastet und getestet, sondern auch auswendig kannte, zur Weisheit gezwungen. Die Reue lieben, doch sich nicht zu bessern, heißt den Branntwein Gottes zu verwässern. Wir sprechen darum von Theodor Kramer und nicht von Heimatdichtung. Und von Kramer sprechend, sprechen wir von der Weisheit der Sinne, die eine robuste ist, einen Zug ins Salomonische aber aufweist. Sein Reim ist eine aufgehende Rechnung; sein Lied von der Angst gibt den Klang eines Loreleyerkastens wieder: ungewollt, aber auch unentbehrlich jüdisch. „Und jede Pein/ wird einst ein Stachel/ der Wollust sein“ (Novalis, Hymne an die Nacht) Im wahren Namen liegt die Erträglichkeit der Daseinslast Als Gott den Gedanken hegte, einen Menschen zu schaffen, überlegte er sich das laut und ausgedehnt, dass die Dienstengel es vernähmen: „Wir wollen einen Menschen machen!“ „Was ist der Mensch“, fragten die Engel, „was liegt an ihm?“ „Seine Weisheit“, sagte Er, „überfliegt eure Weisheit, auch ist er klüger als ihr.“ Nun führte er ihnen zum Beweis allerlei Tiere vor: „Was ist denn dies, wie sollte jenes heißen?“ Sie wussten das nicht; voll Weisheit, wie sie waren, fiel ihnen zu keinem Tier ein Name ein; sie waren nicht fähig, Wort und Tier aufeinander zu beziehen, zu verweisen. Nun führte Er dieselben Tiere Adam vor, und dieser warf einen einzigen Blick auf sie, und sagte unumwunden: „dieses hier heißt Ochs, und jene dort Pferd, Esel und Kamel“; die Namen kamen wie geritten aus seinem Mund heraus — „und Du“, unterbrach ihn Gott, „wie heißt denn Du?“ „Auf mich“, sprach Adam, „würde Adam passen, Adam Irdisch, bin ich doch aus Adama gemacht,