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Im Wunsch, mich einzuholen, gehe ich mit jedem Wort zu weit Alle Wege waren oder werden Umwege Immer ist eine Fiktion, es gibt uns nicht immer Erwartungen sind der Pöbel im Reich der Hoffnung Ausgenommen Alle Entfernungen liegen im Ermessen, Gottes Ferne ausgenommen Alles ruht, wenn es schläft, das Gewissen ausgenommen Alle Ängste kann man miteinander teilen, die Todesangst ausgenommen Der Glaube ist ein Strich durch die Rechnung Aber auch Gnade verführt Und sind die Rollen verteilt, spielt das Drama sich ab Der Rufer in der Wüste weiß nur eines sicher: es kommt wie gerufen Gegen das Vergessen heißt nicht für die Erinnerung Zur Erinnerung muss man sich selbst ermahnen Ungewiss ist auch unsere Vergangenheit 18 _ ZWISCHENWELT Juden wissen nichts besser, aber länger Kein Wort, das nicht oft genug gebrochen wird; aber auch gebrochene Worte müssen wieder gehalten werden Versöhnung ist ein Moment der Schwäche, auf den alles ankommt So endete, liebe Siglinde Bolbecher, meine Danklesung für den mir verlichenen Theodor-Kramer-Preis 2010. Was mir der Preis bedeutet, habe ich mit jedem Wort zu sagen versucht, schwerer zu sagen ware, was Theodor Kramer mir ist oder war. Nun gehört es zu meinem Dank, dass mir diese Schwere genommen wurde dank Herrn Prof. Karl Müller, der das Gehör besitzt für Heimat und Exil, und Frau Dr. Daniela Strigl, eine Kramer-Forscherin, die zu meiner Freude bereit war, einen Kramer-Blick auf mich zu werfen. Ich wäre in Verlegenheit, müsste ich darlegen, warum und wieso mir gerade Kramer am Herzen liege, wie es von Preisträgern erwartet wird. Vor mehr als vierzig Jahren war ich auf seiner Spur und bin fast so lange in Besitz seiner Erstausgaben, die mitunter höchst kurios sind, wie in meinem Briefband VIELZEITIG (Bochum, 2007) berichtet. Ich hätte länger zu erzählen, einiges mehr zu berichten gehabt, alles das verblasste gegen die Mitteilung: „Auf seiner Flucht in die Schweiz 1938 trägt Fritz Hochwälder beim Durchwaten des Altrheins bei Diepoldsau das Heft mit den eingeklebten Kramergedichten als einziges Gepäck mit sich.“ Ich habe Kramers Gedichte lange nicht mehr gelesen, aber meine Liebe zur Poesie wäre ohne ihn nicht vollständig, seine Trefllichkeit ist auch für Österreich umwälzend. Für Größe und Flucht vor der Größe gibt es Beispiele genug, die Österreich unverwechselbar machen. Österreich in Bild und Duft und schlafwandlerisch erweckend, auch ätzend auf den Reim gebracht, gibt es nur bei Theodor Kramer. Das ist das Unheimliche an ihm; das Heimliche und Heimatliche, in seinem Für und Wider, sind hinlänglich bekannt. Diese Züge und Vorzüge Kramers sind mir abgegangen. Ich kann trostlos frei meine Liebe zu ihm aussprechen. Nimm es nicht genau, nimm es, wie es kommt und sein wird, ohne dich „Man kann die Poesie nicht gering genug schätzen“, schrieb Novalis, der sie verkörperte. Unsere Zeit, diese, zu der ich vielleicht gar nicht mehr gehöre, hat den Punkt erreicht, an dem dieser Satz zur Blüte kommen könnte. Dann wird meine Erwartung des Hoffens wert gewesen sein