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Daniela Strigl Vom Zweifel beflügelt Laudatio für Elazar Benyo6tz In Elazar Benyoötz‘ vorletztem Buch „Scheinhellig“ steht, mit gelassener Selbstverständlichkeit, untereinem Diktum von Hugovon Hofmannsthal das Zitat eines Paul Koppel, das wie ein Wahlspruch klingt: Mit Gott auf Biegen oder Brechen, mit dem Judentum auf Gedeih und Verderb, mit meiner Dichtung durch dick und dünn. Paul Koppel, das warderbürgerliche Namedesgebürtigen Österreichers Elazar Benyoétz, und just dieser dient ihm bis heute als Dichtername, er hat ihn nicht abgelegt, wie man alte Kleider ablegt, aus denen man herausgewachsen ist. Beide Namen stehen in seinem Reisepaß. Die Geschichte seiner Herkunft und seiner Abschaffung (wie ein Gedicht Theodor Kramers heißt) erzählte Elazar Benyoätz einmal so: 1937 bin ich in Wiener Neustadt zur Welt gekommen, ein Jahr später sollte ich von ihr ausgeschlossen werden — das war der Anfang, und dieser hieß Anschluss. Ende 1939 erreichten wir, vier Köpfe, drei Rucksäcke, die Küste Erez Jisraels — das war die Rettung, und wir suchten Anschluss. Ende 1943 ist mein Vater, Yoétz Gottlieb ben Elazar gestorben — das war das Unglück. Der Vater, Gottlieb Koppel, der sich in Israel „Yo&tz“ nannte, „Ratgeber“, war 1897 geboren, im selben Jahr wie Theodor Kramer. Er führte mit seinem Bruder Ignaz eine florierende Gemischtwarenhandlung am Hauptplatz von Wiener Neustadt, „Koppel & Stenzel“, und galt, wie schon der Großvater Alois — Elazar —, als gottesfürchtiger, ebenso strenggläubiger wie mildtätiger Mann. Als der kleine Paul mitseinen Eltern und seinerälteren Schwester Ruth Tel Aviv erreichte, hatte die Familie zwar Enteignung und Vertreibung hinter sich, doch aus der deutschen Sprache war sie nicht ausgezogen, wenn auch das Hebräische auf die Kinder einstürmte. Erst mit dem Tod des Vaters, der mit der Mutter stets Deutsch gesprochen hatte, wurde der Abschied von der Mutter- und Vatersprache vollzogen. Mit sechs Jahren vertraute Paul sich dem Neuen an. Als junger Mann absolvierte er eine Rabbinerausbildung. Er begann Gedichte in hebräischer Sprache zu schreiben, nannte sich Elazar (nach dem Großvater Alois) Ben Yoétz, also Sohn des Ratgebers, er publizierte einige Lyrikbände und machte sich einen Namen als Dichter. Und doch blieb als offene Wunde ,,Osterreich,/ in dem ich, von Geburtan erschiittert,/ zur Welt gekommen bin“. Was ihn dazu brachte, 1962 nach Österreich zu reisen? Wohl das Bedürfnis, „das mir fernste Land“, wie es bei ihm heißt, in Augenschein zu nehmen, ihm näherzukommen, da es nun einmal unauflöslich in seinen Lebenslauf geflochten ist. Die Verhältnisse in Österreichs literarischen Kreisen waren damals durchaus verworrene und für Außenstehende schwer zu durchschauen; esherrschteeineamikaleNonchalancezwischen ofhziell und stillschweigend entnazifizierten Autoren, inneren Emigrantenund manchen jüdischen Rückkehrern. Elazar Benyo&tz nahm an der Feier zum 80. Geburtstag des von ihm geschätzten Dichters Max Mell teil, der nach seinem braunen Intermezzo sehr rasch wieder schwarz, also katholisch geworden war. Er begegnete Paul Engelmann, dem Freund Wittgensteins, der baldauch sein Freund wurde. Erbefreundetesichmit dem Remigranten Paul Schick, einem führenden Karl Kraus-Experten. Er lernte Hans Weigel kennen, der ihm als Rezensent lange Jahre die Treue halten sollte, und Jeannie Ebner, die ihn mit ihrer Warnung, seinen Wirkkreis auf Österreich zu beschränken, beeindruckte. Und er, der israelische Dichter, übernahm die Ordnung des Nachlasses von Richard von Schaukal, über dessen mit elitärem Gestus vorgetragenen Antisemitismus ihn Schaukals Kinderaufklärten. Die Nebelbegannen sich zu lichten, doch ehe klare Sicht zu gewinnen war, ging Elazar Benyoetz nach Deutschland, um dort, als 26jähriger, der sich gerade erst anschickte, das Deutsch seiner Kindheit zurückzuerobern, ein kulturgeschichtliches Unternehmen von einschüchternden Ausmaßen zu begründen: die Bibliographica Judaica. Il. So weit Elazar Benyoétz bei der Bergung des Schatzes deutsch-jiidischer Dichtung gedacht und Ausschau gehalten hat, so knapp er hat von allem Anfang an sein eigenes Werk dimensioniert. An einen befreundeten Lektor schrieb er: „Mein Ehrgeiz geht nicht dahin, mit vielen Worten vieleBücherzu produzieren, sondern mitwenigen Worten viele Bücher entbehrlich zu machen.“ Viele Bücher hat Benyoetz dennoch produziert, sie sind in Dutzenden zu zählen. Als er nach fünf Jahren in Deutschland nach Israel zurückkehrte, glaubte er, mit der deutschen Sprache fertig zu sein, dabei fing seine Geschichte mit ihr erst an. Daß er sich dagegen wehrte, nützte ihm vielleicht, es änderte aber nichts. Die deutsche Sprache war eben nicht nur die Sprache der Mörder, sie war auch die der Ermordeten. Oder wie Paul Celan, mit dessen Werk und Freundeskreis Benyogtz vielfach verbunden war, in seiner Dankesrede zum Bremer Literaturpreis sagte: „Sie, die Sprache, blieb unverloren, ja, trotz allem. Aber sie mußte nun hindurchgehen durchihreeigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede.“ 1969 erschien Elazar Benyoétz‘ erster Aphorismenband auf deutsch. DerPhilosoph und Religionshistoriker Gershom Scholem, als Gerhard Scholem in Berlin geboren, 1897, wie Theodor Kramer und Elazar Benyoétz‘ Vater Gottlieb, dieser Gershom Scholem notierte als junger Mann in sein Tagebuch: „Der Aphorismus ist der Wille zur dreifachen Todsünde: Flachheit, Falschheit, Bequemlichkeit. Auch dies ist ein Aphorismus, soll aber keiner sein.“ Elazar Benyoétz zitiert dieses Verdikt, um es nicht gelten zu lassen. Dennoch ist gerade er sich der genannten Gefahren stets bewußt. Vom Aphorismus der wohlfeilen Witzigkeit und der „Sprachgrimasse“ (Benyotz) hält er sich fern. Seine „aphoristische Pointe“ erweist sich, wie Robert Menasse gemeint hat, „nichtin der Zuspitzung, sondern in der Vertiefung“. Seine Mittel sind das Wortspiel, das er gleichwohl mit heiligem Ernst spielt, und die Haarspaltereiam Haupt der Sprache. Die Verrückungoder Hinzufügungwinziger Wort-Segmente, bisweilen bloß einzelner Buchstaben, eröffnet neue Blickachsen auf das altbekannte Sprachgelände. Die Muttersprache schaut uns plötzlich unverwandtan. 3/2010 19