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denn bei den Toten, dahin du fährst, ist weder Werk, Kunst, Vernunft noch Weisheit.“ IV. Mit diesem Preis wollte die Theodor Kramer Gesellschaft auch „ein Zeichen setzen, dass in Österreich nicht alles in eine Richtung verläuft, dass dies ein Land mit seinem Widerspruch ist und im Widerspruch und Ringen mit sich selbst auch weiterschreitet.“ In sein Tagebuch hat Elazar Benyoetz notiert: „Wer sich nicht widerspricht, hat nichts gesagt.“ Vielleicht gilt das ja auch für Nationen. Der Theodor Kramer Preis ist eine verdiente Anerkennung fiir Elazar Benyoétz und ein unverdientes Geschenk an Osterreich, das mit ihm auf einen verlorenen Sohn hingewiesen wird, der sich nie verlor und nie verloren ging, „unverloren, ja, trotz allem“, ein Sohn, den das Land nur allzu lang nicht suchen, ja nicht einmal vermissen wollte. In „Fraglicht“ findetsich der Stoßseufzer: „Um jeden Preis, nurnicht umsonst!“ Selbst die Frage der Würde läßt sich mit Humorbetrachten. Daß Preise eitel sind und die Freude über Preise eitel ist und Haschen nach dem Wind — wer wüßte das besser als Kohelets gründlicher Leser? „Der Abstieg des Menschen/ vom Sein zum Gelten“, wie Benyo&tz das nennt, droht ihm selbst, dem stets Wachsamen, nicht, den hohen Auszeichnungen zum Trotz, die er mittlerweile aufsein Haupt versammelt Elazar Benyoétz Eine Nachgeschichte In memoriam Ich bin in der Lage, der Kramer-Literatur Authentisches beizutragen, und freue mich über die Gelegenheit, dies als Preisträger zu tun. Es ist ein Dank fiir sich- an die mich Ehrenden, an die um Kramers Werk durch Jahrzehnte sich Bemiihenden und verdient Machenden; der Dank geht aber auch weit zuriick, an zwei nicht mehr Lebende: Dr. Lotte Schaukal (1907 — 1993), die mir die Briefe iiberlassen hatte, und an Richard Schaukal (1874 — 1942), an den Kramer seine Briefe adressierte. Der Dank an Lotte ist ein einfacher, von Herzen kommender: ich war mit ihr befreundet, die Freundschaft ging so weit, daf sie mich in einer Widmung „meinen Bruder“ nannte. Das wollteich ihrauch gern gewesen sein. Als Vaterstochter, dem Erbedes Vatersmit Hautund Haar ergeben, fand sie ihren eigenen Ausdruck - in Übersetzungen aus dem Englischen, aus dem Französischen, vor allem für den Herder-Verlag, vorwiegend also katholische Literatur. Ich hatte das Glück, vielleicht, weil ich ein „wilder Hebräer“ war, gesprächsweise sie kennen zulernen, auch zu erkennen: als einen unverdorbenen Menschen hohen Ranges. In seinem Buch „Winter in Wien“ (1958) erzählt Reinhold Schneider von einem Besuch bei Richard Schaukal. Lotte erzählte mir, daß sie in Reinhold Schneider verliebt war. Das will weiter nichts heißen, ich will es berichtet haben. Sie hatte Reinhold Schneider sicher erkannt, und daraus schließe ich, daß sie auch die Differenz zwischen ihm und ihrem Vater gesehen und verstanden hat. Von Lotte Schaukal zu erzählen, ist die Zeit gekommen; es wäre nicht rasch erzählt, aber leicht. Nicht also meine Geschichte mit ihrem Vater —die, wie auch immer genommen, ob geistig oder seelisch — die zweit22 _ ZWISCHENWELT hat. Das Anderssein als andere, die Distinktion wird schließlich nicht durch diejenigen bewirkt, die den Preis zuerkennen und verleihen, in ihr bestand vielmehr die Lebensleistung des Preisträgers — oder wie Benyo&tz als Devise formuliert: „Sich ausnehmen - sich nicht auszeichnen lassen“. Die Autoritat des Aphorismenschreibers ist eine prekare, heute mehr denn je. Wahrscheinlich ist sie nur noch in einer Geste des souveränen Abdankensauszuschöpfen. Was Elazar Benyoétz über Koheletsagt, den Prediger, der bekennt, König von Israel gewesen zu sein, das ist deutlich aufihn selbstgemünzt, aufdie stolze Bescheidenheit seiner Rede: „Seine Feder in Königsblau tauchend,/ pflegt er seinen entthronten Stil“. So nahe am letzten Punkt dieser Lobrede soll nicht verhehlt werden, dafs Kohelet am Schluß auch eine Warnung vor dem Schreiben immer neuer Bücher ausspricht, „denn vielBüchermachens ist kein Ende, und viel studieren macht den Leib müde“. Aber da hat Elazar Benyoetz keine Wahl, er schreibt ja nicht, um die Zahl seiner Publikationen zu vermehren, sondern weil er sich selbst unablässig auf der Spur ist. In einem Interview hat er gemeint: „Ich bin mir immer voraus; hole ich mich ein, ist auch mein Werk überholt. Die Bücher müssen immer wieder geschrieben werden.“ Und das ist für seine Leser ja eine beruhigende, eine erfreuliche Aussicht. komplizierte meines ganzen Lebens war. Die erste war die Geschichte mit meinem, aus Auschwitz kommenden Stiefvater, Benzion Gottlieb, Ehre seinem Namen. Allein die Zusammenstellung beider Falle, weist schon auf das Ausmaf$ der Komplexität, die darzustellen ich mich bis heute gedrückt habe. Richard von Schaukal war — je älter desto mehr — Antisemit, in einem Maße, das mir im gelebten Leben nicht vorgekommen war. Seine Antisemitica, mit seinen Kommentaren versehen, würden, in Räumlichkeit übersetzt, eine Folterkammer der Inquisition, vielleicht schon ein Vernichtungslager ergeben. Es war ein blinder Hass, der nach außen nicht wütete, sondern geradezu bemüht war, sich ästhetisch in Grenzen zu halten. Er argumentierte daltonistisch, wie Dichter es zu tun pflegen, wenn sie den ganzen Heine, dem ihre Jugend galt, nicht glühend, nur überzeugt für einen Vers Mörikes hergeben. Schlimm für den Dichter, wenn er lieber Denker sein will. Und das wollte Schaukal, der mit einem Brevarium zum 100. Geburtstag Heines (13. Dezember 1897) seine Laufbahn pflasterte. Damals ware er, wie andere seiner Zeitgenossen (z.B. Emanuel von Bodman) sicher bereit gewesen, als unehelicher Sohn Heines erkannt und anerkannt zu werden. So gern er sich als großer Denker in der Nachfolge Kants denken mochte, blieb er Literat durch und durch. Literatur war seine erste, war sein letzte Liebe. Und diese Liebe, die nicht zum Strahlen kam, weil er ein verbitterter Mensch war, vermochtemitunterden Hassaufzuwiegen. Blind auch in seiner Liebe, war er doch instinktsicher. Er wusste wo die Dichtung wohnt und hatte dafür einen Riecher (Antisemiten schnüffeln gern) undgingan keinem poetischen Goldkern gleichgültig vorbei. Seine eigene, einst geschätzte Dichtung, stieg immer tiefer im