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Rang. Die Rolle, die er spielte, wird er nimmer spielen. Aber auch seiner Dichtung wird Gerechtigkeit widerfahren müssen. Sein kritisches Vermögen war bedeutend, und wo es nicht von Blindheit geschlagen war, machte es auf mich Eindruck. Damit will ich sagen: Das Bild Schaukals muss von daher aufgerollt werden, und nicht von seiner massenhaften oder familienzärtlichen Lyrik, die von der kritiklosen Gegenseite kommt. Sein Dandytum, seine wachsende Verbitterung, schließlich seine partielle Lähmung ließen ihn nach und nach vereinsamen. Der einst im Leben stand, stand nur noch in Büchern. In einer Weise, die mir nicht verständlich werden sollte - und durch unglaubliche Erschütterungen hindurch - ist Richard Schaukal, den ich in meinen jungen Jahren im Tel-Aviver Ramsch entdeckte, und zwanzig Jahre nach seinem Tod, 1963, in seinem Haus leibhaftig, also höchst eingebildet begegnete — mein zweiter Stiefvater gewesen. Von den Lasten, die ich in meinem Leben tragen musste und nicht abtragen konnte, war diese die schwerste. Einzig in meinem Werk habe ich sie überwunden, ihre Spuren wären kaum in diesem zu entdecken. Schaukal war in meiner Jugend vielleicht jemand, dem ich ähnlich werden wollte, er ist derjenige geworden, von dem ich mich am weitesten absetzte. Das ist aphoristisch zu nehmen. Schaukal war auch Aphoristikerundhhieltsich für einen bedeutenden, wahrscheinlich — weilesseine Art war— für den größten. Es mag umstritten sein, dazu gehört, was man nie vergessen darf: Kein Schaukal ohne neidischen Blick; den neidvollsten Blick richtete er auf Karl Kraus. Seine Schrift über Karl Kraus (1933) gibt indirekt Aufschluss über seine Einstellung zu Theodor Kramer. Bei Kraus musste er eine Beziehung zu Israels Propheten herstellen, bei Kramer musste er es nicht. Er wusste natürlich, daß Kramer Jude war. Das wusste man in Österreich immer, wer dasnichtwusste, warschlecht informiert, aber auch schlecht beraten. Liestmanz.B.die Korrespondenz von und um Weinheber, hört man das Wimmeln der Informationen. Jeder, der etwas auf sich hielt, hatte seine Zuträger, Informanten, Schnüffler, Spitzel. Schaukal hatte von dieser Sorte — die Gediegendsten; der bedeutendste von Ihnen — Österreich möge mir die Indiskretion verzeihen — war der sonst höchst diplomatische Otto Forst de Battaglia. Ein anderer war der deutsche Wilhelm Stapel. Was nun gegen den Antisemiten Schaukal spricht, spricht für den Ästheten, jüdisch betrachtet ist es nicht viel, anders gesehen nicht wenig, da sich Schaukal zu dem Urteil hinreißen lässt: „Iheodor Krameristein geborener Dichter, ein männlicher, schonvom Leben verschattet [...], einseltsames Gemisch fortdrängendeSchwerflüssigkeit; er erzwingt kraft seiner geradeaus und mittendurch zielenden Seelenstärke einen schütternden und erschütternden Rhythmus, der auch die widerstrebendsten Worte mitreißt. Hier ist übrigens zuerst österreichische Saftfülle. Seinem ‚Böhmischen Knecht‘ prophezeie ich Unsterblichkeit.“ Diese Sätze, 1930 für Theodor Kramer eingelegt, sprechen heute für Richard von Schaukal. Es würde sich lohnen, sein Vorwort zur „Anthologie junger Lyriker aus Österreich, zusammengestellt von Friedrich Sacher“ aufdie jüdischen Autoren, die er also gewissals Juden identifizierte, zu untersuchen (Eidlitz, Kramer, Kalmer, Waldinger, Wittner). Er hatte damals nicht alles über Kramer sagen können, aber alles, was iiber Kramer seitdem —pauschalistisch, nichtanalytisch—gesagt wurde, ist im Kern nicht sehr viel mehr. Und Kramer, der so robuste wie mimosenhafte, ging darauf ein, und wusste dem ideologischen und politischen Feind gebührend Respekt zu erweisen. Die Sache, für die Kramer in seinem letzen Brief Partei ergriff, entzieht sich meiner Kenntnis, über Stapel weiß ich mein eigenes Lied zu singen. Hier aber geht's um Kramer, und der Fall verdiente eine subtile Betrachtung. Ich glaube nicht, dass Richard Schaukalals Dichter Kramer etwas bedeutete, die paar Zeilen in dessen Vorwort haben es Kramer angetan. Also schätzte er Schaukal. Der Schatten liegt einem jeden vor, mitunter zu Grunde; es gibt nichts ohne diese „Vorlage“, wir sind genötigt, auch lustlos und träge darüber zu springen, der Schatten bleibt immer liegen. Der Antisemit Schaukal gönnte dem Juden Kramer sicher nichts, der Ästhet und Liebhaber der Poesie prophezeite einem Gedicht von ihm schon 1930 Unsterblichkeit. Ob Österreich den Sprung über diesen Schatten vollbrächte? Also: Der Vergessenheit entrissen, auf eine neue Spur gesetzt. Oder: Jenseits des Politischen. Mein Nachtragzur Kenntnis Iheodor Kramers Wien, 17. November 1931 Sehr geehrter Herr von Schaukal! Ihr schöner Brief trifft mich in einer Krankheit an, die mich bisher nicht zur Lektüre der oesterreichischen Anthologie kommen liess. Ich gestehe, dass mich die Ankündigung der Anthologie in der Wiener Presse, die meinen Namen nicht nannte, verletzte; ich habe dies auch den Herausgeber wissen lassen. In der Einführung zur Anthologie des Kristallverlages haben Sie mich sehr warm erwähnt; begreifliche Scheu hat mich als den weitaus Jüngeren gehindert, Sie damals meine große Freude wissen zu lassen. In aufrichtiger Ergebenheit Theodor Kramer Anthologie junger Lyrik aus Österreich. Hg. von Friedrich Sacher; Vorwort von Richard v. Schaukal, Wien: Krystall-Verlag 1930. Beiträger: Basil, Billinger, Bormann, Eidlitz, Fischer-Colbrie, Franke, Goll, Haringer, Henz, Kalmer, Kramer, Leifhelm, Lernet-Holenia, Lindner, Ludwig, Mitterer, Nüchtern, Sacher, Sachs, Scheibelreiter, Schreyvogl, Staude, Stebich, Szabo, Waldinger, Weinheber, Wittner, Zerzer. Wien 19, Golzgasse 10/7. Wien, 21. April 1933 Sehr geehrter Herr von Schaukal! Die Schaukalgesellschaft hat mir ihre April-Mitteilungen gesandt. Die Angriffe, die Herr Dr. Stapel gegen Sie richtete, entzogen sich bisher meiner Kenntnis. Ich will Ihnen auch nicht verschweigen, dass meine eigenen politischen Interessen anderer Natur sind. Den Mitteilungen lässt sich jedoch zweifelsohne entnehmen, dass Ihre Aeusserungen entstellet wiedergegeben wurden und dass die Angriffe in gleicher Weise der Grundlagen und einer vornehmen Gesinnung entbehren. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass solche Angriffe, wie sie heute leider an der Tagesordnung sind, sehr kränkend wirken können. Ihre vornehme und makellose Haltung ist vielen bekannt, und daran werden solche Ausfälle nichts ändern. Ich gestatte mir, Sie dies, was meine Person betrifft, wissen zu lassen, und wünsche sehr, dass Sie sich die Sache nicht zu nahe gehen lassen. Wie immer Thr aufrichtig ergebener Theodor Kramer 3/2010 23