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mit dem Gänsekiel und hielt das politische Geschehen in Österreich und ganz Europa detailliert fest. Alfredo Bauers Tante Anna Sommer konnte dieses einzigartige Dokument vor ihrer Deportation nach Theresienstadt an sicherer Stelle verwahren. Sie überlebte, fand es wieder und gab es schließlich ihrem Neffen Alfredo Bauer. Auf Spanisch erschien der Romanzyklus 1976 bis 1985 und wurde ein Erfolg; der vierte Band „Prueba de Fuego“ (dt. „Feuerprobe“) wurde 1982 mit der Ehrenschleife des Argentinischen Schriftstellerverbandes, der „Faja de Honor“, ausgezeichnet. Nur die ersten beiden Bände der Pentalogie erschienen 1985 und 1986 auf Deutsch, und zwar im Verlag der Nation, in der DDR. In Österreich blieb Bauers monumentales Werk bisher unbeachtet. Jetzt plant der Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft die Herausgabe des gesamten Romanzyklus auf Deutsch. Gerührt hat Alfredo Bauer am Ende der Präsentation gesagt: „Es hat mich natürlich sehr gefreut, dass der Roman in Argentinien so Florian Müller gutangenommen wurde. Aber dass er jetzt auf Deutsch erscheinen soll, noch dazu in Österreich, das bedeutet mir ungemein viel!“ 2011 soll das Projekt verwirklicht werden, die Vorbereitungen dazu sind bereits voll im Gange, Herausgeber, Lektorat und wissenschaftliche Mitarbeiter stehen in den Startlöchern. Was das Vorhaben bisher noch hemmt, ist die Finanzierungsfrage. Die fünf Bücher - alle sollen in einem Band herauskommen - haben zusammen einen beachtlichen Umfang. Der finanzielle Aufwand ist hinsichtlich des Umfangs, der Gestaltung und der wissenschaftlichen Bearbeitung enorm und für einen kleinen Verlag, wie den der Theodor Kramer Gesellschaft, kaum alleine zu bewältigen. Wir suchen daher finanzielle Unterstützung für dieses Projekt. Für Förderer der Publikation planen wir eine Sonderedition von 100 Exemplaren. Ein Prospekt wird erstellt. Monika Tschuggnall Enrique Medina staunt nicht schlecht, als er die Polizeistation in der Calle Moreno berritt. Statt den gestrengen Blicken eines Beamten erwartet ihn ein freundschaftlicher Gruß: „Wie geht's dir, Alter?“ „Schon lange nicht mehr gesehen...“ Die diensthabenden Polizisten sind Kommilitonen aus seiner Jugenderziehungsanstalt. „Was führt dich hierher?“ „Schau mal, sie haben mir ein Buch verboten und jetzt habe ich diese...“ In seiner Hand hält er eine Vorladung der Abteilung für moralische Angelegenheiten. „Uff... Aber du bist doch ein Depp!“, unterbricht ihn der Beamte. „Du darfst einfach nichts gegen uns schreiben, du Depp!“! Wenige Tage zuvor hatten Polizeieinheiten in insgesamt vier großen Buchhandlungen Ausgaben seines Romans „Sölo Ängeles“ („Nur Engel“) und Werke von drei weiteren Autoren beschlagnahmt.? In einer ersten Aussendung teilte die Polizei mit, sie habe wegen Gefahr im Verzug gehandelt, also ohne behördliche Anweisung.’ Die Werke hätten den Artikel 128 des Strafgesetzbuches verletzt. Die Bücher wurden demnach aufgrund ihrer Obszönität aus dem Handel entfernt.‘ Der Autor verteidigte sein Werk daher zunächst gegen den Vorwurf der Pornographie, bis er bei dieser denkwürdigen Vorladung den wahren Grund für die Maßnahmeerfuhr. Erwird.also zum Leiter der Abteilung für moralische Angelegenheiten geführt, „rechts hinten den Gang entlang, gleich neben den Toiletten“, wie er später zynisch anmerken wird.’ Der Polizist in Uniform weist ihn auf eine Stelle im Roman hin, an der ein Verkäufer pornographischer Zeitschriften über die Polizei schimpft. „Aber hören Sie einmal: Das sagt nicht der Autor, das sagt ein Protagonist, der ist ein Marginalisierter und ich kann das, was er denkt, eben nicht ändern. Sie wissen doch genauso wie ich, dass so jemand wohl kaum die Polizei loben wird“, verteidigt sich Medina mit dem Fiktionalitätsanspruch und erntet eine Woge des Zorns von seinem Gegenüber: „Medina! Stellen Sie sich doch nicht so blöd!“ Der junge Autor antwortet selbstbewusst: „Na gut, ich 26 _ ZWISCHENWELT kann Sie nicht davon abhalten, esso aufzufassen. Aber ich verteidige nur mein Recht als Schriftsteller, dass meine Protagonisten alle Freiheiten haben, die sie wollen.“ Mit einem Beamten sollte man keine literarischen Streitgespräche führen. Wenig später muss Enrique Medina über seine Kühnheit selbst den Kopf schütteln.° Seinen Freunden aus Jugendtagen hat er es wohl zu verdanken, dass er das Amtsgebäude an diesem Tag lebend und unverletzt wieder verlässt. Die Zensurbehörde, namentlich die Kulturabteilung der Stadt Buenos Aires, sah sich unter Zugzwang und verbot das Werk mit der Resolution Nr. 17 vom 10. Jänner 1974, einen Bescheid, der nach einem langwierigen Prozess des Verlags am 18. März 1977 mit der Resolution Nr. 79 wieder aufgehoben und durch eine Verkaufsder Polizei, bei dem es auch zu temporären Festnahmen kam, damals noch für großes Aufsehen sorgte, unterzeichneten 50 Autoren und Personen des kulturellen Lebens eine Protestnote, die das berühmte Zitat von Oscar Wilde enthielt: Es gibt keine unmoralischen Bücher, nur unmoralische Leser.’ Doch dieser Schlag der Zensur sollte nicht der letzte gegen Medinas Biicher bleiben. Auch in den anderen Fallen ging es darum, politisch nicht gewiinschte Literatur unter dem Vorwand der El Duke - als „erster Roman, der den Horror der Repression aufzeigt“, wurde das Buch nach Ende der Diktatur 1984 gepriesen. Foto: flom 2007 moralischen Bedenklichkeit aus dem Weg zu räumen.