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HEREDIA [...] Sie sind natürlich mit einem gültigen Reispaß der deutschen Reischsbehörden eingereist? [...] Sind Sie e Jud? KORNAU [...] Bin ich hier aufs Rassenpolitische Amt der NSDAP in Berlin vorgeladen? Oder zehntausend Kilometer weiter südlich in einer freien Republik des amerikanischen Kontinents gelandet, wie? [...] HEREDIA [...] Muito rebelde; muito rebelde. Jetzt gebe Sie Obacht, mein rebellisch Freundche. [...] Februar Neunzehnhunnerteinunvierzig wolle Sie eim gebildet Mensche un Militär weismache, die Achs hat de Krieg verlore? [...] in Berlin hocke die Hitleriste [...] in Wien [...] un in Rom [...] Überall Faschistas! [...] Un in Brasilie [...] Zwei Millione deutsche Faschiste, eine Million Italienerfaschiste. [...] ich [...] bin für de Adolfo.” Während die Figur des Kommissars Novais durch seine politischen Ansichten ein Bindeglied zwischen der alten Heimat und dem Zufluchtsland darstellt, ist der Samba ein Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Welten. „Becher uses the samba to symbolize the untapped power and vitality of the Brazilian people as well as to illustrate the reasons for their powerlessness. Becher also uses music in Samba [...] to intensify the action.“”! Dies gilt um so mehr, als Becher mit der Samba-Musik eines der Elemente des afro-brasilianischen Kulturerbes gewählt hatte, das seit den 1930er Jahren als die populärste und weltweit bekannteste Musik- und Tanzgattung Brasiliens angesehen wird. Denn durch die nationale Aufwertung des kulturellen afro-brasilianischen Erbes versuchte das diktatorische Regime unter Getülio Vargas die Schaffung eines allımfassenden Identitätsgefühls zu erreichen. Neben dem Samba wurde auch der fast untrennbar damit verbundene Karneval als Teil der Volkskultur instrumentalisiert, um als „Medium der Vermittlung von Botschaften [...] historische Themen zu präsentierten [sic].“”” Dass beide hierbei der staatlichen Zensur unterlagen, um jegliche kritische Äußerung zu verhindern, versteht sich von selbst. Die große Beliebtheit, derer sich der Samba und Karneval bei den Brasilianern, hauptsächlich bei unteren sozialen Schichten, erfreut, ist vor allem auf die Möglichkeit zur Selbstdarstellung zurückzuführen. Daher wird im Karneval auch sehr oft die Forderung nach Anerkennung und sozialer Gerechtigkeit erhoben. Der Karneval war deshalb für die Afro-Brasilianer in jenen Jahren ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens, weil er bei aller Überwachung und Vorgaben seitens des Vargas-Regimes zum Sinnbild des kulturellen Widerstands geworden war. Ferner existierte eine enge Verbindung zwischen dem Samba und der afro-brasilianischen Religiosität, die weitverzweigt war und heute auf verschiedenste Weise fortlebt. Becher hatte diese Zusammengehörigkeit zwischen Samba, Karneval und der afro-brasilianischen Religionen selbst kennen gelernt und sie deshalb in seinen Werken wiederholt aufgegriffen. Er selbst wurde von einem pai de santo, einem Priester der afro-brasilianischen Religionen (wörtliche Bedeutung: Vater des Heiligen), in die Ursprünge und das Ritual der afro-brasilianischen Religion macumba eingeführt. Dieses Wissen allein war jedoch nicht ausschlaggebend für Bechers Entschluss, dieses Motiv literarisch umzusetzen. Vielmehr gab ihm eine Zeitungsmeldung, die er im August 1945, wenige Tage nach der japanischen Kapitulation, in einer New Yorker Zeitung gelesen hatte, die Anregung dafür. Zum Empfang einer Kompanie des brasilianischen Expeditionskorps [...] hatte der Delegado (Polizeichef) einer Kleinstadt des Staats Minas Geraes [sic] einen ‚Siegesumzug‘ veranstaltet. |...] als Lebende Bilder WV Sestoscercege “4eocgagızaı > ; e . ss. ao? hie pe ,ere se 00993) a seoe29#} ee pierre oers apa me. .ı9 are 0 - or Axl Leskoschek, Initiale zu Ulrich Bechers „Brasilianischer Romanzero“ mitgeführt wurden die geschlagenen Kriegsherren des Dreiecks BerlinRom- Tokio [...] Die Darsteller: Einheimische. Auf der Heimkehr von dieser Fete wurde der Darsteller des Hitler gemeuchelt. [...] daß sich dieser notwendigste Tyrannenmord der Geschichte als winziges, höchst bizarres Gleichnis und ausgerechnet dort, wo buchstäblich der Pfeffer wächst, an einem ‚Lebenden Bild‘, einem ganz Unschuldigen vollzog, [...] rechtfertigt beinahe den Wunderglauben [...]:Gott ist Brasilianer.” Von dieser Nachricht inspiriert, verfasste er das Theaterstück Der Herr kommt aus Bahia, das 1958 seine Uraufführung am Deutschen Theater in Göttingen hatte. Darin erzählte er die Geschichte des Orestes Goyano das Vilas Boas, Anführer einer Räuberbande. In einem kleinen Dorf im Landesinneren von Brasilien wird er von den Einwohnern als Iyrann ebenso gefürchtet, wie als pai de santo geliebt. In einer Parade anlässlich der Feierlichkeiten zum Kriegsende mimt er Adolf Hitler. Indem er sich in dieser Rolle das Gehabe des Diktators zu Eigen macht, zieht er den Hass der Bevölkerung auf sich und wird am Ende gelyncht. Wie Samba iiberarbeitete Becher auch dieses Stiick. Allerdings war in diesem Fall die Revision sehr viel umfassender, wie u.a. der geänderte Titel Makumba (1965) erkennen läßt. Der Autor stellte klar, dass es sich weder um eine zeitpolitische Iragikfarce noch um ein ‚Milieustück‘ handele, das wildfremde ‚Sitten und Gebräuche‘ aufzeigen will. „Das Spiel betrifft die Magie der Macht, die ein kleiner Mann über andre [sic] kleine Leute ausübt, und den plötzlichen Zerfall der Macht.“ Makumba ist daher als politischer Kommentar und Parabel auf den Nationalsozialismus anzusehen - in Bechers Art. Die afro-brasilianische Religion wird zum entscheidenden Medium, um diese Art der Machtausübung zu veranschaulichen. Die [...] Negersklaven brachten ihren Götterkult mit. Ihre christianisierten Nachkommen haben unternommen, die Orixald, die Götter, in den christlichen Heiligen zu „sublimieren“. /...] Die abendländi3/2010 31