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sche Zivilisation, die [...] der Schwarzen Magie der Wasserstoffbombe verfallen ist, hat nach des Stückeschreibers unbescheidener Ansicht keinerlei Veranlassung, auf die Makumbagläubigen hinabzublicken. Fest steht, daß ein Einzelner kraft der Makumba eine gewaltige magische Macht über Andere ausübt, zuweilen Gebieter über Leben und Tod.” Als Zeuge des allmählich aufkeimenden Kalten Krieges war es Becher in den 1950er und 1960er Jahren ein Anliegen, auf die Gefährlichkeit der Atombombe aufmerksam zu machen. In diesem Sinne ruft im Stück der Kommunist Hannibal Cascadura zum Widerstand gegen die Atombombe und die macumba gleichermaßen auf und sieht im Sozialismus die Lösung für beide Formen von „Schwarzer Magie“. HANNIBAL [...] Makumba ist Opium fürs Volk, hat Lenin verkündet! [...] Helft mit bei der Organisation des Atomfriedens! Es kommt auf jeden an! [...] Auch auf dich, Proletarier der Steppe von Minas! [...] Da verbreitet ein Kleinbauer und Bandit als Großer Zaubervater [...] Furcht und Ehrfurcht [...] und lafst sich auf dem Höhepunkt der Schwarzen Messe von seinem Teufelsgott reiten. [...] Schwarze Magie. [...] Der Sozialismus wird alle Makumba der Vergangenheit abschaffen.” Hier benennt Hannibal nicht nur seinen großen Feind, den Räuberbandenchef Orestes Goyano das Vilas Boas. Vielmehr deutet er auch schon den Höhepunkt einer jeden macumba-Zeremonie an: das Hinabsteigen der Götter, in den afro-brasilianischen Religionen orixds genannt, und deren Eintritt in den Körper eines Kultteilnehmers, der gemäß des afro-brasilianischen Vokabulars vom orixd „geritten“ wird. Als orixd von Goyano gibt er den „Teufelsgott“ an. Gemeint ist Exu, dessen Rolle die eines allgegenwärtigen Boten zwischen den Göttern und Menschen ist und der oft als das Äquivalent zum christlichen Teufel angesehen wird, weshalb ihn Becher als „Teufelsgott“ bezeichnet. Gerade weil Becher die Zwie 32. ZWISCHENWELT lichtigkeit in Goyanos Charakter hervorheben wollte, ordnete er ihm diesen orixd zu. Weil er verstanden hatte, dass die Trance, der essentielle Bestandteil der afro-brasilianischen Religionen, ein religiöses und psychologisches Phänomen ist, bediente Becher sich ihrer ganz bewusst als Inszenierungsmittel und versuchte sie literarisch zu sublimieren, um seinen Widerstand und Kampf gegen den Faschismus zumindest mit Hilfe der Feder zum Ausdruck bringen zu können. Denn in der Trance bemächtigen sich die Geistwesen des Menschen, um ihn zu ihrem Medium machen und sich durch ihn zu artikulieren. In diesem Sinne läßt Becher am Ende des Stückes Adolf Hitler Goyanos Körper „reiten“ und den deutschen Diktator durch den brasilianischen Räuberbandenchef sprechen. Goyanos Trance ist ein Zustand der „Dissoziation“, in dem er seine Umgebung nicht mehr wahrnimmt und sich seines Zustandes nicht bewusst ist. Sein Handeln kann auf eine „Art Doppelbewußtsein als vermeintliches Wirken eines fremden Geistes“ zurückgeführt werden.”” Goyano negiert, dass es sich bei seiner Darstellung des Diktators um ein Spiel handelt, und erkennt als Hitler die eigene Tochter nicht mehr. Er wirkt als Hitler so überzeugend, dass es ihn sein Leben kostet. Der Polizeichef Milton de Sä liefert die möglichen Motive für diese Tat, die seiner Meinung nach dem Räuberbandenchef wie dem deutschen Diktator galt. DELEGADO [...] Daß er [...] zum Freiwild wurde, hängt [...] mit der Verletzung eines T a b u s zusammen |...] Als [...] Großer Zaubervater hätte er sich nicht fortlocken lassen dürfen von der Makumba [...] Obwohl wir [...] nichts als Goyanos Skelett vorfanden, spricht alles dafür, daß der Mann erstochen worden ist. [...] Und zwar [...] von mehreren [Reitern]. [...] naive Antinazis, die [...] den notwendigsten Tyrannenmord der Geschichte auszuführen vermeinten. [...] Oder verbiesterte Nazis deutschbrasilianischer Provenienz, die sich durch Goyanos Darbietung in ihren immer noch heiligen Gefühlen verletzt fanden. |...] Manche auf dieser Welt werden noch lange an Hitler glauben.” Um so wichtiger war es für Becher, seine Opposition zur nationalsozialistischen Terrorherrschaft zumindest mittels einer „literarischen Hinrichtung“ Hitlers mittels Rückgriff auf die spiritistische Welt der afro-brasilianischen Religionen zu demonstrieren. Nicht unerwähnt sollte in diesem Kontext die Tatsache bleiben, dass die Darstellung Hitlers als Gangster, Räuber, Hypnotiseur und Zauberkünstler ein häufig verwendetes Sinnbild in der Exilliteratur war. Bechers literarische Verarbeitung bildet jedoch eine Ausnahme, da er der einzige Autor unter den Flüchtlingen des Nationalsozialismus ist, der aufgrund eigener Fxilerfahrung in Brasilien seine Botschaft anhand landesspezifischer, kultureller Elemente seines exotischen Zufluchtslandes deutlich machte. Mit seinen Stücken Samba und Makumba sowie seinen anderen Dramen etablierte er sich nach dem Zweiten Weltkrieg nach Meinung der Kritiker zu einer „der stärksten Persönlichkeiten des kritischen Realismus, des kämpferischen, bürgerlichen Humanismus in der heutigen westdeutschen Dramatik. Die Konsequenz der sozialen Analyse, der Mut zur humanistischen Parteilichkeit, das Bekenntnis zur aufrüttelnden Mission der Kunst ist rühmenswert.“” Marlen Eckl, Mag. Dr. phil., Historikerin und Literaturwissenschaftlerin, studierte Komparatistik, Judaistik und Jura in Mainz, Ulpan, Beer Sheva, sowie Geschichte an der Universität Wien. Ihre Forschungsgebiete sind u.a.