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Reisepässen verhelfen konnte. Mit dieser Gruppe sind auch die Eltern Becher in Brasilien eingetroffen; Danas Eltern, den Rodas, ist im selben Jahr nach großen Schwierigkeiten die Einreise in die USA gelungen, wo sie in New York Wohnsitz nehmen. „Brasilianischer Romanzero“ In den folgenden Jahren, die Uli und Dana zunächst in Rio de Janeiro — wo auch Richard und Elise Becher Wohnsitz genommen haben -, später auf einer kleinen Urwaldfarm im Orgelgebirge in der Nähe von Terosopolis zubringen, tritt eine spürbare Entspannung in der Beziehung Ulis zu seinen Eltern ein. Das Verhältnis ist partnerschaftlich geworden. Weiterhin dreht sich der Briefwechsel hauptsächlich um Gesundheits- und Geldprobleme. Das tropische Klima birgt neue Gefahren, man hat es mit Ängsten vor allen möglichen Infektionen, vor Tollwut und Lepra zu tun (an seinen Freund Grosz wird Uli später schreiben, er sei in Brasilien aus Angst vor der Syphillis zeitweise zum „Monogamsbock“ geworden), und auch die Gesundheit der Eltern gibt immer wieder zu Besorgnis Anlass. Die immer schon sportliche Mutter Elise unternimmt ausgedehnte Ausflüge zu Pferd, was Uli ziemlich riskant erscheint. Doch das Leben in Brasilien scheint seine Nerven zu beruhigen, und jetzt, nachdem der unmittelbare Erfolgsdruck von ihm gewichen ist, gelingt es ihm auch, sich selbst und seinen Ambitionen als Schriftsteller gegenüber eine objektive Haltung einzunehmen: „Wie man sieht, die Zeit stemmte sich gegen den jungen UB (sie wird eines Tages aufhören, es zu tun). Nicht dass mich der äußere Misserfolg im allergeringsten verbitterte. Ehrlichen Herzens, es war mir nicht unangenehm, er stählte mich, war mir weitaus angenehmer als ein Eintageserfolg, der mich in jungen Jahren vielleicht erschlagen hätte.“ Er lässt in diesem Brief aus dem Jahr 41 die Jahre seiner erst kurzen Laufbahn als Schriftsteller Revue passieren, die Zeitumstände, die vielen Krankheiten, die seine Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt haben, gedenkt auch der kurzen Freundschaft zum „todnahen“ Ödön von Horväth, dessen Unfalltod ihn in eine tiefe Depression gestürzt habe, und fasst bereits das Ende des Krieges ins Auge: „Ich glaube nicht an den langelangen Krieg, von dem heute alles spricht. 43 erahne ich als Jahr der siegreichen Demokratie, als Endjahr zehnjähriger Teufelsherrschaft.“ Die brasiliani schen Jahre sind eine Zeit literarischer Produktivität; 38 _ ZWISCHENWELT abgesehen von der Mitarbeit an einigen Emigrantenzeitschriften, schlagen jedoch alle Publikationsversuche fehl. Es finden sich weder geeignete Übersetzer noch Verlage für seine Kurzgeschichten und Gedichte. Auch sein „Brasilianischer Romanzero“, eine großangelegte Verserzählung, die vom Maler Axl Leskoschek mit Holzschnitten illustriert wird, findet in Brasilien keinen Verleger. In seinen Eltern hat Uli in diesen Jahren unermüdliche Leser und Berater, Mittelsleute auch bei den spärlichen Kontakten zu Schweizer Verlagen. Vor allem aber ermöglichen sie weiterhin das materielle Überleben. Ende des Jahres 1943 ziehen Uli und Dana nach Säo Paolo, wo die Publikationsmöglichkeiten etwas besser sind und es Uli gelingt, einige Zeitungsartikel zu veröffentlichen. In der Schweiz lebt sein Bruder Rolf; inzwischen als Chemiker promoviert, hat er Anstellung in einem Laboratorium in Basel gefunden. Mit seiner rechtschaffenen, unauffälligen Lebensweise gibt er sozusagen den bürgerlichen Gegenpart zu Ulis schillernden BohémeExistenz. Rolfs Heiratspläne werden ziemlich herablassend und gönnerhaft abgehandelt: „Ich weiß nicht, ob Rolfs Langweiligkeit als Mann durch Strahlung des langweiligen Gretchens entstanden — für eine geistigen Dingen offene, hübsche Dame aus kultivierter Familie, wie man sie sich als Schwiegertochter wünscht, ist Rolf, Schweizer, ein bisschen — zu langweilig.“ Die Schweiz gerät auch in diesen Jahren nie aus dem Blickfeld. Aufmerksam liest Uli die Auslandsausgaben von Schweizer Zeitungen, und mit Empörung bemerkt er, mit wieviel Verständnis und stellenweise Sympathie das faschistische Italien dort behandelt wird. Trotz der engen Verbundenheit befreit sich Uli in diesen Jahren von allen weltanschaulichen Bevormundungen und Einflüssen durch die Eltern: den Glauben an ein idealisiertes Christentum, die Überwindung von Profitgier und Selbstsucht durch die Botschaft des Evangeliums, hat er nun hinter sich gelassen. Uli und Dana haben sich in Brasilien mit dem bereits erwähnten österreichischen Maler Axl Leskoschek befreundet (er ist das literarische Vorbild für die Hauptfigur in dem Roman „Murmeljagd“), und sein orthodoxer Marxismus-Leninismus bleibt nicht ohne Einfluss auf das jungen Emigrantenpaar. Mit der Bergpredigt, schreibt Uli im Herbst '44 könne man „in DIESER Welt keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorlocken“. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich Uli und Dana bereits in New York. Dank den Bemühungen Roda Rodas war ihnen im Sommer 1944 die Einreise in die USA ermöglicht worden. Hier trifft Uli auf viele alte Freunde, wie George Grosz, Carl Zuckmayer und Friedrich Torberg, mit dem er sich kurz darauf über die Rechte an der Kunstfigur „Neidinger“(dem späteren „Bockerer“) prozessieren wird. Trotz enger und dichter Kontakte mit Emigrantenkreisen, die sich in New York um die Journalistin und Roosevelt-Vertraute Dorothy Ihompson gebildet haben, folgt Uli im Großen und Ganzen dem Rat seines Freundes George Grosz: „Zu keiner Partei rennen! Dein Geheimnis als Künstler bewahren ... Schlag deine Jahrmarktsbude auf und versuche, das Publikum anzulocken, dann hast du‘s in paar Jahren geschafft. Von Migrantenpolitik halte dich bittebitte fern ... « Zwischenstation New York In New York ist Dana, hochschwanger, bei ihren Eltern untergekommen. Ihre Eltern, die Rodas, wohnen in einem Apartmenthaus an Manhattans endlos langer Westend Avenue. Sie führt auf der