OCR
Christiana Puschak Psychoanalyse und Revolution Marie Langer wird am 31. August 1910 als Marie Lisbeth Glas in einer wohlhabenden assimilierten jiidischen Familie in Wien geboren. Sie bezeichnet sich selbst im Riickblick als aufgewecktes Kind, voller Leidenschaft und Wissbegier. Bereits als Madchen verschlingt sie Bücher über Revolutionärinnen. Als in patriarchalischen Strukturen aufgewachsener Tochter erscheint ihr das „Revolutionär-Sein“ als eine der wenigen Möglichkeiten, den festgelegten Rollenerwartungen für Frauen zu entkommen: „Sich der Revolution anzuschließen, hat den Frauen offensichtlich ermöglicht, ihrem üblichen Schicksal zu entrinnen.“ Als besonders förderlich für Maries Entwicklung zu einer emanzipiert denkenden und selbständig handelnden Frau erweist sich der Besuch der von der Frauenrechtlerin und Sozialreformerin Eugenie Schwarzwald gegründeten Schwarzwaldschule, aus der zahlreiche weibliche Freigeister wie Vicky Baum, Alice Herdan-Zuckmayer, Elisabeth Neumann-Viertel, Else Pappenheim, Hilde Spiel, Helene Weigel u.a. hervorgingen. Von Kind an ist Marie Langer höchst empfindsam gegenüber Ungerechtigkeiten jeglicher Art. Das Aufbegehren gegen die Benachteiligung von Frauen ist wohl als erster Schritt zu einer ihrer großen Lieben neben der Liebe zur Psychoanalyse und zum politischen Engagement für die Menschen anzusehen: Zum Feminismus, einem sozialistischen Feminismus, der sich nicht gegen Männer richtet, sondern ein Kampfan der Seite der Männer sein soll. Ihre politische Gesinnung, ihr Streben nach Gerechtigkeit wie ihre offene Einstellung zur Sexualität werden durch den Austausch mit vielen in der Schwarzwaldschule lebenden Schülerinnen verstärktund lassen sich bald nicht mehr mit der in ihrem Elternhaus herrschenden Doppelmoral vereinbaren. Sie unternimmt den äußerst ungewöhnlichen Schritt, sechs Monate vor ihrer Matura zu heiraten und diese als Ehefrau zu absolvieren, also keineswegs „noch im Rahmen des Konventionellen“, wie Paul Parin in seinem Nachruf auf sie schreibt. Während ihres Studiums der Medizin - ihres lang gehegten Studienwunsches — in Wien erfährt sie den sich immer mehr ausbreitenden Antisemitismus. In Kiel, wo sie nach ihrer einvernehmlichen Max und Marie Langer, vermutlich in Colmenar (Spanien) 1937. Foto entnommen aus dem „Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer“ von Hans Landauer in Zusammenarbeit mit Erich Hackl. (Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2003, 2., erweiterte und verbesserte Auflage 2008). 40 ZWISCHENWELT Scheidung für ein Semester ihr Studium fortsetzt, ergibt es sich, dass sie Hitler reden hört: „Da habe ich alles gesehen, was kommt.“ Wieder in Wien tritt Marie 1933 in die bald darauf in die Illegalität gezwungene Kommunistische Partei ein, eine Partei, die gesellschaftliche Umwälzung verspricht und ihrem Leben jenseits des Persönlichen einen neuen Sinn gibt. Aktiv ist sie unter dem Decknamen „Mimi“. Nach Beendigung ihres Medizinstudiums 1935 wird ihr die Aufnahme einer klinischen Tätigkeit verwehrt, ihr als Jüdin quasi Berufsverbot erteilt. Erst in der Frauenabteilung der Psychiatrischen Universitätsklinik findet sie eine Arbeitsstelle. Um die psychischen Probleme ihrer Patientinnen besser verstehen zu können und „die damals übliche Praxis [...], rein phänomenologisch die Krankheitssymptome zu beschreiben“, zu durchbrechen, hatte sie zunächst als Patientin eine Psychoanalyse begonnen, aus der ein Jahr später eine Lehranalyse wird. Die Aufnahme dieser Lehranalyse stürzt siein Konflikte mit der KB, deren Mitglieder der Psychoanalyse gegenüber reserviert oder völlig ablehnend sind und „den subjektiven Faktor als Störquelle ... zu erkennen“ glauben: „Mit der Analyse und der Partei gleichzeitig zu leben, war nicht immer einfach.“ Als Mitorganisatorin von „Ärzte für den Frieden“ lernt Marie ihren späteren Ehemann Max Langer kennen, einen linkssozialistischen Chirurgen, mit dem sie 1936 als Freiwillige zu den Internationalen Brigarden nach Spanien geht, um sich an der Verteidigung der Republik gegen die Franco-Faschisten zu beteiligen und arbeitet als Anästhesistin im Feldspital Colmenar bei Madrid und in Murcia. Die Niederlage der Republikaner in Spanien wie der „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland veranlassen sie über Frankreich nach Uruguay und dann nach Argentinien zu flüchten. Zwischen 1939 und 1953 werden ihre vier Kinder geboren. In Buenos Aires arbeitet sie als Psychoanalytikerin und ist Gründungsmitglied und spätere Präsidentin der Argentinischen Psychoanalytischen Gesellschaft (APA), die in die Internationale Psychoanalytische Vereinigung (IPV) Aufnahme findet: „Ich versuchte, meine eigene Art als Psychoanalytikerin zu finden, und auch institutionell für eine gute Vereinigung zu kämpfen.“ Auf Kongressen der IPV engagiert sie sich in Vorträgen für eine gesellschaftlich offene Psychoanalyse, die einen gewichtigen Beitrag leisten könnte, „die konfiktive Komplexität des Menschen zu lösen“, und die das „soziale Interesse“ nicht verliert. Aber die Mehrheit der Mitglieder der APA wie der IPV lehnen ihre Sichtweise ab und interessieren sich nicht für die soziale wie ökonomische Realität außerhalb ihrer Institution. Offen kritisiert sie die Psychologisierung des breiten Protestes gegen den Vietnam-Krieg in den USA, der als Ausdruck einer Rebellion der Söhne gegen die Väter bagatellisiert und politisch neutralisiert wird. Auf dem internationalen psychoanalytischen Kongreß in Rom ist sie maßgeblich an der Gründung der linksoppositionellen Plataforma beteiligt. Ihre Projekte, mit Arbeitern Gruppentherapien in Fabriken durchzuführen und ihre Engagement in der Psychatrie-Gewerkschaft, bringen sie auf die Todeslisten der Militärjunta und von deren Todesschwadronen. Dass die Mehrzahl der KollegInnen sich den Machthabern andienen und sich mit ihnen zu arrangieren suchen, ihr jegliche öf