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fentliche Tätigkeit untersagt und sie zur persona non grata der IPV erklärt wird, motiviert ihren Entschluss, ins zweite Exil nach Mexiko zu gehen. Dort gelingt es ihr, als Iherapeutin, Lehrerin der Psychoanalyse und Universitätsdozentin, ihr Wissen um die Psychoanalyse und die Vereinbarung von politischem und psychotherapeutischem Handeln in den Dienst der Verfolgten, Unterdrückten und um Unabhängigkeit kämpfenden Staaten Lateinamerikas zu stellen. Von Mexiko aus wird sie in der Bewegung Salud Mental in Nicaragua aktiv und beteiligt sich dort „beim Aufbau eines sozialpsychiatrischen Netzes“. Die mit ihr später befreundete und ebenfalls in Nicaragua aktiv an ihrer Seite sich engagierende Kollegin und Schriftstellerin, Erika Danneberg, bezeichnet Marie Langer als „Repräsentantin gelebter Geschichte“. Ihr Handeln ist geleitet von Aufklärung und Streben Anton Thuswaldner Eine macht sich auf auf den Weg zu sich selbst. Mit sich im Reinen ist sie nicht, mit der Gesellschaft auch nicht. Eine, die sich „in dauernder Einzahl“ empfindet, hat das Glück nicht für sich gepachtet. Vielleicht muss sie es deshalb belagern, dass es mürbe wird und ihr dann einfach zufällt. Sie ist allein und ist es doch nicht. Sie befindet sich nämlich im Klammergriff der Ahnen, die sie nicht in die Freiheit entlassen. „... die tastenden Finger der Vorfahren“ suchen sie auf, suchen sie heim. Da soll erst einmal eine ins Gleichgewicht finden. Die Welt der Cvetka Lipu ist nicht im Lot. Sie ist aber auch nicht heillos. „Hier sind die Koordinaten Bestand und Verfall“, heißt es einmal. Zwischen diesen beiden Polen, zwischen Bestand und Verfall organisiert sich ein ganzes Leben. Was heißt ein ganzes Leben! Viele Leben, eigentlich alle, bewegen sich nicht schnurstracks „aufder Geraden des Erfolgs“, sondern mühen sich ab, wenn schon nicht zu sich selbst, so doch zu einer Art des Erfolgs zukommen. Davon wissen die Gedichte der Lipu$: von den Mühen, eine Sehnsucht mit einer ganz und gar nicht dazu passenden äußeren Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Die Vorstellung und das Erlebte, der Wunsch und das Leben, die Hoffnung und die Erfahrung — das sind Gegensatzpaare, die einen Einzelnen auf Trab halten. Nichts passt zusammen, die Innenwelt und die Außenwelt sind ein Gegensatzpaar, das auf Versöhnung drängt, aber einen gemeinsamen Nenner nicht finden kann. Kein Wunder, der gemeinsame Nenner ist ein mathematischer Bergriff, was hat der schon im Reich der Gefühle und der Leidenschaft verloren! Wo man hinschaut in der lyrischen Welt der Cvetka Lipus, ein lyrisches = a Cvetka Lipus. — Foto: Marko Lipus nach Gerechtigkeit; ihr Credo lautet, den Menschen zu helfen, Subjekte ihrer Geschichte zu sein, und ein Bewusstsein zu entwickeln, „das ermöglicht, die Gesellschaft grundlegend ändern zu können“. Ihre Teilnahme am Aufbau der Bewegung Salud Mental findet ein Ende durch die Destabilisierung Nicaraguas seitens der USA, denen die sandinistische Bewegung ein Dorn im Auge ist. Unheilbar krank, kehrt sie aus dem Exil in Mexiko nach Buenos Aires zurück und erliegt 1987 im Kreis ihrer Familie ihrem Krebsleiden. Literatur Marie Langer: Von Wien nach Managua. Wege einer Psychoanalytikerin. Freiburg i. Breisgau: Kore 1991 (3. Auflage). Raimund Bahr: Marie Langer — Biographie. 1910 Wien — Buenos Aires 1987. St. Wolfgang; Edition Art & Science 2004. Ich, das Frieden mit sich macht, suchen wir vergebens. Überall eine Spannung, ein Zerren und Reißen an den Strängen der Nerven. Zerreißen werden sie aber nicht. Denn Lipus$ ist keine Verkünderin des Unheils, nur eine Sängerin der Traurigkeit. Dabei kann es in ihren Gedichten hart zugehen. Die Sprache wird militant, der Ton aggressiv. Lider sind „Augenvisiere“, mit denen sich die Unangreifbaren vor den Zumutungen der Welt retten. Aber das ist nicht der richtige Weg, das macht uns eine Dichterin vom Schlage der Lipu$ deutlich. Sie steht zu ihrer Verletzlichkeit, zu ihrer Angreifbarkeit. Denn wer „unter Barockfassaden im Panzer“ wandelt und „bis an die Zähne bewaffnet mit Gleichgültigkeit ist“, kann nicht das Ideal eines Menschen abgeben. Das wissen wir hier in Österreich, da wir unter Barockfassaden Tag für Tag von Signalen der Gleichgültigkeit gereizt werden. Die Einsamkeit ist das Problem. Sie hat sich noch jeden geholt. Das kann man bedauern, Hilfe gibt es dennoch nirgends. Nur nicht versinken im Fluss der Gefühle, in die uns schlechte Gedichte hineinreißen, als gehörte es zu deren nobelster Aufgabe, uns zu ertränken in den unaufgearbeiteten psychischen Dramen der Menschheit. Daspielt Lipus nicht mit. Eine sehr genau bearbeitete Sprache, ein geschärftes Bewusstsein, die Reflexion sind es, die den Zweifel, die Unruhe, den Mangel erst definieren. Das Gedicht ist nur die künstlerisch sublimierte Version des Widerstands gegen das Unvermeidbare, um nicht zu Boden gedrückt zu werden. Jedes Gedicht ist ein Akt des Aufbegehrens, sich nicht klein kriegen zu lassen. Es behauptet, jedes fürsich und jedes Mal ganz neu, dass die Verfasserin weiß, was vorgeht. Zum Stillschweigen darüber verpflichtet sie sich nicht. Hier haben wir keine Gedichte, die im Privaten aufgehen, die gar das Leben der armen Cvetka nachzeichnen würden. Die Autorin entgeht der Individualisierungsfalle, weil sie auf anderes, auf mehr abzielt. Sie sucht den existenziellen Nukleus, den wir alle in uns tragen. Welches Ich sich hier auch immer zu Wort melden mag, wie viel Erfahrungsmaterial hierauch immer verarbeitet wurde, angesprochen sind wir. Das ist nicht gerade gemütlich, aber wann hat Literatur schon mit Gemütlichkeit zu tun. Cvetka Lipus: Belagerung des Glücks. Gedichte. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof: Klagenfurt: Drava 2010. 80 S. Euro 17,80 3/2010 41