mit meinen Kameraden am Tag ausschwärmen. Da ich stechen¬
de Kopfschmerzen hatte, fragte ich einen Kameraden, ob er mei¬
ne Schicht übernehmen würde. Er sagte zu.
Am Nachmittag erhielten wir einen Anruf von der britischen
Polizei in Gaza, die uns mitteilte, dass die fünf Kameraden in ei¬
nen Hinterhalt von Beduinen geraten und massakriert worden
waren. Meine vier Mitbewohner waren tot; ich schlief in der da¬
rauf folgenden Nacht allein im Zimmer, ein fürchterliches Ge¬
fühl.
Als wir, die fünf Überlebenden unserer Einheit, Ende 1947 in
das neu errichtete Militärlager bei Nir Am überstellt wurden, wa¬
ren wir froh, endlich einer größeren Einheit zugeordnet zu sein.
Irgendwie erinnerte hier manches an die Aufbruchstimmung, die
man aus Wildwestfilmen kennt. Einige Männer liefen mit langen
Bärten und Hüten der australischen Armee herum, sie gehörten
zu den legendären „Chajot Hanegev“, einer Einheit, die später
mit auf Jeeps montierten Maschinengewehren kämpfte.
Wir glaubten damals nicht, dass es zu einem Krieg kommen
würde, und erwarteten lediglich einen Kampf mit arabischen
Banden. Im Januar 1948 sah alles danach aus. Der Verkehr zwi¬
schen den jüdischen Ortschaften wurde massiv behindert, und
wir konnten nur hoffen, dass die Briten Neutralität wahren wür¬
den, obwohl wir viele von ihnen zu Recht verdächtigten, mit den
Arabern zu sympathisieren. Anfang Januar 1948 wurden wir, die
wir als britische Hilfspolizisten legal Waffen tragen durften, auf
einen offenen Jeep gesetzt. In den arabischen Dörfern wurde auf
uns geschossen, aber zunächst hatten wir Glück. Sehr bald sollte
sich das ändern.
Noch aber begleiteten britische Ordnungskräfte unsere Kara¬
wanen von und bis Nir Am.
Ich war 19 Jahre alt und bereit, das zu tun, wofür wir ausge¬
bildet worden waren. Doch auf die Begleitung von Karawanen
durch arabische Dörfer, in denen wir von Heckenschützen be¬
schossen wurden, waren wir nicht vorbereitet.
Die Nachrichten, die wir täglich in den Zeitungen lasen, wa¬
ren auch nicht ermutigend. Es mangelte uns an Waffen und Mu¬
nition, während die Araber, ohne von den Briten daran gehin¬
dert zu werden, Waffen und Munition aus den Nachbarländern
ins Land brachten.
Ende Februar, Anfang März erhielten wir die ersten „Panzer¬
wagen“, die nichts anderes waren als Lastautos, die eilig in einer
Garage mit Stahlplatten verkleidet worden waren. Meistens fuhr
ich am Kopf der Karawane. Wenn wir durch eine Barrikade an
der Weiterfahrt gehindert wurden, bestimmte der Kommandant
einen „Freiwilligen“, der die Straße räumen musste. Das war na¬
türlich lebensgefährlich, denn die Araber und auch ein paar che¬
malige kroatische und bosnische SS-Männer, die ihnen das Mi¬
nenlegen beigebracht hatten, beschossen uns aus unmittelbarer
Noch im Februar oder März trafen sich der Dorfrichter von Brer
(heute Brur Chajil) — Brer war ein besonders feindliche Dorf
— und der Sekretär des Kibbuz Nir Am vor dem britischen Be¬
zirksverwalter. Unser Vertreter machte dem Muchtar von Brer
den Vorschlag, alle Ortsfremden, also die ehemaligen SS-Leute,
auszuweisen und den Frieden zu wahren. Er versprach im Ge¬
genzug, dafür zu sorgen, dass den Dorfbewohnern kein Haar ge¬
krümmt werde und man ihr Eigentum nicht antaste. Doch die
Bewohner von Brer waren damals noch überzeugt, dass es ihnen
gelingen würde, die Juden zu besiegen. Sie gingen nicht auf das
Angebot ein, sondern behinderten den Verkehr in noch stärke¬
rem Maße.
Ende März wurde auch ich im Panzerwagen in Brer durch ei¬
nen Schuss verletzt, zum Glück war es nur eine Fleischwunde.
Die Araber hatten zu diesem Zeitpunkt bereits panzerbrechende
Munition. Mir brachte die Wunde eine Woche Urlaub im Kib¬
buz Schaar Haamakim ein, wo ich mich erholte, dann fuhr ich
wieder zurück zu meiner Einheit. Die Fahrt in den Norden war
nicht ungefährlich, fast überall, wo Araber wohnten, wurde un¬
ser Autobus beschossen.
Der April 1948 brachte die Wende. Zwischen Nir Am und
Ruchama wurde ein Flugplatz errichtet, und die Briten, die
schon mit ihrem Abzug beschäftigt waren, ließen die Flugzeuge,
die aus Prag kamen und mit Waffen und Munition beladen wa¬
ren, ungehindert landen.
Am Abend des 14. Mai, als der Staat Israel ausgerufen wurde,
rief man unser Regiment zu einem Fahnenappell. Wir standen
mit unseren Waffen in Reih und Glied, und der Regimentskom¬
mandant hielt anlässlich der Staatsgründung eine kurze Rede.
Dann wurde die Fahne mit dem Davidstern gehisst, und der
Kommandant gab uns, den versammelten 800 Soldaten, den Be¬
fehl, sofort schlafen zu gehen, weil man uns in der Nacht schon
wieder wecken würde. Und tatsächlich, um 2 Uhr wurden wir
geweckt. Ich wurde zu den zwei einzigen leichten Kanonen ein¬
geteilt, die wir hatten.
Noch vor Sonnenaufgang griffen wir das Dorf Brer an. Als ich
ein paar Stunden nach der Eroberung ins Dorf kam, erhielten
wir den Befehl, die Hütten zu durchsuchen. Es waren nur weni¬
ge Frauen im Dorf geblieben. Sie wurden angewiesen, ein paar
Kilometer weiter in den Gaza-Streifen zu gehen. Auch wenn da¬
mals Araber Ortschaften verlassen mussten, war es keine flächen¬
deckende oder gar strategisch geplante „ethnische Säuberung“.
Man muss bedenken, dass dies erst nach der arabischen Ag¬
gression geschah, und zwar in einem Kampfgebiet. Immerhin
blieben 150.000 Araber auf israelischem Gebiet, also eine große
Minderheit, wenn man bedenkt, dass damals lediglich 650.000
Juden im Land lebten. In den von Arabern verwalteten Gebie¬
ten durfte jedoch kein einziger Jude verbleiben, auch nicht in der
Altstadt von Jerusalem.
Es gab 1948 und viele Jahre danach in der westlichen Welt - in¬
klusive die internationale Linke — fast keine moralische Empö¬
rung wegen der palästinensischen Flüchtlinge. Das hatte nichts
mit Rassismus oder Kolonialismus zu tun, sondern nur mit dem
geschichtlichen Kontext. Zwei Jahre nach dem blutigsten mili¬
tärischen Konflikt griffen Araber die Juden im Mandatsgebiet
an. Alle wussten welchen Preis die Verlierer dieses Konflikts und
nicht nur sie zahlen mussten, und dabei denke ich natürlich
nicht an die Bestrafung von Nazitätern, die in der Regel weniger
Strafe erhielten, als sie verdienten, sondern an die elf Millionen
deutschen Zivilisten, die in Zentral- und Osteuropa lebten und
ihre Heimat verlassen mussten, mit der Zustimmung von Roo¬
sevelt und Churchill. Historiker schätzen, dass zwei Millionen