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Wolfgang Fritz Am 1. Mai des Jahres 1988 saß ich in einem Bus, der die Hütteldorfer Teilnehmer am Maiaufmarsch zum Penzinger Bezirkstreffpunkt brachte. Bei einer der Haltestellen stieg eine alte Frau ein, groß, mit schneeweißen Locken, das Gesicht von gesunder Röte, und kam direkt auf mich zu. Sie wollte wissen, ob ich der Schriftsteller Fritz sei, wenn ja, so habe sie etwas für mich. Ihre Schwester und ihr Schwager, Hans und Hedi Schneider, seien nämlich am 2. Dezember 1942 abends nach sechs im Wiener Landesgericht enthauptet worden, nachdem sie der zweite Senat des Volksgerichtshofes wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt hatte. Ihre Schuld habe darin bestanden, den Floridsdorfer Kommunisten die Aufstellung eines Vervielfältigungsgerätes in der Werkstätte ihres Gartenhäuschens gestattet zu haben. Weil der Apparat nicht funktionierte, sei es niemals zu jener Herstellung regimefeindlicher Flugblätter gekommen, deren sie beschuldigt worden waren. Ich besuchte Cilli Planinger, so hieß die Frau, und ihren Gatten Franz gleich an einem der nächsten Tage in ihrem selbstgebauten Häuschen am Mondweg, wir saßen im Garten unter einem blühenden Apfelbaum, sie zeigte mir die Briefe ihrer Lieben, die Fotografien und die Dokumente, und sie erzählte von ihrer Kindheit in der Kleinhäuslerfamilie Bock in Matzleinsdorf bei Melk. Von den liebevollen und fleißigen Eltern, von den vielen Geschwistern, und so auch von der kleinen Hedi, die immer schon zu Ohnmachtsanfällen neigte und, als sie 14-jährig zu einer Herrschaft nach Wien als Dienstmädchen kam, an einer offenen Tuberkulose erkrankte. Sie überlebte und lernte den arbeitslosen Malergehilfen Hans kennen, die große Liebe ihres Lebens. Den beiden gelang es, ein Häuschen in einer Gartenanlage in der Leopoldau zu erlangen, die für Langzeitarbeitslose errichtet worden war. Es war ein hartes und entbehrungsreiches Leben dort, aber den beiden ging es gut, schon deshalb, weil die Kleinhäuslerstochter Hedi wusste, was da zu tun war. Sie hielten Hasen und Hühner und züchteten herrliches Obst. Drei Bock-Schwestern lebten in Wien, die Hedi, die Cilli, die ihren Lebenspartner in einem Bürodiener fand, und die Lintschi, die mit einem Fabrikarbeiter verheiratet war, der ebenfalls Hans hieß. 1934 kämpften die beiden Hanseln am Schlingerhof, wobei Lintschis Hans sich eine schwere Verletzung zuzog. Als die Nazis kamen, war es mit dem Glück vorbei. Hans wurde in eine Munitionsfabrik im Harz kriegsdienstverpflichtet, wo er sich eine schwere Vergiftung zuzog. Als er wieder zurückkam, verhaftete man ihn und Hedi. Ein Jahr saßen die beiden im Landesgerichtlichen Gefangenenhaus, von Cilli und Lintschi, die es selber als Soldatenfrauen und junge Mütter alles andere als leicht hatten, aufopferungsvoll betreut. Ich habe schon das erste Gespräch mit Cilli und Franz auf’Ionband aufgenommen. Nach seiner Reinschrift und dem Studium der Dokumente führte ich ein zweites Interview. Beide Quellen miteinander, die Gespräche, und auch und vor allem die wunderbaren Briefe von Hans und Hedi aus dem Gefängnis, musste ich der Nachwelt erhalten, das war mir klar. Es war damals an sich ein guter Zeitpunkt für ein solches Beginnen. Die Waldheimaffäre hatte der Opfertheorie den Todesstoß versetzt, hinter der sich so viele Mittäter und Mitläufer verstecken hatten können, die fünfzigjährige Wiederkehr des „Anschlusses“ brachte wichtige Initiativen zur Aufklärung der Geschichte. Trotzdem brauchte es noch viele Jahre, bis ich ans Werk gehen konnte. Die Akten des Volksgerichtshofes waren mir unzugänglich, sie wurden erst in den 1990er Jahren vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands in Zusammenarbeit mit der PhilipsUniversität in Marburg systematisch ausgewertet, die Ergebnisse wurden im Jahre 2006 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So lange musste ich warten, wollte ich das Schicksal von Hans und Hedi Schneider in allen Zusammenhängen darstellen. Was zeigte sich dabei? Die von Erwin Puschmann aufgebaute Wiener kommunistische Widerstandsbewegung wurde von der Gestapo Anfang 1941 zerschlagen, AktivistInnen gerieten in ihre Fänge, eine erwähnte unter der Folter das Gartenhäuschen und den Druckapparat. Hans und Hedi wurden zunächst dem Wiener Landgericht als Sondergericht zugeteilt, was eine relativ milde Bestrafung zur Folge gehabt hätte. Nun zeigte sich aber Hitler in einer Reichstagsrede am 26. April 1942 unzufrieden mit der Brutalität seiner Richter und kündigte hartes Durchgreifen an. Nun wurde, wohl zur Schönung der Statistik, das Ehepaar Schneider dem berüchtigten Volksgerichtshof zugewiesen. Das bedeutete das Todesurteil. Der Volksgerichtshof hatte seinen Sitz in Berlin, sein 2. Senat tagte im Bedarfsfalle in Wien. Für seine Gerichtsbarkeit hatte man das deutsche Strafrecht zurechtgebogen und einen Tatbestand „Vorbereitung zum Hochverrat“ geschaffen, der jeden Justizmord deckte. Entsprechend fiel das Urteil aus. Cilli und Franz haben die Veröffentlichung „ihres“ Buches nicht mehr erlebt. Sie liegen nun in einem gemeinsamen Grab mit Hans und Hedi auf dem Hütteldorfer Friedhof. Wolfgang Fritz: Die Geschichte von Hans und Hedi. Chronik zweier Hinrichtungen. Wien: Milena 2009. 139 S. Euro 17,90 3/2010 53