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Der Jud lässt lieben Liebesbeziehungen können sehr unglücklich verlaufen. Wer sich an solche Geschichten erinnert, hat stets mit der Bitterkeit zu tun, die sie hinterlassen. Davon macht auch Brigitta Eisenreich keine Ausnahme, wenn sie von ihrer Beziehung zu Paul Celan im Paris der 1950er Jahre erzählt. Neun Jahre hat diese Liebe gedauert, die, nachdem sie gegen Ende immer poröser wurde, schließlich 1962 endgültig zerbrach. Man hatte sich während all dieser Jahre im Verborgenen getroffen, Celan war anfangs schon verlobt, später verheiratet und Vater eines Sohnes, für eine auch öffentlich wahrnehmbare Beziehung war kein Platz. Aber die körperliche Anziehung war unwiderstehlich, man gab sich unsentimental, und lamour mag über lange Zeiten für vieles andere entschädigt haben. Dass das auf die Dauer jedoch nicht gut gehen konnte, haben wohl beide Partner zu lange nicht wahrhaben wollen; man lernt einander kennen, aus der anfänglichen Liebelei wird unversehens eine tiefere Liebe, es kommen Erwartungen auf, die man, trotz aller in Anspruch genommenen Freiheit in dieser Beziehung, nicht unterdrücken kann, Konflikte werden deshalb unvermeidlich, können aber aus demselben Grund nicht mehr gelöst werden. Der Bruch am Ende ist unwiderruflich, vom Tode Celans in der Seine wird Brigitta Eisenreich viel zu spät aus einem alten Zeitungsausschnitt erfahren. Mehr als 50 Jahre danach beklagt die Autorin Erinnerungsschwächen und Gedächtnislücken, die Bitterkeit ist geblieben und schwelt im Untergrund eines Berichts weiter, der sich an der Oberfläche darum bemüht, leidenschaftslos und betont sachlich zu wirken. Das macht die Lektüre dieses Buches so zwiespältig. Einerseits möchte man für die Verfasserin, der Paul Celan einiges zugemutet hat, Verständnis aufbringen, andererseits fühlt man sich in eine späte Abrechnung hineingezogen, der man nur entschieden widersprechen kann. Das kann an den berichteten Fakten nicht liegen, für deren Richtigkeit die Autorin einstehen muss. Es ist also die Art ihres Berichts, der unvermeidlich zu einem Befremden des Lesers führt. Unvermeidlich? Darauf wird noch zurückzukommen sein. Es gibt in den Erinnerungen Brigitta Eisenreichs zwei Stellen, wo der Schein eines objektiven Berichts plötzlich einbricht und ganz kurz ein Blick in die tieferen Schichten der Erzählung gewährt wird. Mit Bezug auf die zahlreichen Frauen, mit denen Celan damals gleichzeitig intime Beziehungen unterhielt und von denen Gisele Celan-Lestrange und 56 ZWISCHENWELT Ingeborg Bachmann nur die bekanntesten sind, schreibt Brigitta Eisenreich: „Er war der Vielgeliebte, daran ist nicht zu zweifeln; er aber ... war er der jeweils ganz und immer wieder Liebende?“ Man kann sagen, dass Brigitta Eisenreichs Darstellung des Geliebten in fast allen Punkten diesen Satz, der nicht ohne Grund als rhetorische Frage formuliert ist, zu belegen geeignet ist: Paul Celan als ein Mann, der Frauen ausnutzte, und das nicht nur auf erotischem Gebiet, als ein bezaubernder Charmeur und Verführer. Es geht am Rande auch um gesellschaftliche Vorteile: die Vereinfachung der Naturalisation in Frankreich oder den Zugang zum Literaturbetrieb. Dass diese Darstellung nicht bloß die persönliche Integrität Celans, sondern auch seine Poetik und sein gesamtes Werk in Frage stellt, liegt auf der Hand. Hier muss man entscheiden, wem man, unabhängig von den berichteten Fakten, die ja schon einer Interpretation unterliegen, trauen will. Der zweite fragwürdige Punkt in Brigitta Eisenreichs Bericht ist ihre Darstellung der Beziehung Paul Celans zum Judentum. Dass Celan sich im Verlauf der sogenannten Goll-Affäre, die ein Skandal weniger wegen einer geltungssüchtigen Witwe, sondern vielmehr wegen der Reaktionen des deutschen Feuilletons war, neu mit dem Judentum auseinandergesetzt hat und seine Identität als jüdische auszuprägen suchte, ist allgemein bekannt, bis hin zu dem späten, vergeblichen Wunschtraum, in Israel leben zu können. Da er im Hin und Her der Angriffe, Verteidigungen, Verleumdungen und Vermittlungsversuche sehr deutliche antisemitische Töne wahrnahm und auch Personen wieder erkennbar wurden, die während des 3. Reichs Karriere gemacht hatten, meinte auch Celan, sich als Jude verteidigen zu müssen. Brigitta Eisenreich hat diese Entwicklung, ihrem eigenen Bericht zufolge, irritiert. Natürlich wäre es Unsinn, ihr eine antisemitische Haltung vorzuwerfen. Sie hat die Verbrechen am europäischen Judentum klar erkannt, weist sich als eine Frau aus, die von Jugend auf nicht mit den Nationalsozialisten sympathisiert hat, hat sich von Paul Celan schließlich zu einem kursorischen Studium jüdischer Überlieferung, besonders der jüdischen Mystik, anregen lassen, deren erotische Konnotationen sie, weil ohne religiöses Interesse, sofort erkannte. Und trotzdem empfand sie Celans Rückbesinnung auf das Judentum auch als einen Angriff, der in dem rätselhaften Wort Verjude doch! kulminierte, das der Geliebte eines Tages ihr gegenüber ausgesprochen haben soll. Dieses Verlangen bedeutete ihr eine Schuldzuweisung, weil sie keine Jüdin war und auch nicht Jüdin werden wollte. Brigitta Eisenreich erweckt den Eindruck, dass ihrer Meinungnach alles getan worden ist, was man tun kann, um die Schuld, die man mit den Verbrechen auf sich geladen hat, aufzuarbeiten. Es gibt in fast jeder Gemeinde einen Gedenkstein, und diese Gedenksteine werden auch gepflegt, das wird sogar mit einer Photographie dokumentarisch belegt. Und damit beginnt die fatale Umkehrung des Vorwurfs: Trotz alledem kommt ein Jude daher, fühlt sich als Jude angegriffen und hält auch denen, die guten Willens waren und sein wollen, die alte Schuld vor, als wäre nichts getan worden. Brigitta Eisenreich versichert sich für diese Wendung sogar der Unterstützung Ingeborg Bachmanns, von der sie sonst sehr wenig hält. Hier kommt ein Ressentiment gegen Juden und Jüdisches zum Vorschein, das seit dem Kriegsende vor allem in der sogenannten besseren Gesellschaft möglichst unauffällig gepflegt worden und mit einem vorweisbaren Philosemitismus verknüpfbar ist. Der eigentliche Skandal ist nicht das Buch, das Brigitta Eisenreich geschrieben hat. Dieses Buch ist ihre subjektive Erinnerung an den einst Geliebten und ihre späte Abrechnung mit ihm. Dementsprechend ist der Quellenwert des Buches zu beurteilen. Skandalös ist wieder einmal das teils begeisterte, jedenfalls aber völlig unkritische Echo der deutschen Presse. Offenbar ist niemand befremdet. So urteilt etwa Iris Radisch in einer führenden deutschen Wochenzeitung: „... ein sehr schönes, durch seine noble Sachlichkeit berührendes Buch.“ Wie damals während der Goll-Affäre ist die Kritik wieder nicht imstande, die untergründige Problematik wahrzunehmen, die auch hier in der Darstellung Brigitta Eisenreichs virulent ist. Und man darf wohl fragen, warum es Kritikerinnen und Kritikern notorisch nicht möglich ist, die Klischees und Ressentiments zu erkennen, die sie durch ihren Beifall tatkräftig befördern - sei es im Konfliktfeld der Geschlechter, sei es im Verhältnis zwischen Deutschen und Juden. Matthias Fallenstein Brigitta Eisenreich: Celans Kreidestern. Ein Bericht. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2010. Euro 23,50 (A)/22,80 (D)