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Manfred Wieninger Der verhängte Diktator Die Prandtauerkirche, im Herzen St. Pöltens direkt neben dem Rathaus in der Prandtauerstraße gelegen, ist an diesem Montagmorgen so leer wie eine Spendenbüchse für Muammar al-Gaddafı und seine Familie. Gelegentlich verirren sich ein paar verschwitzte, Abkühlung suchende Touristen sowie der eine oder andere Kirchendieb in den frühbarocken Kirchenraum, dessen jetziges Inventar erst nach 1945 nach und nach zusammengetragen worden ist. An Feiertagen werden dort lateinische Hochämter nach dem Ritus von 1965 gehalten, werktags ebenfalls lateinische Stillmessen im Ritus von 1962. Auf der Homepage der Prandtauerkirche gibt es ellenlange Predigten über die Erbsünde, den Ablass und gegen die Freimaurer, aber auch „Anweisungen“ zur „Haltung beim Gottesdienst“. Gelegentlich werden in der Kirche auch Vorträge mit Titeln wie etwa „Der Selige Kaiser Karl und die Verehrung des heiligsten Herzen Jesu“ gehalten. Die Prandtauerkirche hat mit dem berühmten St. Pöltner bezichungsweise niederösterreichischen Barockbaumeister Jakob Prandtauer nichts zu tun. Bestenfalls war er in den Jahren ihrer Errichtung als Hauskirche des angrenzenden, von der Fürstin Maria Antonia Josepha Montecuccoli gestifteten Karmeliterinnenklosters, also von 1708 bis 1712, als lokaler Bauleiter tätig und hat möglicherweise ein paar Details des wahrscheinlich von den karmelitischen Ordensarchitekten Martin Wittwer und Mathias Steinl gezeichneten Bauplanes weiterentwickelt, aber auch das ist nur durch kunsthistorische Vergleiche sprich durch gelehrte Spekulationen belegt. 1782 wurde das Karmeliterinnenkloster, das sich im Gegensatz etwa zum St. Pöltner Schulorden der „Englischen Fräulein“ von Mary Ward nur auf das Gebet, auf die innere, spirituelle Einkehr seiner Bewohnerinnen und auf sich selbst konzentriert hatte, von Joseph II. aufgehoben. Die Gebäude wurden säkularisert. Die Prandtauerkirche wurde in eine Kaserne umgewandelt und vor allem als Magazin für Ausrüstung und Waffen verwendet. Ab 1876 hieß die Obere Rathausgasse, in der die Kirche gelegen ist, Kaserngasse. In der Zeit des Ständestaates wurde der Sakralbau vom österreichischen Bundesheer der Diözese St. Pölten rückerstattet und von Bischof Michael Memelauer am 25. November 1934 neu geweiht. Einige Jahre zuvor war die Kaserngasse schon in Prandtauerstraße umbenannt worden, wohl aus Anlass des zweihundertsten Todestages des berühmten Barockbaumeisters. Der neuen Kirche mangelte es nicht nur an Pfarrkindern, sondern auch an kirchlich-religiösem Inventar. Sie wurde daher kirchenrechtlich nur als Filialkirche eingestuft und der alteingesessenen St. Pöltner Stadtpfarre der Franziskaner unterstellt, deren Zentrum beziehungsweise Pfarrkirche sich nur ein paar Steinwürfe entfernt am nördlichen Ende des Rathausplatzes befindet. Ein Kirchenrektor, der sich vor allem um die zu vervollständigende Ausstattung der Prandtauerkirche zu kümmern hatte, wurde bestellt. Nach den Plänen des St. Pöltner Architekten Rudolf Wondracek wurden eine neue Orgelempore eingezogen, die nordseitigen Fenster zugemauert und ein Kunststeinfußboden gelegt. 1940 wurden Deckenfresken in Auftrag gegeben und in der Folge auch großformatige Apostelbilder für die Wände beschafft. 1947 wurden Kirchenbänke angeschafft und 1949 eine neue 4 ZWISCHENWELT Kanzel errichtet. 1961 kam es zu Aufstellung eines barocken, auf einem Entwurf von Johann Lucas von Hildebrandt basierenden Säulenaltares, der aus Schloss Harrach in Aschach an der Donau stammte, bis heute wohl das kunsthistorisch bedeutendste Objekt dieses Kirchenraumes. 1962 wurde ein Tabernakel angekauft, 1973 die Orgel ausgebaut. In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre wurde Reinhard Knittel, der aus Vorarlberg stammende theologische Berater des umstrittenen Bischofs Kurt Krenn, zum Kirchenrektor der Prandtauerkirche bestellt. 1999 ließ dieser zur Freude der St. Pöltner ein elektronisches Läutwerk mit Glockenspiel installieren. 2006 gab er „zur Ausschmückung des Altarraumes“ ein fast schon monumentales Altarbild in Auftrag. Die deutschen Künstler Manfred Stader und Edgar Müller, die auch als Straßenmaler tätig waren beziehungsweise sind, malten die Allegorien der drei göttlichen Tugenden und eine bildnerische Darstellung der Geschichte der Kirche auf riesige Leinwände im Format zehn mal sechs Meter, die neben und über den barocken Hildebrandtschen Altar angebracht wurden. Dabei wurden nicht nur die ursprüngliche Kirchenstifterin Fürstin Montecuccoli, sondern auch Kanzler Engelbert Dollfuß und Bischof Michael Memelauer quasi als sekundäre Kirchenstifter des Jahres 1934 verewigt. Motiv für die späte Ehrung von Österreichs bis heute umstrittensten Kanzler - für die einen ein Märtyrer, für die anderen ein Mörder, für die einen ein Opfer, für die anderen ein Täter, für die einen ein Widerstandskämpfer, für die anderen ein Diktator, für die einen eine hehre Lichtgestalt, für die anderen nichts als ein Klerikalfaschist mit Blut an den Händen — laut dem Vorarlberger Kirchenrektor: „aus Dankbarkeit“. In St. Pölten wurde das Fresko sofort als „Verherrlichung des Austrofaschismus“ interpretiert und sorgte für heftige Kritik nicht nur in den Lokalblättern. Vor der Prandtauerkirche begannen zur Zeit des sonntäglichen Gottesdienst kleine Gruppen von jugendlichen Demonstranten aufzumarschieren. Am Nachmittag des 12. Februar 1934 wurden alle wesentlichen sozialdemokratischen Führungspersönlichkeiten St. Pöltens bis auf den Vizebürgermeister Ferdinand Strasser und einen weiteren Funktionär verhaftet. Starke Gendarmerie- und Heimwehrkräfte besetzten am Morgen des 13. Februar das Arbeiter- sowie das Kinderfreundeheim, das Verbandssekretariat der Metallarbeiter und den Vorwärts-Verlag. Bundesheereinheiten gingen an neuralgischen Punkten des Stadtgebietes in Stellung. Ein Aufruf Strassers zum lokalen Generalstreik blieb unbeachtet, nur in drei St. Pöltner Großbetrieben wurde die Arbeit niederge legt. Gemeinsam mit dem