OCR
Hannah Miriam Cavin Gedichte Stockholm Aufllammt der Tag zum letzten Mal, bevor er scheidet und mildes Licht die Stadt zur Abendfeier kleidet, zur blauen Stunde, da sich alle Unrast legt und nur ein leiser Hauch die Pappeln leicht bewegt. Da spielen blaue Wellen auf der goldenen Flut und dunkelrot verglimmt des Tages letzte Glut. An grauem Ufer werden schon die Lichter angeziindet, indess der erste Stern den Abend flimmernd kiindet. Wie schnell jedoch verrinnt die schönste aller Stunden! Visionen einer Gruppe Liegend, auf der Erde zwischen Blumen liegend ward gezeugt, wird gestillt ein junges Leben und des Gatten und des Vaters Blicke umfangen liebevoll die Gattin und das Kind. Stehend, auf der Erde zwischen Sträuchern stehend, voll im Leben; an die Mutter schmiegt sich noch der Knabe und vom Vater löst sich zag die Tochter. Sitzend, auf der Erde unter Bäumen sitzend, ruhend, sinnend hier das alte Paar; er erzählt dem Enkel von den überstandenen Kämpfen, sie verweist die Enkelin auf das künftige Leben. An der Dinge Schönheit sich erfreuen, sie gestalten, sie benutzen, unbeschwert davon, sie zu besitzen, frei, voller Freude, ungebunden, doch verbunden. Düsseldorf 1970 Trüber Morgen, regennasse Straße. Blaugrau Bäume, blaugrau Häuser mit den ersten goldenen Fenstern. Rosenfarbig leuchtet jetzt der Himmel, es wird Tag. Rosenfarbig auch die Straße, die wir fuhren, die wir fahren, schließen wir die Augen, Du und ich. Des Bildhauers Blick Ist es des Bildhauers Blick, der kreist um die Dinge im Raum, in der Zeit, jetzt diese, jetzt jene Kontur oder Ansicht erfahrend, dann diese Form langsam verfolgt, später auch jene, ahnend im Teil schon das Ganze und im Ganzen das Teil? Nichts besitzen Nichts besitzen, keine Menschen, keine Dinge und auch nicht besessen werden von den Dingen, von den Menschen, sondern Menschen nur begegnen, ihnen Bruder, Schwester, Freund, Gefährte sein, ihnen zugetan, ja, sie lieben aber nicht besitzen. 6 _ ZWISCHENWELT