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Wecken Brot und eine warme Suppe, die sie für uns organisiert hatten. Die Solidarität der österreichischen Frauen war ganz groß. Anni Hand, eine Kampfgefährtin, die ich noch aus Belgien von unserer österreichischen Widerstandsgruppe kannte, holte mich und die paar anderen Frauen aus Österreich aus dem Zelt heraus. Sie übergab uns an Anni Schefzig und Mizzi Grassinger, die uns zu echten Duschen brachten. Für uns war dies ein richtiges Labsal, nach all dem, was wir vorher erlebt hatten. Die illegale Lagerorganisation beschaffte uns statt der jüdischen Winkel sogenannte arische, politische rote Winkel, durch die wir geschützter waren. Da es einige Funktionshäftlinge gab, die in der Lagerverwaltung arbeiteten, konnten sie einen Tausch der roten Winkel vornehmen. Diese roten Winkel und die dazugehörigen Häftlingsnummern stammten von bereits verstorbenen Häftlingen. Und dann hatte ich ein Erlebnis, das ich auch nie vergessen werde. Auf der Lagerstraße kommt mir die Friedl Sedlacek entgegen. Wir kannten uns aus der Jugend, wohnten im selben Bezirk in Wien und waren in derselben, damals bereits illegalen Jugendgruppe tätig. Wir erkannten einander sofort, und sie nahm mich gleich zu sich auf den Block und teilte mit mir ihre Schlafgelegenheit. Dieser Akt der Solidarität und Freundschaft war gar nicht so selbstverständlich, er war schr mutig, denn ihre solidarische Handlung hätte sie in ernste Schwierigkeiten mit der SS-Lagerleitung bringen können. Bei ihr fühlte ich mich geborgen und geschützt. Und in der ersten Nacht bei ihr höre ich plötzlich ein schreckliches Metallrasseln und Klirren. Nach all meinen Erlebnissen und Erfahrungen haben mich diese Geräusche ganz fürchterlich erschreckt. Friedl versuchte mich zu beruhigen, aber ich überredete sie doch aus dem Fenster zu steigen und nachzuschen, von wo diese für mich so schrecklichen Geräusche kämen. Sie kommt lachend zurück und sagt: Für die SS werden Bierkisten ausgeladen. Wenige Tage später wurde ich mit zwei Freundinnen, die mit mir aus Auschwitz gekommen waren, in die Uckermark, in das Vernichtungslager verschickt. Dort war ich bis kurz vor Ende des Krieges. Daß der Krieg für Nazi-Deutschland verloren war und bald zu Ende sein würde, wußten wir. Was wir aber nicht wußten: Werden wir das Ende überleben, um Zeugnis abgeben zu können, was alles geschehen war, und haben Verwandte und Freunde das Grauen überlebt und werden wir sie je wieder finden? In den letzte Apriltagen 1945 herrschte im Konzentrationslager Ravensbrück großes Durcheinander, Mit den wenigen Überlebenden aus der Uckermark, eines der vielen Nebenlager von Ravensbrück, das zu dieser Zeit ein Vernichtungslager war und wo über 4.000 Frauen, Belgierinnen, Französinnen, alte deutsche Sozialdemokratinnen, die zum Teil fast zwölf Jahre inhaftiert waren, und viele andere, ermordet wurden, kam ich ins Hauptlager nach Ravensbrück zurück. Zu diesem Zeitpukt wurde dort der Transport von ca. 3.500 Frauen mit Autobussen nach Schweden zusammengestellt. Es waren hauptsächlich Französinnen und Polinnen, die auf diese Weise, noch kurz vor der deutschen Kapitulation, in die Freiheit gelangten. Der schwedische Diplomat, Graf Bernadotte, konnte diese Konzession den Deutschen abringen. Meine Freundin Juci Fürst und ich sollten auch nach Schweden mitgehen. Wir sahen aber, daß der Krieg zu Ende ging und wollten so rasch wie möglich nach Hause. Die Rot-Kreuz Busse fuhren ab und uns wurde zum Abmarsch anstellen befohlen, So blieb ich mit Juci zusammen und wir 14 ZWISCHENWELT bekamen gemeinsam, so wie die anderen Häftlinge, ein amerikanisches CARE-Paket, wohl für den Weg. Woher die Pakete ins Lager gekommen waren, weiß ich nicht, vermutlich hatten sie die schwedischen Rot-Kreuz Busse gebracht. Wir wußten nicht, wohin der Häftlingszug gehen sollte, aber nach unserer Erfahrung in den Lagern und auf dem Todesmarsch von Auschwitz waren Juci und ich fest entschlossen, in kein weiteres Nazilager zu gehen. Angesichts der Nähe der russischen Front, man hörte ständig Geschützdonner und Flugzeuglärm, beschlossen wir, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu flüchten. Die Kolonnen mit den Häftlingen mußten unter Bewachung von SSLeuten mit Gewehren und Hunden aus dem Lager marschieren, mit für uns unbekanntem Ziel. Nach mehreren Stunden, ich weiß nicht wie viele, es war inzwischen dunkel geworden, kamen wir an einem Wald vorbei. Juci und ich versuchten unauflällig langsamer zu werden, so daß wir schließlich am Ende des Zuges waren und die Bewacher mit ihren Gewehren und Hunden vor uns. In so einem Augenblick packten Juci und ich uns bei den Händen und rannten so schnell es unsere Kräfte erlaubten in den Wald. Wir hatten Glück und erreichten seinen Schutz bevor unser Verschwinden entdeckt wurde. Das Herz pochte mir bis in den Hals. Vor Aufregung und der Anstrengung waren wir beide so erschöpft, daß wir uns am Waldesrand in der Dunkelheit hinlegen mußten und sofort einschliefen. Als wir in der Morgendämmerung vom Lärm aufgeweckt wurden, gewahrten wir auf der Straße am Waldesrand einen unendlichen Treck von Menschen mit Bündeln und Taschen, zum Teil mit Pferdefuhrwerken und Karren, so wie man es jetzt häufig in den Nachrichten aus den verschiedenen Kriesengebieten sieht. Es waren zumeist Deutsche, die vor der herannahenden russischen Front in Richtung Westen flüchteten, aber auch polnische und andere Zwangsarbeiter, Männer und Frauen, die in den Westen wollten. Juci und ich rafften uns auf und begannen in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Für uns bedeuteten die sowjetischen Truppen die Freiheit. An unsrer Kleidung war nicht unmittelbar zu erkennen, daß wir KZ-Häftlinge waren und die Flüchtenden deuteten uns immer wieder, daß wir in die falsche Richtung gingen. Für uns aber war es die richtige. Der Geschützdonner kam immer näher und sowjetische Tiefllieger flogen über uns hinweg. Man konnte den Stern deutlich erkennen. Uns lachte das Herz, aber die Menschen auf der Landstraße warnten uns immer wieder, wir sollten nicht auf die Front zu in Richtung Russen gehen. Sie fürchteten die Rache der russischen Soldaten nach all dem, was Deutsche in Rußland verbrochen hatten. Es wurde bald dunkel, und so gingen wir wieder von der Straße in den nahen Wald, um für die Nacht einen Unterschlupf zu finden. Im Wald sahen wir schon Menschen in gestreifter Häftlingskleidung, die sich so wie wir vom Flüchtlingsstrom abgesetzt hatten und sich im Wald versteckten. Juci und ich suchten uns eine Vertiefung, die wir mit Zweigen abdeckten und bauten uns so für die zweite Nacht außerhalb des KZ-Lagers eine Art Unterstand. Wir konnten uns mit Hilfe der Dinge im Care-Paket einen Tee kochen und auch etwas essen. Dann deckten wir unseren primitiven Unterstand mit Zweigen ab und schliefen ein. Ein Rascheln weckte uns im Morgengrauen. Juci und ich waren starr vor Schreck und lauerten auf das, was jetzt kommen würde. Da wurde von außen die Abdeckung beiseite geschoben und ich erblickte eine russische Armeemütze mit einem roten Stern. Juci und ich vielen uns in die Arme: Wir sind frei! Rotarmisten durchkämmten den Wald nach versprengten deutschen Soldaten, die Front war während der Nacht über