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Matthias Fallenstein lana Shmueli, geboren als Lyane Josephine Schindler am 7. März 1924 in Czernowitz, ist am 11. November 2011 in Czernowitz gestorben. Bis zum Ende, das schwer war, blieb Ilana Shmueli klar und genau im Denken und Sprechen. In den letzten Telefongesprächen, nicht allzu lange vor ihrem Tod, war immer wieder vom Schreiben die Rede. Ihr schwebte etwas vor, sie glaubte es manchmal genau vor Augen zu haben, und doch verwirrte es sie. Sie war Jüdin, daran ist nicht zu zweifeln, und sie konnte darauf bestehen, wenn es nötig war. Aber Judentum ist im zwanzigsten Jahrhundert eine sehr vielschichtige Angelegenheit, seit der Sprengung des Ghettos waren die Grenzen verschwommen, und was man heute darunter versteht, ist nicht zum letzten eine Neuschöpfung des Antisemitismus, schon Heine hat das deutlich vorausgeschen. Schließlich ist der Staat Israel entstanden, ein von Anfang an bedrohtes Gebilde, mit dem Anspruch, Heimstatt für alle Juden zu sein. Ilana Shmueli hat die längste Zeit ihres Lebens im Land gelebt, ihre Familie ist hier verwurzelt. Sie nannte Israel ihre Heimat, heimisch fühlte sie sich allerdings nie. Sie litt darunter, dass Israel, im Zuge äußerer Machtentfaltung und der Annektion palästinensischer Gebiete, immer kleiner und enger geworden ist, weil es die Grenzen gegen die Nachbarn immer dichter abzuschotten gezwungen war. Ein Leben hinter Mauern, die es von der umgebenden Welt abtrennen, hatte für Ilana keine Zukunft. Das machte ihr Sorge. Hana Shmueli wurde 1924 in Czernowitz in eine jüdische Familie geboren. Der Vater war Möbelfabrikant, die Mutter stammte aus Wien. Deutschsprachige Juden in Czernowitz: das bedeutete häufig die Zugehörigkeit zu einer bürgerlichen Oberschicht, die, gesellschaftlich am Vorbild Wien orientiert, hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt war, stets auf Repräsentation bedacht, ohne tieferen Kontakt mit der weiteren Stadtbevölkerung, kaum mit dem Mittelstand, und erst recht nicht mit den armen, jiddisch sprechenden Juden. Ilana Shmueli hat der sozialen Problematik dieser jüdischen Oberschicht in ihren Erinnerungen „Ein Kind aus gutem Hause“ erhellende Analysen gewidmet, sie ahnte früh, wie brüchig der Boden war, auf dem man lebte, meist über die eigenen Verhältnisse, und sie verachtete heranwachsend die Verlogenheit, mit der man die Zeichen der Zeit ignorierte. Sie war an einem solchen Dasein, wie es die Erwachsenen ihr vorlebten, nicht interessiert. Statt dessen suchte sie den Kontakt mit dem Personal, vor allem in der Küche, wo sie äußerlich und innerlich Wärme spürte. Eine erste, tiefe Verunsicherung ihrer Identität war durch die Klasse bedingt, Ilana war der bürgerliche Rahmen ihres Elternhauses nicht geheuer, und doch war sie gerade darin typisches Bürgerkind: verwöhnt und unzufrieden zugleich. Als die Rote Armee Czernowitz besetzte, fiel diese ganze bürgerliche Welt von einem Tag auf den andern zusammen, man wurde enteignet und musste in eine kleine Wohnung umziehen, täglich war man von Deportationen bedroht, die geliebte Schwester nahm sich das Leben, nahe Freundinnen verschwanden, Hana, schon im Zug nach Sibirien, konnte wie durch ein Wunder entkommen, nachdem sie zunächst hatte fürchten müssen, als Klassenfeind auf der Stelle erschossen zu werden: doch was musste solch ein Entkommen für 16 _ZWISCHENWELT sie bedeuten? Sie meinte, es den Privilegien ihrer Klasse, also den gesellschaftlichen Verbindungen der Eltern verdanken zu müssen, denen sie sonst so wenig Wert beigemessen hatte. Dazu kam, schon für das kleine Kind, die Sprachenvielfalt. Später hat Ilana gesagt, sie habe das Deutsche, ihre Muttersprache, niemals regelrecht gelernt. Auch diese Sprachunsicherheit war prägend für ihre Identität. Die Sprachen der unteren Klassen auf der einen, ehrgeiziger Unterricht in den europäischen Weltsprachen auf der anderen Seite, etwas Hebräisch dem zionistischen Vater zuliebe, schließlich die rumänische Staatssprache in der Volksschule prägten neben dem Deutsch der Eltern ihre kindliche Sozialisation. Später kam, aufgrund der sowjetischen Schulpolitik, das Jiddische hinzu. Mit dem Jiddischen lernte sie jedoch nicht nur eine weitere Sprache, sie lernte, von herausragenden Lehrern angeleitet, zum ersten Mal zu begreifen, was Kultur bedeutet, und sie wurde dabei in einen Zusammenhang eingeführt, der ganz außerhalb des Gesichtskreises der bürgerlichen Juden lag, denn man hegte in diesen Kreisen dieselben Vorurteile gegen das östliche Judentum, wie es weiter im Westen üblich war. So wuchs sie in einer sprachliche Mannigfaltigkeit auf, die ihr, außer dem Rumänischen, bis ins hohe Alter im Ohr blieb. Aber sie hörte nie auf, das Czernowitzer Deutsch, ihre Muttersprache, perfekt und mit dem typischen „Nigun“ zu sprechen, es war eine Freude, ihr bloß zuzuhören. In Israel, nach der geglückten Flucht 1944, kam Ivrit als zweite Alltagssprache hinzu, auch diese Sprache hat sie geliebt, obwohl sie glaubte, in ihre Tiefen nicht eindringen zu können. Als Ilana, nach dem Einmarsch der Deutschen und Rumänen, schon in das Czernowitzer Ghetto verbracht war, den gelben Stern tragen musste und keine öffendliche Schule mehr besuchen konnte, setzten ihre jiddischen Lehrer den Unterricht im Geheimen fort. Hana konnte jetzt, nach der eindeutigen Entzweiung des Jüdischen und des Deutschen durch die nationalsozialistische Ideologie, die mit der gnadenlosen Verfolgung alles Jüdischen unmittelbar verknüpft war, eine jüdische Kultur aufnehmen, die längst schon über die Grenzen des Schtetls hinaus, aber dem morbiden Zauber bürgerlich nihilistischer Stimmungen nicht ausgeliefert war. Hier war das Judentum welthaltig, hier war es für Ilana auch identitätsstiftend. Was das Judentum ihr bedeuten, wie sie es begreifen sollte: die Grundlagen dazu wurden von ihren jiddischen Lehrern in Czernowitz geschaffen. Hier führte man sie schließlich zu einem tieferen Verständnis der Kunst, im besonderen der Poesie, deren ursprüngliche, nicht im Bildungsbürgertum verstaubte Kraft sie nun wahrnahm. Ohne dieses Verständnis hätte sie auch an jenem Kreis junger Menschen nicht teilnehmen können, der sich heimlich unter größter Gefahr traf, um deutsche Literatur und Philosophie zu studieren. In diesem Kreise hat auch der junge Paul Antschel seine eigenen Gedichte vorgetragen, und es entwickelte sich zwischen Ilana und dem um vier Jahre älteren Gefährten eine scheue, jedoch nachhaltige Freundschaft. Sie hat diese Freundschaft nicht vergessen. Man könnte die Liste der Widersprüche, mit denen Ilana sich im Land auseinandersetzen musste, weiter verlängern: sie hatte