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Schutz vor der lebensbedrohlichen Atmosphäre in Rumänien gesucht und fand eine Heimat, die in Unfrieden und Krieg mit den Nachbarn lebte, sie war der typischen Doppelbelastung von Erwerbstätigkeit und Hausarbeit ausgesetzt, sie war beruflich den Weg von höchsten musikalischen Ambitionen zur Sozialpädagogik und Kriminologie gegangen: wieder hin zu den Verlierern, straffällig gewordenen Jugendlichen. Sie entwickelte alltägliche Strategien, die es ihr erlaubten, mit all diesen Widersprüchen zu leben. Am Ende schien es eine wohlgeordnete, gut bürgerliche Fxistenz, die sie sich erworben hatte. Aber für Ilana blieb es nicht dabei. Ich nehme an, dass es 1969 nicht zufällig in Paris zu einem Treffen mit dem Jugendfreund Paul Celan gekommen ist. Alles weist darauf hin, dass Ilana diese Begegnung herbeiführen wollte, dass es sie drängte, diesen Gefährten ihrer dunkelsten Tage wiederzusehen und mit ihm ins Gespräch zu kommen. „Es war eine gute Begegnung“, schrieb sie später. Und es war der Anfang einer tiefen Beziehung, für die Ilana ihre bürgerliche Existenz im Bewusstsein der möglichen Folgen aufs Spiel setzte. Der Briefwechsel, den die beiden in den letzten Lebensmonaten Pauls noch führen konnten, ist ein erregendes Dokument dieser schwierigen Beziehungen, er gehört, dessen bin ich gewiss, zu den großen Liebesbriefsammlungen in der deutschen Literatur. In Tel Aviv distanzierten sich Freunde und Bekannte, man erklärte Ilana schlicht für „verrückt“. Aber Paul Celan war für sie offenbar der Partner, mit dem sie über die Last, die sie aus der Vergangenheit mit sich herumschleppte, sprechen konnte, sie fühlte sich ihm verschwistert, er verstand und forderte sie, ging mit ihr ihrer beider „Wahrheit“, der gemeinsamen Wurzel im Judentum auf den Grund. Dies geschah in der Nähe zum Dichterischen, in der bedingungslosen Verbindlichkeit des gesprochenen Wortes, die ihm heilig war, so dass er keine Halbheiten, kein „Halbsprechen“ duldete. Ilana begriff sich noch einmal als Lernende, versenkte sich in die Welt des Freundes, wuchs aber sehr schnell und sicher nicht freiwillig in die Rolle der Helfenden hinein, in die Rolle der den Partner Beschwörenden, ihn mühevoll im Leben Haltenden, auch dann noch, als Paul sich auch von ihr zurückzog. Seinen letzten Brief verstand sie sofort als Abschiedsbrief; soviel ich weiß, ist es der einzige Abschiedsbrief, den Celan hinterließ. Nach Pauls Tod ordnete Ilana ihre bürgerliche Existenz neu. Die Begegnung mit ihm hatte ihrem Leben und ihrem Überleben „Richtung und Sinn“ gegeben. So wurde ihr der gerade, offene Blick zurück in die Vergangenheit möglich, die furchtlose Wahrnehmung dessen, was war, die Auseinandersetzung mit den Verlorenen und Ermordeten, den Toten, zu denen sie bald sagen sollte: „Ich hab Leben gewählt.“ Sie wusste nun, dass ihr Weiterleben kein bloßer Glücksfall gewesen, sondern dass es auf einer Wahl beruhte, die sie bewusst hatte treffen müssen. Eine der wesentlichen Aufgaben, die sie sich seither stellte, war die Vergegenwärtigung ihrer Erinnerungen, nicht in einer geschlossenen Erzählung, sondern in immer wieder neu ansetzenden autobiografischen Versuchen, in verstreuten Texten sowohl als auch in anderen Medien, sie öffnete sich den Ion- und Bildmedien, dem Interview, dem dokumentarischen Film, und nutzte deren Möglichkeiten. Zu Gisele Celan-Lestrange knüpfte Ilana eine freundschaftliche Beziehung. Es gibt kein stärkeres Bild ursprünglichen Vertrauens auf „Sinn und Richtung“ ihres Daseins, als die Art und Weise, wie Ilana nach Pauls Tod mit dem umging, was ihr von ihm blieb. Thren Beruf gab sie auf, obwohl sie in ihm eine noch aussichtsreiche Karriere gemacht hätte. Sie war, auch in der Erinnerung an Celans Erfahrungen mit der Psychiatrie, misstrauisch geworden gegen die begrifflichen Einteilungen und scheinbar objektiven Diagnosen, mit denen sie gearbeitet hatte. Dieses fachliche Werkzeug schien ihr nicht mehr geeignet, das zu entdecken, was im Dialog zwischen Menschen lebendig ist: Diese Begrifflichkeiten gingen an der „Wahrheit“ und folglich an den Menschen vorbei, und sie verdunkelten das Wissen um die Sprache als dem Wort, welches das Schweigen bricht. Ilana wandte sich darum der dichterischen Sprache zu, sie vertiefte sich ins Hebräische, sie versuchte zu übersetzen, vor allem Celan, aber auch andere, z.B. Ernst Jandl, den sie persönlich nicht kannte. Aber all das war nur Vorübung, ihre Anstrengungen galten immer stärker der Verwirklichung einer Sehnsucht, die sie schon in den Jugendtagen in Czernowitz gehegt hatte: selbst sich poetisch auszudrücken. Sie versuchte es erst auf Hebräisch, kehrte dann aber bald zu ihrer Muttersprache zurück, dem Deutschen. Natürlich machte sie kein Aufhebens davon, sie stellte einen Privatdruck her, damit ihre Nächsten und Freunde sich von ihren Anstrengungen ein Bild machen könnten — „das genügt“, sagte sie, „es muss nicht veröffentlicht werden.“ In der Öffentlichkeit wollte sie anfangs nur darlegen, was die Beziehung zu Celan für sie bedeutet hatte, sie schrieb an einem Manuskript über seine Jerusalemreise 1969 und den Gedichtzyklus, der im Zusammenhang mit dieser Reise entstanden war, und dessen einzelne Gedichte Teil des gemeinsamen Briefwechsels gewesen waren. Es sollte noch Jahre dauern, bis diese Arbeit, die im Hebräischen und anderen europäischen Sprachen schon vorlag, auch in deutscher Sprache erscheinen konnte. Noch später, und nur weil die Freunde es unbedingt für richtig hielten, ließ sie die Publikation ausgewählter Gedichte zu. Den Grundstock für den Band „Zwischen dem Jetzt und dem Jetzt“ bildeten vielfach überarbeitete, und das heißt bei ana Shmueli zumeist: gekürzte Fassungen der Arbeiten aus jenem für die Freunde hergestellten Privatdruck, der den Titel „Schotter unter der Zunge“ trug. Dieses Buch stellt das D Tee ET 1 Ilana Shmueli 2009 aus Anlaß des Theodor Kramer Preises zu Besuch in Wien. Foto: Anita Chajut. — Der Vorstand der Theodor Kramer Gesellschaft begründete die Zuerkennung mit den Worten: „spät und tief“ sind die Gedichte Ilana Shmuelis auf uns gekommen, wie aus einer anderen Zeit und einem anderen Raum. Ortlosigkeit und Wortlosigkeit, die Erfahrung, unbeheimatet und sprachlos zu sein, ist eine der Wurzeln, aus denen ihre Dichtung hervorwächst. Und dennoch verbinden sich ihre Verse in äußerster Verknappung des Ausdrucks mit einem reichen Strom von Vorstellungen. Es ist eine große Lebendigkeit, die hier von sich zeugt, die gegen Enge, Kälte, Vorurteil anrennt. Shmuelis Dichtung ist „Zwischenruf, Einspruch, Widerwort, Aufschrei“ (M. Fallenstein). Sie bezieht sich vielfältig auf die Poesie des Freundes Paul Celan und widersetzt sich ihr zugleich. In ihren Erinnerungen an eine Jugend im Czernowitz der Zwischenkriegszeit und ihrem Briefwechsel mit Celan öffnet Shmueli zugleich den Blick auf den bedeutenden kulturellen Hintergrund ihres Schreibens im Exil. Jänner 2012 17