wohl einmalige Ereignis dar, dass es sprachlich, inhaltlich und
formal eng an die Dichtungen Celans anschließt, aber so, dass
Shmueli den Dialog mit dem toten Freund mit der Leidenschaft
des Briefwechsels weiterführt und ihre eigene Stimme zu Gehör
bringt, also alles andere als eine Celan-Imitation bietet und ganz
selbständig für sich einsteht. Hierfür gibt es in der Geschichte
der deutschen Literatur, soweit ich weiß, kein zweites Beispiel.
Die Anerkennung, die ihren Gedichten durch die Verleihung des
"Iheodor Kramer Preises 2009 zuteil wurde, hat Ilana Shmueli sehr
gefreut. Sie gab ihr die Basis, den Rang ihrer Arbeit zu objektivieren
und zeitweise sich von den Selbstzweifeln, unter welchen sie litt,
zu befreien. Die Fahrt nach Krems zum Empfang des Preises war
Margit Bartfeld-Feller
llana
Der Abschied von einem geliebten Menschen ist schwer, fast un¬
erträglich. Doch, ganz tief in deiner Seele, fühlst du eine kleine,
zarte Hoffnung wie einen leichten, dich berührenden Hauch, der
dir zuflüstert: Vielleicht?
Beim Tod jedoch gibt es kein „Vielleicht“. Ein kaltes, undurch¬
dringliches „Etwas“, das dein Herz erstarren und vereisen läßt.
Je lebendiger und voller die Erinnerung
desto schwerer ist die Trennung.
Aber die Dankbarkeit verwandelt
die Erinnerung in eine stille Freude.
Man trägt das vergangene Schöne,
wie ein kostbares Geschenk
in sich. (D. Bonhoeffer)
Ilana war mein Kleinod und auch mein Antipod. Wir waren so
verschieden; trotzdem zogen wir uns an. In Czernowitz wurden
wir geboren und in Czernowitz besuchten wir zusammen in den
Jahren 1940/41 die jüdische Schule am Austriaplatz (früher das
Burschen-Gymnasium L3). Wir waren stolz, daß unsere einzig¬
artigen Lehrer: Hersch Segal, Chaim Ginninger und Leibu Levin
unser Wissen bereicherten, erweiterten und ergänzten. In uns lebte
Begeisterung, Hoffnung und Dankbarkeit. Ich bin überzeugt, daß
diese Lehrzeit mit den von Ilana und mir so verehrten Lehrern
die wichtigste, wiewohl kurze, doch so inhaltsreiche Zeit unseres
Lebens war. Trotz der großen Umwälzungen und Bedrohungen
wurde dieses Jahr ftir Ilana und mich zu einem starken Erlebnis.
Doch ganz unvorhergeschen, wie aus heiterem Himmel, stand
der 13. Juni 1941 vor uns, mit einer fatalen, erschreckenden De¬
portation nach Sibirien. Im letzten Augenblick, als die Räder der
Viehwaggons, in denen wir uns befanden, sich sachte in Bewegung
setzten, wurde Ilana durch eine unverhoffte Fügung aus dem
Zug befreit und auf diese Weise gerettet. Ich sah sie gebückt, wie
schuldbewußt, in letzter Minute, die Geleise zögernd, langsam und
vorsichtig überqueren, dann verlor ich sie aus meinen Augen...
Nicht lange danach (ich erfuhr es viel, viel später) wurde Ilana
über Nacht ins Ghetto Czernowitz verschleppt. Diese unvermit¬
telten Wendungen trennten uns voneinander, wie ich dachte,
für immer.
Als ich nach 50 schweren, bitteren Jahren aus Sibirien direkt nach
Israel auswandern durfte, traf ich Dana durch einen glücklichen
Zufall in Tel Aviv wieder. Wir kosteten unser Wiedersehen nach so
ihre letzte Europareise, sie war animiert, las ihre Gedichte gern
vor und nahm die große Zustimmung, die sie fand, mit beinahe
kindlicher Dankbarkeit auf. Als sich wenig später immer deutlicher
abzeichnete, dass sie nicht mehr würde reisen können, fasste sie
den Mut, einen zweiten Gedichtband vorzubereiten. Ihre Aus¬
wahl war bei diesem Plan ganz anders gewichtet. Im Vordergrund
standen Spott, Sarkasmen und Clownerien, der getragenere Ton
aus „Zwischen dem Jetzt und dem Jetzt“ kehrte nur selten wieder.
Als wäre sie wieder in ihre Jugendtage zurückgekehrt, hatte sie für
die sie umgebende Welt und vor allem sich selbst nur mehr Hohn
übrig. Zwischen diesem Feuerwerk aber fanden sich Gedichte von
einer leisen Trauer, auch Abschiedsgedichte von größter Zartheit.
Dieses Buch wird nun posthum erscheinen.
vielen Jahren richtig aus. Es gab ein Fragen, Erzählen, Staunen und
ein großes gegenseitiges Interesse. Diese Nähe, diese Freundschaft,
die immer fester wurde, stärkte uns beide. Wir diskutierten viel
über Prosa und Poesie. Ich erzählte ihr von Hersch Segal (unserem
Lehrer), der noch in Czernowitz in mir die Liebe zu Rainer Maria
Rilkes Lyrik erweckt hatte. Ilana ihrerseits explizierte Paul Celans
Gedichte, die sie mir immer näher brachte und die mir dadurch
immer verständlicher wurden.
Als Ilana nach dem Tod ihres Mannes, Hermann Shmueli, Tel
Aviv verließ und nach Jerusalem zog, war das für unsere Freund¬
schaft kein Hemmschuh. Im Gegenteil — Ilana kam zu mir nach
Tel Aviv in die Nordau 76, und auch meine Familie war für sie
wie ein heimeliger Ankerplatz, wo es Gedankenaustausch gab,
wo wir miteinander schweigen konnten, wo unsere Seelen sich
trafen und verstanden fühlten. Wir fantasierten, träumten und
es entfesselte sich zwischen uns, trotz unserer Verschiedenheit,
ein sichtliches Einvernehmen, was wir bei unseren Lesungen,
besonders in Wien, im Alten Rathaus, wie auch in Czernowitz bei
der Enthüllung der Gedenktafel für Selma Meerbaum-Eisinger,
Ilana war und wurde ein Teil
meiner Welt, und so wird sie und
die Erinnerung an sie auch immer
weiter in mir bleiben und leben.
Ich muß auf dich verzichten,
du lang verlorne Welt.
Wie hier in leisen, lichten
Flocken Schnee nun fallt,
so fallen die Minuten
auf meinen Traum von dir
und unstillbar verbluten
Erinnerungen mir, Rimbaud
bis tiefe Winterstille —
sie regungslos umfangt
und mich ein großer Wille
sanft in das Dunkel drängt.
2007 erschien Ilana Shmuelis
Gedichtband „Zwischen dem Jetzt
und dem Jetzt“ in Verlagskooperation
(David Goldfeld, „Im Schneefall“) des Rimbaud Verlages (Aachen) und
der Theodor Kramer Gesellschaft
(112 S., Euro 15,-).