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am schwächsten bedacht wurde. Monate hindurch erhielten wir in Wasser gesottenen Reis oder Pasta - oft fehlte das Salz. Als zweiten Gang letzten Abfall von Gemüse mit einem kleinen Salzfischchen, das oft verfault war, so daß wir es, kooperativ protestierend, stehen ließen. Als uns aber die stehen gelassenen Portionen nochmals vorgesetzt wurden, gaben wir sie den Katzen und Hühnern, die sie aber auch nicht fraßen. All das fällt in die Verantwortung des Herrn Grillo, dem unser Campo Concentramento [...] unterstand. Da wurde uns endlich, endlich nach drei Jahren der Besuch der Kontrollkommission des Internationalen Roten Kreuzes avisiert. Die lang ersehnte Gelegenheit, gegen diese menschenunwiirdige Behandlung und Verpflegung seitens der Quästur Macerata vor aller Welt zu protestieren, war auch für uns gekommen. Fieberhaft wurde unter uns hin- und herberaten. Wir faßten den Entschluss, daß jede Gruppe für sich gesondert vorgehen sollte. Denn da wir alle nur ein- und dasselbe zu sagen hatten, würde die Wirkung eine umso nachhaltigere sein, wenn von verschiedenen Seiten mit heftigster Betonung immer wieder auf die sich seit vielen, vielen Monaten wiederholenden Verfehlungen hingewiesen würde. So kam es, daß sowohl die Jugoslaven, als auch die Deutschen diesmal nicht die gewöhnlichen Vertrauensmänner zu Sprechern wählten, sondern ausdrücklich solche, von denen man erwartete, daß sie nicht bloß gut sprechen, sondern auch den nötigen Mut und die nötige Festigkeit aufbringen würden, um energisch gegen unsere Vergewaltigung zu protestieren. Die Jugoslaven einigten sich auf Herrn Hans Eskuija, Bankdirektor, 56-jahrig, charakterfest, von scharfer Intelligenz, vor allem den Behörden gegenüber, immer der stolze Gentleman, der im internationalen Recht Bescheid weiß und der kein Blatt vor den Mund nahm, wenn es galt, die seitens Grillo und Genossen brutal mißachteten, primitivsten Rechte der Internierten zu verteidigen und anzufordern. Die Deutschen wählten mich. In Anwesenheit [des] Dr. Slovak war eine Besprechung vorausgegangen, worin der allgemeine Wunsch geäußert wurde, daß diesmal dieser ja nicht sprechen dürfe. Die Kommission kam wirklich, erklärte kurz, daß sie von jeder Gruppe je einen Vertreter hören wolle, und zog sich sofort in das [im] ersten Stock befindliche Büro des Lagerdirektors zurück, eines Kommissars namens Leproni, der ein schr, schr schlechtes Gewissen hatte. Wir Internierten mußten im Speisesaal zu ebener Erde unter strenger Bewachung der Carabinieri bleiben, während im ersten Stock die Agenten und der Direktor persönlich die Tür der Kommission bewachten, eine Maßnahme, raffiniert vorausbedacht, um jede unwillkommene Beschwerde zu verunmöglichen. Plötzlich wurde zu unser aller Befremden und Erstaunen Herr Dr. Slovak als erster gerufen, der mit überstürzter Hast sofort die Treppe (in den ersten Stock) hinauflief. Wir hatten alle sofort das gleiche Empfinden: „Hier hat einer auf sein Stichwort gewartet, es ist ein vorher abgekartetes Spiel.“ Selbst mir fielen endlich die Schuppen von den Augen. Von diesem Augenblick an — es hat allerdings lange genug gedauert — war dieser Mann auch ftir mich erledigt. Nach endlos langer Zeit kam er herunter. Alle stürmten voll Empörung auf ihn ein. Durch Lügen und Verdächtigungen suchte er sich zu rechtfertigen:“Es hat keinen Zweck“, heuchelte er voll Entrüstung, „vor dieser Kommission zu sprechen. Sie ist nichts anderes als eine Hakenkreuzkommission, besonders dieser Schweizer, ein Arzt, scheint ein wilder Hakinger zu sein. Es ist ganz sinnlos, vor dieser Kommission zu erscheinen...“ „Ja wer hat Dich denn ermächtigt, für uns zu sprechen“, wurde ihm erbittert entgegengehalten. Während dieses erregten und heftigen 24 ZWISCHENWELT Durcheinanders wurde Herr Eskuija hinaufgerufen, der seinerseits, wie alle es von ihm erwarteten, energisch, mutig und unverblümt alle Mißstände aufzählte, so daß die Kommission Augen und Ohren aufsperrte. Aber jetzt hätte er mit Engelszungen reden können, niemand glaubte ihm, weil ja vorher der „Vertreter“ der deutschen Juden alles über den grünen Klee gelobt hatte, jener Vertreter, der kein Vertreter, sondern ein Verräter war [...]. So wurden das Lager und die Kommission schmählich betrogen. Nun verstand man unsere Absperrung durch Carabinieri im Speisesaal unten und die Bewachung der Kommission durch Agenten und Kommissäre oben. Die Mitglieder der Kommission schüttelten ungläubig den Kopfbei den Ausführungen des jugoslavischen Vertreters. „Einzig und allein der Schweizer scheint ein Gentleman zu sein“, berichtete später ganz gegensätzlich Herr Eskuija, „denn der war sachlich, aufmerksam und versprach den Beschwerden doch nachzugehen.“ Tatsächlich haben die Jugoslaven etwa drei Wochen später eine Summe von 10.000 Lire angewiesen bekommen, während wir leer ausgingen, dank unseres „Obersten und Lagerarztes“, dem Werkzeug [...] des Küchenwirtes und des Herrn Grillo. Nun zu diesem selbst, dem Hauptverantwortlichen, der eines Tages unbedingt von den Jugoslaven zur Rechenschaft gezogen wird. Wir sind ja nur Exdeutsche (Exösterreicher) und haben als solche, nachdem man uns Vermögen, Ehre und Vaterland geraubt hat, kein Recht und keinen Vertreter vor einem Internationalen Gerichtshof, wie es leider bisher den Anschein hat. [...] Als Schulbeispiel meines Knopflochmenschen ist Herr Grillo selbstredend strammster Mussolinianer gewesen. Innerhalb dreier Wochen sahen wir ihn seine Überzeugung dreimal wechseln. Als zwei beherzte Jugoslaven, der junge Richter Bidovec und der Student Guerni mit Kühnheit und Umsicht aus unserem Lager in die Heimat zu ihren Partisanen entflohen waren, hat sie unser tüchtiger Sicurezzamann Gottseidank zwar nicht erwischen können, aber dafür eine mutige, überaus hehre Rede gehalten. Uns umschwirrten nur so die Kraftausdrücke wie „Jungitalien“, „Rassereinheit“. [...] Unsere beiden Jugoslaven, die unter Lebensgefahr und aus innerlich wahrster Vaterlandsliebe zu den heldenhaften Verteidigern der Heimaterde entwichen waren, behandelte unser Maulheld mit ironischer Geringschätzung, indem er mit dem so schön klingenden faschistisch-nationalistischen Prunksatz schloss: „Mehr Feind, mehr Ehr!“ Er spricht mit und aus der Kehle [...]. Unedle Laute formen und dreschen Phrasen, die nichts Menschliches an sich haben, schon deshalb nicht, weil sie räumlich weit weg vom Herzen entstehen und nie die reine Höhe des Hirns erklimmen. Wie der Hahn am Misthaufen, dachte ich bei mir. Ich sah und hörte im Geiste alle faschistisch-nationalsozialistischen Hähne, im Chor für Parlamente und Parteitage geschult, ihr unmusikalisches, unkünstlerisches, für die langen Ohren der Unintelligenz insceniertes Du-ce, Du-ce, Du-ce, Du-ce kikerikien. Und das sollte der übrigen kultivierten Welt den Glauben an eine hundertprozentige Gefolgschaft in dem diktatorisch mißhandelten und jeglicher menschlicher Urrechte beraubten Lande vorgaukeln? Lächerliche Gockel, blind und taub und verdummt durch ihr eigenes Kikerikie! Natürlich ist der Hahn Grillo auf seinem Misthaufen unentbehrlich. Er braucht nicht in die offene Feldschlacht zu gehen. Er waltet und schaltet im Hinterland, bewaffnet, gestiefelt und gespornt natürlich. Hier ist er gemein und niederträchtig gegen Frauen und Töchter, die bangend um Erlaubnis bitten, den Mann, beziehungsweise Vater besuchen zu dürfen. Hier spielt der erst 36-jährige Heuchler den Hüter der Moral im Campo, das er