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andererseits als beutereiche Domäne betrachtet. Verbrecherische Agenten wie Carlucci und Genossen, die an der heimischen weiblichen Bevölkerung sich schamlos vergehen und deswegen entfernt werden müßten, liefern lügenhaftes, nie überprüftes Material zu strengsten Maßnahmen gegen Frauen und Töchter, an die sich unser „Oberst“ bei jeglicher Gelegenheit heranspeichelt, um sie hinterher bei der Quästur durch geheime, verleumderische Berichte zu besudeln. Liebster Freund! Inzwischen schreiben wir den 21.1.44. Gegen meinem Willen muß ich mit diesem Brief an dich zum Schluß eilen. Man ist wieder hinter mir her. Die Erlebnisse nach dem 8.IX. kann ich nur kürzest streifen. Zuerst —- nachdem der König das Land verlassen - kopflose wilde Flucht in den Wald unter Verlust vieler Gebrauchsgegenstände und Kleidungsstücke, nach drei Tagen wieder ins Lager geholt, nach weiteren 10 Tagen überfallsartig verhaftet und nach Sforzacosta gebracht, wo uns Myriaden von Wanzen und Flöhen erwarteten. Advokat Dr. Sternbach aus Wien hat auf den ersten Anhieb in seinem Nachthemd allein gegen 400 Wanzen gezählt und getötet. Beides tat er, um nicht denken zu müssen. Unsere Körper sahen aus wie Landkarten, auf denen man die langen Fronten der letzten Kriegsschauplätze mit roter Tinte nachpunktiert hatte. Es regnete nur so auf Betten, Bänke und Tische von lieblich duftenden Tierchen. Unser herrlicher Park in der Villa Bandini — das einzige Schöne in unserem Lager — war von einem öden kleinen Hof ohne jegliches Grün abgelöst worden. Doch Verpflegung und Behandlung durch die wachhabenden italienischen Offiziere — Gottseidank unterstanden wir nicht mehr dem Machtbereich der Pubblica Sciurezza (Grillo), war eine rührend menschliche. Der Kommandant, ein Oberstleutnant, bemühte sich, unser trauriges Los durch Cigaretten und Essen zu mildern. Nach und nach begann unsere ergebene Stumpfheit zu weichen, als unvermittelt für alle, auch für unsere Bewachung, das wie ein Albdruck auf uns lastende Gefühl sich verwirklichte. Die Deutschen besetzten etwa 100 Mann stark das Lager. Im Augenblick der ersten Verwirrung entflohen einige von uns. Auch ich war im Begriffe zu türmen, da wurde durch einen Anschlag verkündet, daß für jeden Entflohenen aus der betreffenden Gruppe der Internierten fünf Kameraden erschossen werden würden. Natürlich war niemand mehr gewissenlos genug, einen fünffachen Mord aufsein Gewissen zu laden. Man blieb, weil man wußte, daß die Deutschen Wort halten und das, was sie androhen, auch ausführen. Und siche da! Diese so entsetzlich gefürchteten „Barbaren“ waren durch die Bank gutherzige, anständige, kultivierte, ehrenhafte Menschen, ganz anders als die aus Dachau und Buchenwald nur von Dr. Slovak geschilderten Henker. Es waren Menschen, die uns verstanden, unsere Not mitfühlten, uns Essen und Kleidung gaben, es waren echte, deutsche ritterliche Soldaten, was wir kaum für möglich gehalten hatten. Der gewöhnliche Soldat, ein Fleischermeister aus Frankfurt, der im Dienst strengste Gefreite, ein Anstreichermeister aus Gießen, der Unteroffizier: ich habe geweint, als ich hörte, daß diese gute Seele durch einen unglücklichen Zufall bei einem Bombardement in dem Augenblick ums Leben kam, als er zu seiner Familie — er hatte 7 Kinder - in den Urlaubszug steigen wollte; die Feldwebel, der Oberfeldwebel, der Hauptfeldwebel, und allen voran der Leutnant-Kommandant, sie alle waren Menschen, Menschen, wirkliche Menschen, die wir in Italien seit unserer Internierung schmerzlichst vermißt haben. [...] Innerhalb zweier Tage wurde mit Unsauberkeit und Ungezieferplage aufgeräumt. Alles blinkte. Die verrosteten und verwahrlosten Bäder und Duschen wurden in Stand gesetzt, überall herrschte buchstäblich ein sauberer deutscher Geist und erquickende Disziplin statt der entnervenden italienischen Schlamperei und unsauberer Gleichgiltigkeit. Unsere so natürliche Erbitterung gegen alles, was Deutsch heißt, schmolz restlos wie Wachs, besonders als dieser Dr. Slovak bei seiner ersten Inkorrektheit, auf die der junge, aber energische Lagerkommandant schon nach ganz kurzer Zeit kam, den längst verdienten Fußtritt erhielt. Was er ungestraft bei den Italienern drei Jahre zu unserem Schaden treiben durfte, hier, bei einem geraden, anständigen, kultivierten Gentleman, hatte er sofort ausgespielt, trotzdem und vielleicht gerade, weil er die ersten Tage als chemaliger „Oberst“, für den er sich hochstapelnd ausgab, mit entgegenkommender, weltmännischer Achtung behandelt worden war. Aber! Aber! Aber! Was nützte uns das gute Essen, die menschliche Behandlung, das Bad, die lang entbehrte Sauberkeit, wenn wir stets in der Furcht lebten, jeden Tag einwagoniert und nach Polen verschickt zu werden. Ich versuchte auf gut Glück, in die freie Internierung zu kommen. Nach vier Tagen erhielt ich sie tatsächlich auf Grund eines Attestes, worin der Primarius des Macerater Spitals, Professor Jacarelli, Angina Pectoris feststellte. Drei Jahre hindurch hat mein „Freund“, der Lagerarzt Dr. Slovak, alle meinen Domanden hintertrieben, wie sich später herausstellte. Und siehe da, was ich kaum für möglich gehalten, die Deutschen, diese so gefürchteten „Barbaren“ haben meine begründete und berechtigte Bitte sofort bewilligt. Ich bedankte mich persönlich beim Kommandanten vor meiner Abreise, und da konnte ich mich nicht enthalten, ihm zu sagen, daß ich auch ehemaliger Offizier gewesen sei, schwer verwundet und wegen Tapferkeit vor dem Feinde ausgezeichnet. Er sah mein Dokument darüber lange an und bemerkte schließlich: „Sehen Sie, es gibt doch eine Gerechtigkeit.“ Etwa drei Wochen später wurden auch dieanderen Kameraden in der Provinz Macerata frei interniert. Es waren durchgehend Männer über fünfzig und sechzig. Zurück blieben nur die kriegstauglichen jungen Slaven. [...] Leider gelangten wir durch die freie Internierung wieder in den Machtbereich der Quästur Macerata und in die Klauen Grillos. Sofort hieß es, daß wir neuerdings verhaftet werden sollten. Ich konnte es nicht glauben, zumal mir in Sforzacosta erklärt wurde, daß dort nichts dergleichen bekannt sei. Leider ist das Gerücht Wahrheit geworden. Meine Kameraden sitzen seit dem 28. Dezember 1943 in den Gefängnissen der Provinz Macerata, möglicherweise befinden sie sich sogar im Augenblick auf dem Weg nach Polen oder wer weiß wohin. Ich bin entflohen mit Hilfe eines guten Menschen. Doch fürchte ich jeden Augenblick geholt zu werden und schrecke zusammen, so oft mein Freund Bob, der Hofhund des Bauernhauses, anschlägt. Mein Gott, ich bin müde, müde, ach so müde! Ich stelle nur noch fest, daß, wenn die Schergen kommen, ich diesmal nicht mehr fliehen werde, damit es nicht wie vor drei Wochen bei meinem unglücklichen Kameraden Weiss aus Leibach heißt: „Auf der Flucht erschossen!“ Bei mir wäre es demnach unbedingter Mord! Dieses Buch verstecke ich aus leicht verständlichen Gründen bei dem Contadino, wo ich mich jetzt aufhalte. Sollte ich nicht mehr am Leben sein, bitte ich [...], es zu veröffentlichen. [...] Zum Abschluß noch eines: Mein großer, immer junger Optimismus ist erschüttert, aber nur soweit es meine Person betrifft, weil mir einfach die Physis fehlt, längeren Widerstand zu leisten. Der Wille ist ungebrochen, allein mein Herz schmerzt bei jeder Erregung und Anstrengung. „Ich kann von England nicht die Jänner 2012 25