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Studentenordnung keine „Studentennation“ darstellen und hatten daher weder ein Wahlrecht noch einen Vertretungsanspruch.” Studierende mit mosaischem Religionsbekenntnis machten damals immerhin 19% der Studierenden der Universität Wien aus.” Dies stellte einen der „... ersten Versuche der Institutionalisierung des Volksbürgergedankens [dar] ... der über die Staatszugehörigkeit hinaus Menschen nach der Volkszugehörigkeit unterschied und erprobte damit die schrittweise Ersetzung des Begriffes ‚Staat‘ durch ‚Volk‘ und ‚Rasse‘ und markierte hierbei einen weiteren Weg in den Faschismus.“ ?' Anzumerken ist an dieser Stelle auch, dass die „Deutsche Studentenschaft“ zwar von den Rektoren der Universitäten als „die“ Vertretung aller Studierenden anerkannt wurde, diese aber lediglich ein österreichischer Ableger der Deutschen Studentenschaft des Deutschen Reiches war und auf keinerlei demokratisch legitimiertem oder gesetzlich verankertem Vertretungsanspruch beruhte. Seitens der sozialistischen und jüdischen Studierenden, aber auch der liberalen Presse war die Empörung über diese Studentenordnung groß. Auch die politischen Parteien und die Parlamentsfraktionen mussten sich bald mit der Frage der Gleispach'schen Studentenordnung auseinandersetzten. Es kam auch zu einem Ehrenbeleidigungsprozess, nachdem der Chefredakteur der „Wiener Sonn- und Montagszeitung“, Regierungsrat Ernst Klebinger, Rektor Gleispach als „politischen Agitator“ und einen „Schandfleck für die Wiener Universität“ bezeichnet hatte.”? Schließlich wurde die Studentenordnung vom 8. April 1930 und alle darin enthaltenen Spondeo... Fritz Brügel schrieb an den Wiener Universität: Eure Magnifizenz! Als Kandidat der Philosophie habe ich bei meiner Promotion das Gelöbnis abgelegt, das den Doktoren meiner Fakultät vorschreibt, in der uneigennützigen Bemühung für die Wahrheit nicht zu erlahmen und danach zu streben, daß ihr Licht, in dem das Heil des Menschengeschlechtes beschlossen ist, nır um so strahlender leuchte. Die letzten Vorgänge an der Wiener Universität haben mir, wenn ich dieses Beweises noch bedurit hätte, gezeigt, daß die Promotionsiormel jeden Sinn verloren hat; daß sich in den Anschlagkasten, ungehindert vom Rektorat, eine Gesinnung breitmacht, die weder mit den Gesetzen der Österreichischen Republik noch mit den Doktorgelöbnissen der einzelnen Fakultäten vereinbar ist. Rektor und Senat mögen über diesen Zwiespalt hinwegkommen: ich fühle mich durch mein Gelöbnis verpflichtet, einer Universität, die alle Gesetze der Humanität zwar in ihren Promotionsformeln führt, aber in Wahrheit für nichts achtet, mein Diplom als Doktor der Philosophie zerrissen zurückzugeben, und zu ersuchen, meinen Namen Rektor der aus der Doktorenliste jener Institution, die sich Alma mater Vindobonensis Rudolfina nennt, zu streichen. Ihnen, Herr Rektor, bleibt es überlassen, Ihre Haltung mit dem Gelöbnis, das Sie seinerzeit abgelegt haben, für vereinbar zu halten. Wir begrüßen diesen Schritt des Genossen Brügel, dem allerdings aus Berufsrücksichten nur wenige sich werden anschließen können. Wir wollen aber auch mit allen Kräften darum kämpfen, daß die Hochschulen jene sittliche Höhe wiedererlangen, die sie 1848 innehatten. Der Brief Fritz Brügels in der Sozialistisch-Akademischen Rundschau, Dezember 1931 Regelungen am 23. Juni 1931 vom Verfassungsgerichtshof aus rein formalen Gründen aufgehoben, der ihr zugrunde liegende Ordnungsgedanke, das Volksbürgerprinzip allerdings gebilligt.” Schlägereien und Krawalle mit antidemokratischen und antisemitischen Tendenzen waren gegen Ende der 1920er Jahre an der Wiener Universität schon fast alltäglich geworden. Eine Reihe von ehemaligen StudentInnen der Universität Wien berichten über diese Krawalle und Übergriffe in ihren biografischen und lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen”, so etwa der damalige Jusstudent Karl Mark: Je mehr die nationalistische Welle aufkam, desto stärker spürten wir ihre Schikanen. Die Hochschülerschafi, die damals noch keine gesetzlich begründete Körperschaft war, hatte in ihren Statuten den Paragraphen, daß nur Arier in der Studentenschaft wählen und gewählt werden dürfen. Wir wurden zu einer Versammlung für die Beratung über diese Statuten eingeladen. Da erhob sich ein Klassenkollege vom Döblinger Gymnasium und sagte: „Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß im Saal ein Vertreter einer Gruppe sitzet, dessen Mutter Jüdin ist.“ Ich stand auf und sagte deutlich: „Lieber Paul Frank, meine Mutter ist keine Jüdin. Mein Vater ist Jude, ist aber längst aus der Religionsgemeinschaft ausgetreten. Ich aber werde diesen Saal natürlich verlassen“. Alle meine Genossen folgten mir. Dadurch erhoben wir dagegen Protest. In den folgenden Tagen nach der Aufhebung der Studentenordnung im Juni 1931 kam es zu den bis dahin schwersten AusJänner 2012 29