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einer Zwei-Millionen-Stadt, nur wenige Gymnasien gab, und diese außerdem für den Besuch von Mädchen nicht vorgesehen waren. Dennoch legte Aline Klatschko 1903 am Akademischen Gymnasium ihre Reifeprüfung ab, noch als Externistin. Nach ihrer Matura setzte sie das Studium romanischer Sprachen an der Wiener Universität fort — erschwert teilweise durch die feindselige Einstellung mancher Professoren gegenüber ihren ersten weiblichen Studierenden. Dadurch wurde Aline Klatschko erstmals in verstärktem Ausmaß mit den antifeministischen Einstellungen ihrer Zeit, die auch in den höheren Gesellschaftsschichten vorherrschten, konfrontiert. Die Ablehnung der von ihr gelebten neuen Frauenrolle musste sie auch von den Angehörigen ihres Geschlechts erfahren, so in der nordböhmischen Stadt Kaaden, wo sie von 1904 bis 1909 lebte, weil ihr Mann Carl Furtmüller als Mittelschullehrer an das dortige Gymnasium versetzt worden war: ... [Ich] musste mich von den Damen [in Kaaden] ausrichten und auslachen lassen, wenn ich in den [Park-]Anlagen mit einem dicken Lehrbuch neben dem Kinderwagerl meiner Ältesten saß, wobei drolligerweise das Schieben des Wagens für ebenso unpassend galt wie das Studieren. Kinderwagen gehörten für „Dienstboten“ und Bücher für Männer 1906 vollendete Aline Furtmüller ihr Studium romanischer Sprachen mit der Erreichung des Doktorats, womit sie zur ersten Generation der Frauen in Österreich gehörte, die einen solchen Abschluss erreichten. Anschließend legte sie die Lehramtsprüfungen für Französisch, Italienisch und Deutsch ab und übte den Beruf einer Mittelschullehrerin an privaten Mädchengymnasien in Wien aus. Individualpsychologin der ersten Stunde In Samuel Klatschkos Wiener Freundeskreis der sozialistischen russischen Emigranten verkehrte auch die 1896 von Zürich nach Wien übersiedelte russische Studentin Raissa Epstein, die bald darauf den jungen Mediziner Alfred Adler heiratete. Zwischen den beiden jungen Ehepaaren Alfred und Raissa Adler sowie Carl und Aline Furtmüller entwickelte sich bald eine enge Freundschaft, mitgetragen vom gemeinsamen Interesse an den intellektuellen Aufbruchsbewegungen ihrer Zeit, der Wiener Moderne. 1909 führte Alfred Adler Carl Furtmüller in die Freudsche Mittwochsgesellschaft ein; nach dem Bruch mit Sigmund Freud entwickelte Adler mit der Individualpsychologie eine eigene tiefenpsychologische Richtung, maßgeblich unterstützt von Carl Furtmüller. Der Anteil, den die emanzipierten und intellektuellen Ehefrauen der beiden dabei hatten, wurde von der tiefenpsychologischen Geschichtsschreibung allerdings meist übergangen; beide beschränkten sich nicht nur darauf — wie Sigmund Freuds Frau — den Männern Kaffee und Zigarren zu bringen. Aline Furtmüller war daher eine Individualpsychologin der ersten Stunde. Im Gebäude der Individualpsychologie nimmt das Gemeinschaftsgefühl eine tragende Stellung ein; bei Aline Furtmüller fand die Theorie ihre Verwirklichung — und eine persönliche Haltung ihre Theorie. Vom Schicksal anderer Menschen, insbesondere von Kindern und Frauen, berührt, bemühte sie sich um Hilfestellungen. Durch ihre berufliche Tätigkeit als Mittelschullehrerin und später durch ihre politische Tätigkeit als sozialdemokratische Kommunalpolitikerin fand sie bei Kindern und bei Frauen aus der Arbeiterschaft ein reiches Betätigungsfeld. Mr Pal fo wur, mer pind fo klnin , Man Bue rain nt I~ bre. , du mer — ud mins Jılla Juin Lirnmör Berra ange Pfarıdarı . Wie plartbtren Aus pre ar Le In tahtamrygauygınen Dephr md fintlrn Ifpin dink hrypAr pith; Ha Ary ard bap fief Ih Ani: » WS 4&y prbprl bigrtif annitern! “ bin Thivrh Srl de mm li, rk Chir rl ha fig Lu md OY ad ave Ar fnıh nr on, Yin Nr az serge wr. , Mawk ouboan ) 2. dug 1940. Aline Furtmüller schrieb gerne Gedichte. Als sie auf der Flucht in Montauban mittellos anlangte, hatte ihr Mann Carl den 60. Geburtstag. Da sie außer einer zufällig erhaltenen kandierten Feige kein Geschenk hatte, schrieb sie für ihn ein Geburtstagsgedicht. Ihre Zielsetzung dabei war gesellschaftskritisch und emanzipatorisch, fest verwurzelt im sozialistischen Milieu ihrer Zeit. Individualpsychologisch geprägt ging sie dabei beratend vor, d.h. bei Erwachsenen nicht mit lehrerinnenhaften Anordnungen oder guten Ratschlägen bzw. bei Kindern mit Schreien, Schimpfen oder Schlagen, sondern sie versuchte, im Gespräch, durch Fragestellungen die Situation zu erörtern und zu klären, und schließlich die Betroffenen zu selbständigen Einsichten und Entscheidungen kommen zu lassen. Mitarbeiterin am Aufbau des Roten Wien Die Gründung der Ersten Republik 1918 bedeutete einen Neubeginn für die österreichische Politik. Die Arbeiterschaft bekam erstmals die Möglichkeit, bei der Gestaltung von Staat und Gesellschaft mitzusprechen und mitzuwirken. Der sozialdemokratische Schulpolitiker Otto Glöckel setzte eine Schulreformbewegung in Gang, die bald im Zentrum des öffentlichen Interesses stand. Auch im Leben von Carl und Aline Furtmüller war diese Zeit ein Wendepunkt: Carl Furtmüller wurde einer der engsten Mitarbeiter des Schulreformers Otto Glöckel und Mitverfasser des Konzepts für den Neuaufbau der österreichischen Schulorganisation, das eine gemeinsame Schule für alle Kinder im Alter von 10 bis 14 Jahren vorsah. Im „Roten Wien“ der zwanziger Jahre konnte dieses Programm in Form eines Schulversuchs realisiert werden. Die Leitung dieses Projekts, das damals der umfangreichste Schulversuch in der westlich-industriellen Welt zur Erreichung einer Schule ohne Klassenschranken war und Jänner 2012 35