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Martin Krist Denkmal ins neue Licht gerückt Scheinbar unbeachtet schlummerte das, vom ehemaligen Kunstlehrer und Nationalsozialisten Ernst Peche gestaltete Kriegerdenkmal im alten Stiegenhaus des G19, Gymnasiumstraße, vor sich hin. Daneben hing bis vor kurzem als einzige sichtbare Kritik ein von mir verfasster Informationstext, der folgendermaßen lautete: Die 1935 von Prof. Ernst Peche, einem illegalen Nationalsozialisten und Lehrer des G 19, entworfene und angebrachte Gedenktafel sowie die nach 1945 hinzugefügte Marmorummantelung erinnern in militaristischer Weise an die im Ersten und Zweiten Weltkrieg gefallenen Schüler und Lehrer des G 19. Der nach 1945 angebrachte Zusatz verschweigt dabei in beschämender Weise die in der Zeit der nationalsozialistischen Unrechtsund Gewaltherrschaft dem NS-Terror zum Opfer gefallenen und ermordeten Lehrer, Schülerinnen und Schüler. Insofern ist diese Gedenktafel und ihre nach 1945 angebrachte Ergänzung auch ein Zeitdokument der in Österreich lange vorherrschenden Verdrängung der Entrechtung, Vertreibung und Ermordung der österreichischen Jüdinnen und Juden in der Zeit des NS-Terrorregimes. Mit dem 125-jährigen Jubiläum des G19 kam ein guter Zeitpunkt, um die Neugestaltung des Denkmals endlich in die Wege zu leiten. Aus einem Wettbewerb gingen die Kunststudenten Aldo Ernstbrunner und Stefan Klampfer mit ihrer Arbeit ,, Translozierung als Methode“ als Sieger hervor. Die Künstler überzeugten mit ihrer sensiblen Herangehensweise, der klaren Formensprache und einem dem Standort entsprechenden Entwurf. Die künstlerische, historische Intervention rückt die bestehenden Gedenktafeln in ein neues Licht. Bestandteil ist auch ein Text des Schriftstellers Doron Rabinovici, der das jahrzehntelange Vergessen und Verschweigen der Ermordung von jüdischen AbsolventInnen und Lehrer zur Sprache bringt: Von jenen, die während des Nationalsozialismus als Juden verfolgt wurden, ist auf dem Kriegerdenkmal nichts zu lesen. Von den 349 Schülern und Schülerinnen im Jahr 1938 wurden 104, also beinah ein Drittel, am 29. April des Gymnasiums verwiesen. Sieben dieser Ausgeschlossenen, ein ehemaliger Lehrer und viele, die hier maturiert hatten, wurden in eigens dafür vorgesehenen Tötungsstätten umgebracht. |...] Sie sind keine Gefallenen. Nicht an einer Front wurden sie getötet, sondern im Hinterland lagen die Ghettos und die Konzentrationslager. Sie umzubringen, erfüllte keinen besonderen militärischen oder wirtschaftlichen Zweck, aber ihre Ausrottung hatte unbedingte Priorität. Die Zerstörung des jüdischen Lebens wurde zum bestimmenden Merkmal und zum eigentlichen Ziel des nationalsozialistischen Reiches. Wer angeblich für das Vaterland kämpfte, verteidigte letztlich auch die Todesfabriken und die Gaskammern. |...] Das Verschweigen dieser Opfer auf dem Kriegerdenkmal war kein Zufall. Das Ausblenden der Vernichtung jüdischen Lebens gehörte zum Grundkonsens im Österreich der Nachkriegszeit. Die neu gestaltete Gedenktafelwand wurde anlässlich der 125-Jahr-Feier des G19 am 18. November 2010 der Offentlichkeit prasentiert. Dabei wurden exemplarisch vier Kurzbiographien vorgestellt: Die eines Lehrers, eines Absolventen, einer Absolventin sowie eines Schiilers der 1. Klasse des G19, der am 29. April 1938 der Schule verwiesen wurde: 4 ZWISCHENWELT Dr. Prof. Salomon Zimmels, geb. 10. Februar 1873 in Brody, unterrichtete israelitische Religion am G19 vom 16.2.1906 B 19.2.1932. Seine letzte bekannte Wohnadresse war Liechtensteinstraße 61/14, 1090 Wien. Er wurde am 22. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und ist dort „verstorben“. Dr. Leopold Moses, geb. 24. April 1888, Maturajahrgang 1921, war Historiker, Bibliotheks- und Archivvorstand der Israelitischen Kultusgemeinde. Anfang der vierziger Jahre musste das Ehepaar Moses in ein „Sammelquartier“ in der Czerningasse 4 umziehen. 1943 wurde Moses Chefredakteur und verantwortlicher Leiter des „Jüdischen Nachrichtenblattes“, Ausgabe Wien. Er wurde am 9. Oktober 1943 beim illegalen Grenzübertritt vom Generalgouvernement nach Ungarn B getarnt als polnischer Landarbeiter B verhaftet. Am 1. Dezember 1943 wurde er nach Auschwitz deportiert und dort wenig später ermordet. Dr. Magda Merwin, geb. 7. April 1911, Maturajahrgang 1929, absolvierte ihr Studium an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Ihre letzte Wohnadresse lautete Marc Aurel-Straße 5. Sie wurde gemeinsam mit ihrer Mutter, der sozialdemokratischen Journalistin und Schriftstellerin Thekla Merwin am 24. September 1942 vom Wiener Aspangbahnhof nach Theresienstadt deportiert. Von dort erfolgte am 19. Oktober 1944 die Weiterdeportation nach Auschwitz-Birkenau, wo sie zusammen mit weiteren 1.156 in einer der Gaskammer ermordet wurden. Hans Steiner, geb. 5. Juni 1927 in Wien, 1. Klasse des Schuljahres 1937/38, wohnte bei seinen Eltern in der Gymnasiumstraße 68, vom 15. April 1940 bis 13. November 1941 in der Dornbacherstraße 57/1/3, danach in einer „Gemeinschaftswohnung“ in der Rembrandtstraße 5/3/11. Zusammen mit seinen Eltern wurde er am 9. April 1942 in das Ghetto von Izbica bei Lublin im damaligen „Generalgouvernement“ deportiert. Vermutlich wurde er im Sommer 1942 im Rahmen der „Aktion Reinhard“ (benannt nach ihrem „Organisator“ Reinhard Heydrich) im Vernichtungslager Belzec ermordet. wT hen \ ‘Teh °9¢ gefalfeng ev und Schiiley. nN | é: Eréffnung der neu gestalteten ,,Kriegergedenktafelwand“. Foto: Petra Suko, G19