OCR
sind auch krank! Der Andrang wird unheimlich, wir nehmen zwei junge Leute (London School of Ec[onomics]). Das Essen wird womöglich noch unzureichender und schlechter! Ich habe große Wäsche, räume. Lese Hamlet, spiele Bridge! Mache ein Project für die Kantinen und Geldfrage, das ich beim Amt des Lagervaters einreiche (Beilage). Die Gerüchte über die Lage sind schlecht! Es gibt einen Probealarm für die Wache! Montag 28./ Ich räume und mit großem Erfolg weiter! Das Essen ist etwas besser aber noch immer unmöglich! Ich habe von Eirich den Freud wieder, lese darin und Hamlet; spiele bei Schloßmann Bridge. Die Stimmung ist besser weil gute Gerüchte einlangen! Sie wird schlechter auf die Nachricht der Internierung auch der „B Frauen“. Zum ersten Mal Roll Call im Lager. Ich gebe mein Bett an Prof. Rottenberg! Und etwas Essen an Braunthal und Cigaretten an Rauchhungrige! Dienstag 29. Essen noch immer elend! Keine Post, kein Paket, kein Geld, keine Routine! Schlechte Nachrichten! Also ein schlechter Tag, den ich aber mit Fassung trage, im Gegensatz zu vielen, die sie verlieren! Mein Zimmer wird mit grofer Plage immer sauberer! Man verspricht uns Post und besseres Essen! Ich bekomme ein Postpaket mit 3 Biichern, die ich gleich verleihe. Mittwoch 30. Revolte im Zelt wegen zu wenig Essen! Die Kantine versagt noch immer! Sardinen miissen in Anwesenheit eines Ofhiciers geöffnet werden, weil die Büchsen so gefährlich sind! Es gibt jetzt drei x täglich Appell! Es kommen immer noch 100te neue Leute. Ich bin mit Freud fertig, lese Hamlet, spiele Bridge. Bekomme ein gutes Paket (mit Wäsche, etwas Süßigkeiten, keine Post). Donnerstag 31. Essen wird besser; ich bekomme noch Bücher. Habe Waschtag, melde mich zum arbeiten. Man versucht Vorträge zu veranstalten; das dauert aber lange, da erst eine Bewilligung erforderlich. Keine Post. Samstag 2/Juni: ich stopfe Strohsäcke für Neuankömmlinge, treffe dabei auf einen jungen Mauthner. Wir bekommen einen neuen Kommandanten. Die „B“ Leute aus Oxford kommen an, so daß jetzt viele Universitätsleute aus Edinbourgh etz da sind! Es sollen Vortragscyklen eingerichtet werden. Ich bekomme ein Telegramm wegen Travelpaper, das ich zu erledigen trachte. In einer Hütte wird per Gramophone die Ste Beethoven aufgeführt! Toscanini B.B.C.! merkwürdig, dass ein Land Hitler und Beethoven geboren hat. Merkwürdig auch die immer ins Geistige strebenden Juden! Es war ein „erstes“ Publikum. Sonntag 3/6: es ist stiller als sonst. Ich war am großen Paradeplatz bei der Messe „for victory“, weil ich fand, es „gehört“ sich! Es war recht eindrucksvoll! Je weniger feierlich Religion geboten wird, desto natürlicher wirkt sie. Nach dem Essen intime Cabaretaufführung von einem Mann namens Breier in der Hütte von Max P[erutz] Ich lese mein Veilchen vor. Montag 4/6 — Sonntag 9/6 [-] Es hat ein reger Universitätsbetrieb begonnen! Ich höre Elias Sociologie und Psycholanalyse Benesch franz. Malerei des 19ten Jahrh., Lipstein intern [ational] privat Law. Die Vorlesungen werden in engl. Sprache gehalten. Außerdem nehme ich bei einem ausgezeichneten Mann Dr. Rüdenberg Stunden in englischer Sprache. R. hat viele Jahre in Shanghai gelebt, beherrscht die Sprache vor allem auch geistig und da ich einen „ausgeruhten“ Kopf habe, dürfte ich Fortschritte machen. Während der Woche sind zwei Personen wegen national importance entlassen worden. Außerdem sind etwa 400 auf die Isle of Man, dafür sind erwa 400 Neuankömmlinge, darunter Richlard ?] Fürth. Ich habe diese Woche begonnen zu schrei20 ZWISCHENWELT ben. Das Essen ist besser. Am Donnerstag war eine nette Kabaretaufführung Schrammeln aus Wien, kleine Sketches, Sänger, Akrobaten. Recht lustig und bei guter Simmung. Freitag und Samstag kam die erste Post; ich bekam 4 Briefe von zu Hause dtto 15-28 Mai. Wir konnten Donnerstag einen Brief schreiben. Die Kantine geht noch immer nicht. Außer den Vorträgen, die ich besuche, gibt es solche für Mathematik], Literatur (Shakespeare, Faust), Religion, Philosophie Nationalök[onomie] u.a. Es herrscht sehr reger geistiger Betrieb, Vor- und Nachmittag viele gute, auch gut besuchte Vorlesungen. Abend meist in kleinem Kreis vor „geladenen“ Gästen Vorträge: Rüdenberg ü[ber] China, ein Vortrag über Machiavelli (den ich nicht höre). Die Nachrichten sind immer bedrückender; das Essen bessert sich. Montag den 10ten bis Mittwoch den 12ten/6 Man lebt sich immer mehr ein. % 9° Frühstück, % 10° — % 11° Englisch, 34,115 — 34 12° Lektüre, 12 — 1F häusliche Arbeiten, 1” Lunch (Eintopfgericht), 2— 3" Siesta. Nachmittag Lektüre und Bridge. Ich bekomme ein zweites Paket. Post bis 31/V. Ich versuche einen Liverpooler Anwalt zu sehen. Schreibe (12ten) Im Haus herrscht ein ausgezeichneter Ton, wenn auch wenig Reinlichkeit. Im Esszelt regiert der Pöbel; obwohl das Essen viel besser gibt es „Revolten“. Mittwoch heißt es, wir kommen auf die Isle of Man. Große Vorbereitungen, Gruppenteilungen, etz am Donnerstag. Freitag den 14ten Reveille um 5" Abmarsch um 8". Von unserem Haus bleiben zurück: Jacobson, Priechenfried und Calm. Unser Gepäck fährt mit Lastwagen, wir gehen zur Station in Gruppen, fahren per Bahn nach Liverpool (schöner Hafen) und von dort per Schiff (700 tons) bei Sonne und ruhiger See 4 1/2" auf die Isle of Man. Im Hafen von L[iverpool] zwei große Schiffe, unterwegs zwei kleine wraks. Um ca % 5" sind wir in Douglas und werden ausgebootet. Den Strand entlang, vorbei an der neugierigen aber scheinbar nicht übel wollenden Bevölkerung geht es zu Hotels, die am Strand liegen, aber von ihm durch Drahtverhau getrennt sind. Da unsere Partie die erste ist, kommen wir in die Hotels am Strand. Ich „erobere“ gemeinsam mit Schiller ein Zimmer mit einem franz. Bett, das wir abwechselnd benützen; es geht wohl in die Seitengasse, hat aber Meeresaussicht; fießendes kaltes Wasser, zwei Legekästen, zwei Sessel, Kleiderhänger, Handtuchhänger etc. Leider ist der Raum schr eng, weil nur die Hotels eingefriedet sind. Kein Grün, kein Bewegungsraum. Wir wohnen in einem Hotel Imperial, dessen Majorität von Cambridgeleuten gestellt wird. Eine andere Gruppe sind die orthodoxen Juden im Nebenhaus, Katholiken etc. Samstag den 15ten Wir haben unsere eigene Küche. Rothberger ist Wirtschaftschef, Prof. Deutsch (Musiker) Oberkellner, Pastor Hildebrand[t] Hausvater: Eirich, Perutz, Brück, Archenhold und unsere ganze Hütte sind untergekommen. Wenig Essen, aber gut serviert, nett gekocht etc. Nachmittag kommt die zweite Partie aus Bury bei Regen an und verteilt sich in die Hinterhäuser. Die ganze Organisation muß neu aufgebaut werden. Paris ist gefallen. Wir sind sehr bedrückt, obwohl man zu glauben scheint, das sei „good news for us“! Sonntag den 16ten Es ist wieder schönes Wetter, wenn auch Sirocco. Ich bin schon um 7" relativ allein am Strand. Das Meer ist herrlich und eine Entschädigung für Vieles. Meinem Heuschnupfen scheint der Seewind gut zu tun. Transkribiert von Alexander Emanuely