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gesamt 16 Strafverfahren aufgelistet sind — unter anderem wegen Preistreiberei, verbotener Ausfuhr, Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz, Diebstahls, Veruntreuung sowie Raufhandels, Beamtenund Ehrenbeleidigung.” Seit 1933 betrieb Schleich auf dem Gelände der ehemaligen Gärtnerei seiner Großmutter im Süden von Graz eine Hühnerfarm und Schweinemästanstalt, die — wie vor allem auch seine Wohnung in der Grazer Innenstadt — während der NS-Zeit zentrale Anlaufstellen für Jüdinnen und Juden waren, die aus Österreich emigrieren mussten. So beschäftigte sich Schleich ab Sommer 1938 zunächst mit der Durchführung landwirtschaftlicher Kurse für Jüdinnen und Juden und danach „mit dem Hinausschaffen von Juden nach Jugoslawien“, wie er am 12. März 1941, genau drei Jahre nach dem „Anschluss“, bei der Einvernahme vor der Zollfahndungsstelle Graz angab.* Bald nach dem „Anschluss“ 1938 waren — wie der nachmalige Vizepräsident der IKG Graz, Otto Klein, berichtete — Vertreter der IKG Graz, darunter Otto Kleins Vater Alfred, an Schleich mit der Bitte herangetreten, ihnen bei der „Auswanderung“ behilflich zu sein.” Zunächst wurde Schleich ersucht, landwirtschaftliche Kurse für Jüdinnen und Juden abzuhalten. Die Absolvierung einer landwirtschaftlichen Vorbereitung, der so genannten „Hachschara“, galt als Voraussetzung für den Erhalt eines „Arbeiterzertifikats“ zur Einwanderung in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina.'° Mit der IKG Graz, die die Kosten dafür übernahm, traf Schleich daher bereits am 8. Juli 1938 eine Vereinbarung, in der es u.a. heißt: Sie verpflichten sich, unsere Ihnen beigestellten Mitglieder, das sind Angehörige einer Gruppe, welche von uns für eine kollektive Ansiedlung in Palästina vorbereitet wird, auszubilden. [...] Sie übernehmen die Verpflichtung, diese Schüler im Rahmen des Betriebes vollkommen auszubilden. Eine Entschädigung für Ihre Mühewaltung wird einvernehmlich festgesetzt, sobald wir festgestellt haben, wie viele Teilnehmer sich für den Kurs gemeldet haben. Wir rechnen damit, dass 70 bis 120 Personen für den Kurs in Betracht kommen. [...]"' Nachdem Schleich beim Kreiswirtschaftsberater der NSDAP des Kreises Graz um die Genehmigung für die Abhaltung der Kurse angesucht hatte und am 29. Juli 1938 die Bewilligung mit der Auflage bekommen hatte, „dass die Staatspolizeistelle Graz hiervon verständigt wird, um dies zu überwachen“, begann er mit der Ausbildung! ?, die bis Ende Oktober 1938 lief." Bald schon brachte Schleich vereinzelt Juden bei Minihof-Liebau über die „grüne Grenze“: Als ersten Juden schmuggelte ich Herrn [Samuel] Weiß mit seiner Frau Grete Weiß, nachdem ich vorher beide 8 bis 10 Tage in meiner Wohnung versteckt hielt, über die Grenze ins Ausland bis nach Agram. Dann folgten Herr und Frau Adler, Inhaber der Sichelbrotwerke Graz.“ Samuel Weiß hatte in Graz ein Sägewerk und eine Parkettfabrik betrieben, die im November 1938 unter kommissarischer Verwaltung standen. Weiß wurde aus einem bereits zusammengestellten Transport in das KZ Dachau herausgeholt, um technische Schwierigkeiten in seinem Betrieb zu beheben. Wegen der nach wie vor drohenden Überstellung in das Konzentrationslager wandte sich Weiß an den Leiter der IKG Graz, Elias Grünschlag, der ihn an Schleich weiter verwies. Dieser brachte Samuel Weiß am 6. Dezember 1938 bei Jennersdorf über die Grenze nach Jugoslawien. Grete Weiß folgte erst Ende August 1939." Diese ersten Aktivitäten Schleichs für verfolgte Jüdinnen und Juden führten nicht zuletzt dazu, dass Vertreter der IKG erneut > C fi a5 : i #1. ene Trae ae Josef Schleich mit Mitarbeiterin 1940. Foto Josef Roschker an Schleich mit dem Ersuchen herantraten, größere Transporte von Jüdinnen und Juden ins Ausland, vor allem nach Palästina, zu organisieren. Es bestand nämlich die Möglichkeit, Personen, die nach dem Novemberpogrom in das KZ Dachau gebracht worden waren, mit dem Nachweis einer Ausreisemöglichkeit freizubekommen."‘ Schleich begab sich daher, mit Papieren der IKG Graz ausgestattet, nach Jugoslawien, Italien und Griechenland, wo er mit Behörden und Gesandtschaften in Verbindung trat und sich um Schiffe für die Fahrt nach Palästina bemühte. Dabei schloss er als Bevollmächtigter der Grazer IKG im Februar 1939 in Fiume Vereinbarungen mit Ing. C. Kornfeld und Paul Elbogen, die sich als Organisatoren der Auswanderungsaktion neben den Schiffspassagen für 150 Grazer Jüdinnen und Juden auch um die Endvisa für China kümmerten. Für diese „ChinaSonderfahrt“ ließ Schleich in Graz Flugblätter drucken.'’ Dass eine Fahrt nach China de facto nie zustande gekommen und nur ein Trick gewesen ist, um die italienischen Behörden zu täuschen, geht aus einem Bericht Josef Schleichs aus dem Jahr 1948 hervor: Mein Auftrag war, Juden illegal nach Palästina zu bringen. Auf Grund des Freundschafispaktes zwischen Italien und Deutschland ließ Italien die Juden nicht in ihren Häfen nach Palästina einschiffen, da Italien ansonsten diplomatische Verwicklungen mit England befürchtete. Es blieb in dieser Situation nur der Ausweg, mich mit China in Verbindung zu setzen, dort zu verhandeln, um in Besitz von [...] chinesischen Einreisebewilligungen nach Shanghai zu gelangen. Um dies zu erreichen, musste ich mich verpflichten und einen Revers unterschreiben, dass diese [...] Menschen nicht nach China kommen dürfen, sondern ein Scheinmanöver sein muß, geeignet, die italienische Behörde irre zu führen, damit die Einschiffung im italienischen Februar 2011 33