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Hafen möglich wird und damit die Reise nach Palästina. ... Auf diese Art ging von Graz aus der erste Transport nach Palästina ab.* Versuche, weitere Transporte auf diesem Weg nach Palästina zu bringen, scheiterten. So gab etwa der Rechtsanwalt Emmerich Weigand, der Schleich gelegentlich rechtsfreundlich vertrat, an, Schleich habe ihn im Sommer 1939 gebeten, ihn nach Fiume zu begleiten, „um dort irgendeinen Vertrag bezüglich einer Schiffsmiete abzuschließen. Diese Angelegenheit hat sich aber in der Folge zerschlagen.“'? Auch erhielt Schleich einen Teil des mit der IKG vereinbarten Geldes nicht, da es vom Sicherheitsdienst (SD) der SS beschlagnahmt worden war.” Hinzu kam, dass Schleich nach dem ersten Palästinatransport in Graz verhaftet wurde, wobei ihm die Gestapo die gesamten Aufzeichnungen und Papiere abnahm.”' Organisierte Schlepperei an der jugoslawischen Grenze Nachdem Schleich die Schiffstransporte wegen Differenzen zwischen ihm und der Gestapo, wie er im Prozess 1941 angab”, eingestellt hatte, erhielt er im Sommer 1939 eine Vorladung zum Sachbearbeiter für die Bereiche „Kirche und Juden“ beim SD in Graz, Werner Mirtl, der mit ihm die weitere Vorgangsweise beim illegalen Außerlandesbringen von Grazer Jüdinnen und Juden besprach. Der Jude Bernhard Steiner, der bis Ende Juni 1939 in Graz gelebt hatte und dann nach Wien übersiedelte war, berichtete, das seit Februar 1939 im Palästinaamt in Wien untergebrachte Provinzreferat der IKG Graz habe bestimmt, „dass von Schleich zuerst die in Wien wohnhaften Grazer Juden über die Grenze abgeschoben werden sollten. Alle interessierten Juden sollten ans Pal.Amt verwiesen werden, das die Zusammenstellung der Transporte übernahm. Pro Person musste[n] für den Transport RM 400 - 700 an das Pal.Amt gezahlt werden. Schleich erhielt davon pro Person ca. RM 300 — 400.“ Bei der Gestapo unterschrieb Schleich dazu folgenden Vertrag: Ich, Josef Schleich, nehme zur Kenntnis, dass es mir bis auf weiteres gestattet ist und zwar unter genauester Befolgung nachfolgenden 7 Punkte, mich als Judenschlepper zu betätigen: Ich verpflichte mich, die Judentransporte in folgender Form durchzuführen: 1.) Jeder Transport muss sofort beim Eintreffen in Graz der Geheimen Staatspolizei gemeldet werden. Weiters sind zwei Listen anzulegen, welche die Namen, Geburtsdaten und den letzten Aufenthalisort beinhalten. 2.) Ich verpflichte mich, dafür Sorge zu tragen, dass sich kein Jude im Stadtgebiet herumtreibt. Juden dürfen nur während der Transporte vom Bahnhof bis zur Unterbringungsstelle und von der Unterbringungsstelle bis zum Bahnhof sich auf der Strasse aufhalten. 3.) Es ist mir untersagt, Judentransporte mit mehr als 15 Personen durchzuführen. Zur Grenze dürfen davon jedesmal nur 5 Personen gebracht werden. Bevor nicht alle 15 Personen zur Grenze geschoben sind, darf in Graz kein weiterer Transport einlangen. 4.) Weiters habe ich dafür Sorge zu tragen, dass sich die Juden an der Grenze nicht frei unter der Bevölkerung bewegen. 5.) An der Grenze habe ich mich sofort mit dem zuständigen Grenzpolizeiposten bezw. Gendarmerieposten und dem Zollamt in Verbindung zu setzen, damit die Juden, die im Besitze eines gültigen J.-Passes und der Stenerunbedenklichkeitsbescheinigung sein müssen, genauestens polizeilich und devisenrechtlich überprüft werden. 34 ZWISCHENWELT 6.) Nach erfolgter polizeilicher und devisenrechtlicher Überprüfung sind sie unmittelbar über die Grenze zu schieben. 7.) Die Transporte müssen im Beisein meiner Person durchgeführt werden und dürfen nicht von anderen von mir bestimmten Personen geleitet werden. Ich nehme weiter zur Kenntnis, dass ich von der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle Graz, darauf hingewiesen wurde, dass ich mit den schärfsten staatspolizeilichen Mafnahmen und Entzug der Bewilligung als Judenschlepper zu rechnen habe, wenn ich die oben angeführten Punkte nicht genauestens befolge.”* So begann Schleich Anfang August 1939 mit dem Taxiunternehmer Karl Andres aus Graz, vier bis sechs Mal im Monat Grazer Jüdinnen und Juden aus Wien nach Graz, von Graz nach Minihof-Liebau bzw. auch direkt von Wien nach Minihof-Liebau zu transportieren. Dort wurden sie — wie Andres angab — „nach der Abfertigung durch die Zollbehörde von dem Bauern Josef Stummer“ aus Tauka abgeholt, der sie bei sich bzw. anderen Bauern unterbrachte. Stummer, dessen Frau mit Schleich verwandt war, gab 1941 an, „dass bei mir 100 bis 200 Juden durchgegangen sind. [...] Manche waren 1 Tag da, manche auch 8 Tage. [...] Ich führte die Juden von meinem Haus, in dem sie wohnten, bei Nacht an die damals jugoslawische Grenze an einen verabredeten Ort, der eine viertel Stunde von meinem Haus entfernt ist. Dort war in der Regel Franz Behek aus Dolic. Manchmal war auch Paul Klement aus Matjasovci da. Diese haben die Juden, unterstützt von anderen Jugoslawen, zu Fuß nach dem etwa 10 km entfernten Murska-Sobota gebracht. [...] Von dort aus benützten die Juden die Bahn nach Agram.“* Schleich fuhr in der Anfangszeit auch teilweise selbst mit nach Zagreb (Agram), wobei er mehrmals — auch wegen Spionageverdachtes — festgenommen wurde. „Anlass dieser Festnahme war, dass die jugoslawischen Behörden bei einer Durchsuchung bei mir einen Chiffreschliissel vorfanden, den mir die Zollfahndungsstelle Graz ausgehandigt hatte. Ich wurde ein oder zweimal von der Zollfahndungsstelle und mehrmals im Auftrage der Gestapo Graz nach Jugoslawien geschickt. Dies betraf natiirlich Angelegenheiten, die nicht mit dem Judenschmuggel zusammenhängen und über die mir Schweigepflicht auferlegt wurde.“” Schleich wurde aber in Zagreb Ende September 1939 auch im Zusammenhang mit dem Judenschmuggel festgenommen, wie der Grazer Rechtsanwalt Ludwig Bird’, der selbst im Oktober 1938 zunächst nach Maribor und danach nach Zagreb geflohen war, berichtete. Schleich wurde in der Folge mit einem Aufenthaltsverbot für Kroatien belegt und konnte nicht mehr nach Zagreb fahren.” Parallel zum Beginn des Judenschmuggels im Bereich MinihofLiebau begann jedoch die Zollfahndung in Graz und Wien Anfang September 1939 mit Ermittlungen gegen Schleich, wobei dieser im Oktober 1939 erstmals verhaftet wurde.” In diesem Zusammenhang berichtete der für die auswandernden Jüdinnen und Juden zuständige Grazer Gestapobeamte Ludwig Zwickler den Zollinspektoren u.a. ... dass Schleich ein ganz gefährlicher Bursche sei, der mit diesen Judentransporten viel Geld verdiene und auferdem im Verdacht stehe, Devisen, Gold und Wertpapiere für die Juden mit nach dem Auslande zu verbringen. Wenn Schleich ahne, dass er einmal gefasst werden soll, dann gebe er der Gestapo immer einen Tipp, damit sie auf Grund seiner Angaben einen Zugriff machen könne und es den Anschein erwecke, als würde Schleich für das Reich arbeiten. Heute habe Schleich ihm, Zwickler, wieder etwas von einem Briefmarkenalbum erzählt,