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vorsorge“, der „Jüdischen Auswanderer-Stelle für Württemberg und Hohenzollern“ in Stuttgart, sowie mit dem Reisebüro Rudolf Postelt in Hamburg“ und dem Reisebüro Capri in Wien“. Dadurch kam es ab Oktober 1940 zu einer schr starken Zunahme der illegalen Grenzübertritte. Um diesen Zustrom von Jüdinnen und Juden, die nun aus dem gesamten Reich über Wien und Graz von Schleich außer Landes gebracht werden sollten, zu bewältigen, ersuchte er am 8. Oktober 1940 die Gestapo in Wien, ihm die Einrichtung eines Büros im Palästinaamt zu genehmigen. Seitens der Geheimen Staatspolizeileitstelle Graz wurde mir die Bewilligung erteilt, Juden mit gültigem Reisepass und Stenerunbedenklichkeitsbescheinigung raschest aus dem Lande zu bringen. Ich habe mich bei der Leitstelle Graz in 8 Isic!] Punkten verpflichtet, alle Vorschriften genauest einzuhalten. Ich ersuche daher die Geheime Staats‚polizei, Leitstelle Wien, mir ein Lokal zwecks Zusammenstellung von legalen Transporten im Hause des Palästinaamtes zu bewilligen.“ Schleich erhielt am 15. Oktober 1940 im Palästinaamt in der Marc-Aurelstraße 5 in Wien ein Büro, in dem zwei jüdische Sekretärinnen arbeiteten. Gleichzeitig wurden Informationsblätter für „Auswanderungsinteressierte“ aufgelegt, die Richtlinien für die Mitnahme von Gepäck und Geld ebenso enthielten wie Angaben zu Stornobedingungen und Haftungsfragen oder Schleichs persönlichen Sprechstunden im Palästinaamt — „Sonntag und Mittwoch von 8 — 12 Uhr Mittag“. Im Jänner 1941 verlegte Schleich sein Büro mit den beiden jüdischen Sekretärinnen in das Reisebüro Capri, das ihm gegen einen fünfprozentigen Provisionsanteil vom Umsatz einen Büroraum sowie ein Konferenzzimmer zur Verfügung stellte.“ Der Geschäftsführer, Josef Opawa, schilderte die kurze Kooperation, in der 151 Jüdinnen und Juden außer Landes gebracht wurden: Die Juden, die nach Jugoslawien auswandern wollten, wurden von zwei Frauen, die Angestellte des Schleich waren, über die Formalitäten, Zahlungsbedingungen unterrichtet und wenn sie dann eingezahlt hatten, erhielten sie einen Passierschein auf einer Geschäftskarte des Schleich, auf welchen ihnen auch der Abfahristag aus Wien angegeben wurde. Die eingezahlten Gelder wurden bei mir übernommen, treuhändisch verwaltet und zur gegebenen Zeit an Schleich abgeführt. Begonnen wurde ungefähr am 20. Jänner 1941 und beendet wurde es am Montag den 3. Februar. Am 3. Februar wurde ich von Herrn SS Obersturmführer Brunner, Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderer in Wien [korrekt: Zentralstelle für jüdische Auswanderung), [...] eingeladen, welcher mir im Aufirage der Staatspolizei mitteilte, dass diese Auswandereraktion einzustellen sei; welchem Auftrag ich nachkam.“ Die unterschiedlichsten jüdischen Auswanderungs- und Hilfsstellen schickten Schleich Juden, die „von der Gestapo ausgewiesen waren oder ausreisen durften und die mit Sichtvermerk versehene Pässe und Unbedenklichkeitsbescheinigungen hatten.“ Die Bezahlung erfolgte über die einzelnen Einrichtungen oder aber auch — wie Schleich angab — durch die Gestapo. „Für die Juden, die ich durch die Gestapo oder durch die Kripo erhielt, bekam ich je nachdem, ob der Jude Geld hatte oder nicht, 150.- bis 500,- RM. [...] Für die Juden, die mir die verschiedenen Reichsvereinigungen zuwiesen, erhalte ich je nach Vermögen der Juden 500 bis 700 RM. In der Bezahlung der eben genannten Honorare ist inbegriffen, dass ich für je 10 Juden weitere 3 Juden gratis über die Grenze schaffe. ““* 36 ZWISCHENWELT Über die auf diesem Weg außer Land gebrachten Juden musste Schleich genaue Listen anlegen, wobei jeweils ein Exemplar der Gestapo, eines der Grenzpolizei und eines der Zollstelle übergeben wurde.” Insgesamt hat Schleich, wie sich im Prozess gegen ihn im Jahr 1941 herausstellte, im Zeitraum von Oktober 1940 bis Marz 1941 mindestens 1.162 Juden iiber die Grenze gebracht.”° Kindertransporte 1940 Die Gründerin der Jüdischen Jugendhilfe in Berlin, Recha Freier, musste vor ihrer drohenden Verhaftung im Juli 1941 nach Jugoslawien fliehen. Von Zagreb aus bemühte sie sich in der Folge, Ausreisemöglichkeiten für jüdische Kinder, deren Eltern entweder in Konzentrationslagern oder bereits verstorben waren, zu organisieren. So wandte sie sich bereits am 18. bzw. 24. Juli 1940 über den „Verband der jüdischen Kriegsopfer“ in Wien mit der Frage an Schleich, ob er Auswanderungsmöglichkeiten nach Jugoslawien sehe. Gleichzeitig organisierte sie in Zagreb über die Jewish Agency Einreisezertifikate für 100 Jugendliche. Auch hatte sie die Zusage, dass die Jüdische Gemeinde in Zagreb wie auch die Women’s International Zionist Organisation (WIZO) die Kinder und Jugendlichen in Zagreb aufnehmen und für die Kosten ihrer Weiterreise sorgen würden. Da Einreisevisa nach Jugoslawien nicht zu bekommen waren, beschloss Freier, die Kinder und Jugendlichen illegal dorthin zu bringen. ' Ein Mitarbeiter des Berliner Palästinaamtes, Rudolf Pick, stellte fünf Transporte von Berlin und je einen von Frankfurt am Main und Leipzig zusammen und verhandelte am 10. Oktober 1940 in Wien mit Vertretern des dortigen Palästianaamtes und der IKG Graz — unter anderem mit Dr. Maurice Grün und Elias Grünschlag — sowie mit den Schleppern Rudi Schäfer, Josef Schleich und Toni Wicher über den Preis und die Route. Schleich schlug den Weg über Minihof-Liebau vor.”” Nachdem Vereinbarungen zwischen dem Palästinaamt und den Schleppern getroffen worden waren, übernahm Schäfer die ersten beiden Transporte über Wies und Eibiswald mit insgesamt 24 Kindern und drei erwachsenen Begleitpersonen. In der weiteren Folge wurden sowohl von Schleich als auch von Schäfer gemeinsam mit Wicher weitere Kindertransporte nach Jugoslawien abgewickelt, wobei sich den aus Berlin und Frankfurt kommenden Kindern auch Wiener Kinder — unter ihnen Robert Weiss — anschlossen. Diese zwischen Oktober 1940 und Februar 1941 nach Zagreb gekommenen Kinder, die dort ihre Weiterreise nach Palästina abwarten wollten, wurden im Frühjahr 1941 in Zagreb vom Einmarsch deutscher Truppen in Jugoslawien überrascht. 42 Kinder — unter ihnen auch Robert Weiss — mussten zunächst in den italienisch besetzten Teil Sloweniens, im Juli 1942 weiter nach Italien und schließlich im Oktober 1943 in die Schweiz fliehen. °? Ende einer Schlepper-Karriere Mit der Änderung der antijüdischen Politik der Nationalsozialisten Anfang des Jahres 1941 — von der Vertreibung hin zur Deportation und schließlich zur Vernichtung — erübrigte sich auch Josef Schleichs Mitwirkung an der forcierten Auswanderung. Obwohl die jüdische Auswanderung offiziell erst am 23. Oktober 1941 verboten wurde‘, erging bereits am 3. Februar 1941 die