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Danny Leder Die Morde von Toulouse Am 11. und 15. März werden drei Soldaten ermordet und einer schwer verletzt. Am 19. März werden vor der jüdischen Schule Ozar Hatorah ein Lehrer und drei Kinder ermordet, ein Jugendlicher wird schwer verletzt. Am 22. März wird der Täter, Mohamed Merah, in einem Feuergefecht mit der Polizei getötet, drei Polizisten werden verletzt. Die Spitzenrepräsentanten der jüdischen und muslimischen Gemeinden Frankreichs traten aus dem Pariser Präsidentenpalais, in das sie Staatschef Nicolas Sarkozy geladen hatte, umarmten sich, nannten einander „Brüder und Schwestern“ und verkündeten einen gemeinsamen Schweigemarsch für Sonntag, zu dem sie auch die übrigen Franzosen aufriefen. Das war am Dienstag, als die meisten Franzosen noch hinter den Morden einen Rechtsradikalen vermuteten, der auf Juden, Muslime und Schwarze gleichermaßen wegen ihrer vorgeblichen Andersartigkeit Jagd machen würde. Dass sich der Serienkiller schließlich als Anhänger von „Al Kaida“ entpuppte und auf die „Kinder Palästinas“ berief, stellt Frankreich vor eine unvergleichlich schwerere, innere Belastung. Nicht dass die Abscheu vor dem Kindertöter geringer wäre, oder dass etwa „Al Kaida“ über eine relevante Unterstützung unter Frankreichs Muslimen verfügen würde. Die Vertreter der Muslime trafen sich auch Mittwoch im Pariser Elysee-Palast mit den jüdischen Gemeindespitzen und verurteilten den Mörder und „Al Kaida“ mit allem nur denkbaren Nachdruck. Aber Frankreich laboriert nun einmal an einer hohen Zahl von Übergriffen von Jugendlichen aus muslimischen Familien gegen Juden. Vergleichsweise haben Juden in ihrem Alltag schon lange nicht mehr rechtsradikale Grüppchen zu fürchten, von denen es in Frankreich nur verschwindend wenige gibt — es sei denn man rechnet das politische Umfeld des franko-afrikanischen Bühnenkiinstlers Dieudonné M’bala M’bala, einem anti-jüdischen Hetzer der übelsten Sorte, der über eine gewisse Anhängerschaft in Migrantenvierteln verfügt, zur rechtsextremen Szene. Insgesamt leben in Frankreich schätzungsweise eine halbe Million Juden und sechs Millionen Muslime - in beiden Fällen der höchste Anteil in Europa. Diese hohe Anzahl hängt mit Frankreichs Kolonialvergangenheit zusammen: Die Mehrheit beider Gruppen stammt familiengeschichtlich aus den französischen Ex-Kolonien in Nordafrika. Der gemeinsame Ursprung sorgte und sorgt noch für Symbiosen. Muslime gingen früher, als es noch kaum organisierte islamische Schächtung gab, häufig in koschere Metzgereien und Wirtshäuser. Zwar gab es auch früher Spannungen und Zusammenstöße, etwa im Zuge des Sechstage-Kriegs, 1967, als sich Juden und Muslime im Pariser Migrantenviertel Belleville Straßenschlachten lieferten. Aber damals standen sich etwa gleich starke Gruppen an jungen Juden und Muslimen gegenüber, während heute die Juden, deren Zustrom aus dem Maghreb versiegt ist, in diesen Vierteln hoffnungslos in der Minderzahl sind. Inzwischen sind jüngere muslimische Generationen zwar als französische Staatsbürger herangewachsen, die aber, im Kontext der chronisch hohen Jugendarbeitslosigkeit Frankreichs, in etlichen Bereichen zu kurz kommen. Eine winzige, aber auffällige Minderheit unter ihnen bewegt sich in an der Schnittstelle zwischen Jugendkriminalität und radikalen Islamparolen. Hetzergruppen entfalten eine intensive antijüdische Hasspropaganda. Der Nahost-Konflikt und Israels Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten werden nicht nur mit verständlicher Anteilnahme verfolgt, sondern dienen als Verhaltensmuster für den Umgang mit jüdischen Nachbarn in Frankreich. Ein Teil der Juden, die immer wieder in städtischen Randvierteln den Gewaltausbrüchen dieser Jugendlichen ausgesetzt sind, suchen ihrerseits, vor allem für ihre Kinder, Schutz und Selbstachtung in eigenen konfessionellen Schulen. Die Identifikation mit Israel, das auch zur Zufluchtsstätte für die meisten Juden aus Nordafrika wurde, wächst. Frankreich verfügt aber auch über eine lange und bewährte Integrations-Iradition rund um das Prinzip einer streng säkularen Republik, die als gemeinsamer Nenner für Menschen aller Ursprünge und Konfessionen noch immer halbwegs funktioniert. In fast allen Parteien arbeiten zahllose Juden und Muslime zusammen, zwischen Synagogen und Moscheen häufen sich Kontakte. Die Bereitschaft, dem Sog ins Unglück zu widerstehen, ist in allen Bevölkerungskreisen spürbar, sie muss aber ermutigt und organisiert werden. Danny Leder, Jahrgang 1954, wuchs in einer jüdischen Familie in Wien auf. Er arbeitet als Journalist seit 1981 in Paris und ist Korrespondent der österreichischen Tageszeitung “Kurier”. Zahlreiche Publikationen zum Verhältnis zwischen Juden und Muslimen in Frankreich und im Maghreb, sowie vergleichende Darstellungen zur NS-Vergangenheit in Österreich und Kollaboration in Frankreich. Herausgeber der Website: www.nachdenken-in-paris.net Wir gratulieren Wir gratulieren Hazel Rosenstrauch, der der Österreichische Staatspreis für Kulturpublizistik 2012 zuerkannt wurde. „Hazel Rosenstrauch ist eine Kulturpublizistin von großer intellektueller Unabhängigkeit und scharfem Verstand, fundiert, unerschrocken, nicht zu vereinnahmen. Ihre Publizistik ist breit gefächert und von dem deutlichen Impuls getragen, Bewegung in gemütliche Denkstuben zu bringen. Dies gelingt durch präzise Beobachtung und Sprache, und sie tut dies mit klugem Engagement, argumentativer Klarheit und einem über all die Jahrzehnte nicht nachlassenden Qualitätsanspruch“, so die aus Walter Famler, Angelika Klammer und Ernst Strouhal bestehende Jury über die Entscheidung für Rosenstrauch. Die Verleihung wird im November stattfinden. Hedwig Brenner wurde am 1. März 2012 vom deutschen Botschafter in Haifa das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland überreicht. Und der österreichische Bundespräsident, Dr. Heinz Fischer, konnte ihr im Februar 2012 mitteilen, daß er ihr das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen habe. Wir gratulieren. Mai2012 5