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Veronika Seyr . Der mysteriöse Fall Slomovic Ambroise Vollard hat als Sammler, Händler und Verleger der Impressionisten in der Kunstwelt einen klingenden Namen. Er war der erste, der den noch unbekannten Künstlern Bilder abkaufte und ausstellte, oft nur für einen Bissen Brot, wie man ihm nachsagt. Nach den ersten Einzelausstellungen 1898 fiir Cézanne, 1901 für Picasso und 1904 für Matisse stiegen die Preise für die Maler um 100 Prozent und machten auch Vollard schnell zu einem vermögenden Mann. In den ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hielt dieser geschickte Händler die größte Anzahl von Degas, Renoirs, Monets, Manets, Bonnards, Utrillos, Gauguins, Derains, Mondrians, Pissarros, Corinths, Van Goghs und Picassos in seinem Besitz. Wer erinnert sich aber noch an seinen Compagnon und Freund Erich $lomovie? Wenn überhaupt, taucht er höchstens als Fußnote zur Vollard-Biographie auf. Und er wäre vielleicht vollständig der Vergessenheit anheim gefallen, wäre da nicht im Juli 1996 vor dem 1. Belgrader Bezirksgericht ein Nachlassverfahren in der Sache Slomovid über die Bühne gegangen, dessen Augenzeugin die Verfasserin war. Die 30 aus Israel klagenden Nachkommen der verst. Slomovié, Erich, Bernard, Roza und Egon, forderten von Serbien 330 Kunstwerke zuriick, die sich seit 1945 im Belgrader Nationalmuseum befinden. Wer war dieser dieser Erich Slomovié, und wie kam er zu seinem Kunstschatz? 1915 im ostslawonischen Städtchen Vinkovci, im ungarischen Teil des k.u.k.-Imperiums in der Familie eines jüdischen Kaufmanns geboren, wächst er in einem liberalen Klima mit Hauslehrern für Deutsch, Französisch und Englisch auf, das Serbokroatische und Ungarische der multiethnischen Umgebung kommen wie von selbst dazu. Schon als 13jähriger stößt er in einer Belgrader Buchhandlung auf Kunstdrucke der französischen Avantgarde aus dem Verlag Ambroise Vollard, Paris, 6 Rue Lafitte, 1919. Er ist elektrisiert und vom Renoir-Blitz getroffen: schöne, wenig bekleidete junge Mädchen, tanzend, badend, sich sonnend, anfangs sicher nur Phantasievorlagen für einen pubertierenden Jungen. Aber eine Idee fixe lässt ihn nicht mehr los: Er will dort hin, dort muss er hin! Mit 20 hängt er das ungeliebte Chemiestudium an den Nagel und macht sich auf nach Paris, meist zu Fuß, bettelnd und hungernd. In seinem Kopf hatte sich ein Traum festgesetzt: die moderne Kunst nach Belgrad zu bringen und ein Museum dafür zu gründen. Er sucht die kleine Galerie in der Rue Lafitte 6 auf, Vollard lebt aber jetzt schon in der Rue de Martingnac 28. Zur Überraschung aller, nimmt er den 20jährigen Kunstlaien mit dem delikaten Aussehen eines Rudolph Valentino sofort unter seine Fittiche, ob in einem Vater-Sohn-Verhältnis oder als Liebhaber, darüber scheiden sich bis heute die Geister. Auch in der überaus detailreichen Autobiographie Vollards „Recollections of a Picture Dealer“, 1936, kommt Slomovié nicht vor. Fest steht, dass der 70jährige Vollard ihm ungewöhnlich viel Vertrauen entgegenbringt; er macht ihn zu seinem Privatsekretär, empfiehlt ihn bei allen seinen großen Freunden und „überlässt“ ihm an die 600 Werke seiner Avantgardisten-Sammlung — ob als Geschenk, Handelsware, Wanderausstellung oder Diebsgut, alle Varianten sind bis heute nur Spekulationen, die sich wahrscheinlich nicht mehr klären lassen. 6 _ ZWISCHENWELT Als Ambroise Vollard 1939 bei einem Autounfall in Versailles — was für ein Ort für einen Tod! - stirbt, erschlagen — was für ein Tod für einen Kunstnarren! — von einer massiven MaillolFrauenskulptur im Fond seines Packards, deponiert Slomovid rund 190 Werke in einem Schließfach der Societe Generale in Paris unter dem Namen seines Vaters Bernard. Heillos verwirrend und endgültig düster wird es bei der Rolle von Vollards Bruder Lucien bei der Aufteilung des Besitzes sowie wie der des korsischen Mafioso und Strichjungen Martin Fabiani, der sich damals in den Pariser Kiinstlerkreisen herumtreibt. Eindeutig gesichert ist sein Unwesen als Nazi-Kollaborateur, der wegen seiner Kokainsucht immer Geld braucht und erpressbar ist. Es gibt sogar Stimmen, der Unfall Vollards sei in Wirklichkeit ein Komplott Fabianis gewesen. Der Fall wurde nie untersucht, und es kam zu keiner Anklage. Alles ist eingehiillt in die Nebel des Krieges, und es gibt keine lebenden Augenzeugen. Slomovié packt nun rund 400 Gemälde in vier Metallkisten und die Zeichnungen in einen Metallzylinder, die er mit Hilfe der jugoslawischen Botschaft nach Belgrad bringen lässt. Auf der Odyssee von Paris auf den Balkan soll Slomovié seinen Schatz auch dem Wiener Kunsthistorischen Museum angeboten haben, wenn es dafür ein neues Museum errichte. Er versucht beim serbischen Regenten Pavle Karadjordjevic Interesse zu wecken und lädt den Architekten Le Corbusier, den er bei Vollard kennengelernt hat, nach Belgrad ein. Pavle gilt als kunstsinniger Sammler mit einem eigenen kleinen Museum, ist aber Antisemit genug, dass er Slomoviés Angebot mit der Bemerkung ausschlägt: „Unser Königreich ist zwar heruntergekommenen, aber doch nicht so heruntergekommen, dass uns ein Itzig aus der Provinz [civutin sa Dorcola] französische Malerei beibringt.“ Aus alten Zeitungsberichten geht hervor, dass es Slomovié noch Ende 1940 gelang, in Eigeninitiative eine Schau einiger seiner Meisterwerke in Zagreb zu organisieren. Aber es ist schon alles schon zu spät, für Mensch und Kunst: Österreich und die Tschechoslowakei sind besetzt, Polen ist überfallen, Frankreich bedroht, und im April 1941 bombt Hitler das königliche Jugoslawien in Stücke. Slomovid sucht für sich, seine Familie und seinen Schatz ein Versteck und findet es im mittelserbischen Dorf Bacina bei Warwarin. In einem Bauernhaus mauert er die fünf Cases hinter einer Doppelwand ein. Erich hofft, in der Abgeschiedenheit des Kuhdorfes mit seinen Eltern Bernard und Roza und seinem Bruder Egon unbemerkt von Wehrmacht und SS den Krieg zu überleben. Ob die Familie 1942 bei einer Partisanen-Vergeltungsaktion von der SS entdeckt oder von den Dörflern verraten wurde, ist bis heute nicht geklärt. Der serbische Schriftsteller Momo Kapor schildert in seinem Roman über $lomovid, „Buch der Klagen“, die Szene so: Als die SS die Dorfbewohner von Bacina in einer Reihe antreten lässt und fragt, wer deutsch verstehe, zeigen die naiven Bauern auf die Slomovics, nicht ahnend, dass die Deutschen daraus schließen, dass das Juden sind. Vater Bernard und die Söhne Erich und Egon werden sofort abtransportiert und sterben in einem Saurer-Vergasungsbus auf der Stecke zwischen dem Belgrader KZ am Sajmiste und Jajinci am Stadtrand — so wie fast alle der 60.000 jugoslawischen Juden.