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Straße, Wien-Brigittenau. Foto: A. Emanuely — waren größer und dicker als die anderen, profanen Bücher und wirkten wie Requisiten aus einem Fantasyfilm. Die Umschläge der Abhandlungen von Abhandlungen waren mit goldener Schrift bedruckt, und um mir verständlich zu machen, was sie an diesen Büchern fand, verglich Meital deren Inhalt mit Gedichten von Paul Eluard. Allein für diesen Vergleich musste ich sie bewundern, auch wenn er auf vehementen Widerspruch in der kommunistischen Partei Frankreichs und in der Chabad-Anhängerschaft gestoßen wäre. „Als ich bei Carolyn Carlson studiert habe, da haben wir auch für /&prit du bleu geprobt. Wie blau die Erde doch sein kann, so blau wie eine Orange...“ ? womit wir wieder in der Welt des Tanzes waren. Im Grunde, meinte Meital, ging es, ob in Crown Heights im Brookliner Stetl oder ob am Carrefour Vavin im wilden Paris der 1920er Jahre, doch nur um die Frage nach dem Glück, nach dem guten Leben. Ob Schriftsteller oder Schriftgelehrte, ob Eluard oder Schneur Salman, sie haben alle gegen die ungenießbare Realität und für eine bessere Welt zwischen den Träumen gerungen. Ich wusste zwar nicht, wer Schneur Salman war, Meital klärte mich jedoch gleich auf. „Weißt du, früher dachte ich, dass es auch auf der Bühne um so was geht... vielleicht denke ich es heute auch noch manchmal, vor allem wenn ich an Carolyn denke... Aber eigentlich, nein... auf der Bühne geht es um gar nichts, außer um irgendwen, der sich dank meines Körpers und meines Könnens wichtig machen darf... Eine bessere Welt? Schau dir doch die Leute im Theater an, die Zuschauer, die könnten genauso gut in eine Freakshow gehen... Was wollen die überhaupt, ich verstehe das alles nicht mehr!“ Shelly hatte zwei kleine Kinder, mit denen spielte Meital, wenn nicht gerade die Halacha studiert wurde. Meital erzählte mir immer und immer wieder, wie glücklich sie die beiden Kinder machten, 20 ZWISCHENWELT wie schr sich diese über ihr Kommen freuten, schon ungeduldig am Fenster warteten und Meitals Namen riefen, wenn sie, endlich um die Ecke gebogen, die Leopoldsgasse herauf geschlendert kam. In Shellys Kindern sah Meital immer die eigenen, die vielleicht einmal noch kämen, nach denen sie sich sehnte, und die sie dann erziehen wollte, mit dem richtigen Mann, fernab aller „Freakshows“, fernab all dieser Existenzfragen, die sie immer häufiger quälten. Einmal hat mir Meital aufihrem Laptop einen Film von Shellys Hochzeit gezeigt, die vor fünf Jahren stattgefunden hatte und genauso vor hundert Jahren stattgefunden hätte können, eine traditionelle Hochzeit der Wiener Chabad Gemeinde, eine Hochzeit, wie sie sich auch Meital für sich wünschte. Das war ihre Art, mir zu zeigen, dass ich nicht der richtige Mann für ihren neuen Iraum war. Diesem neuen Traum versperrten etliche andere Wünsche und Träume den Weg. Auch ich war eigentlich so eine Hürde. „Hätten wir uns doch vor zehn Jahren kennen gelernt!“ sagte sie mir dann, wenn ihr bewusst wurde, dass ich eher ein Mann für das Frühere gewesen wäre, für das Leben im Tanz, das Leben auf der Bühne. Jetzt versuchte Meital in beiden Welten zu existieren, das Gleichgewicht zu halten auf dem Seil ihrer vielen Zweifel und Überlegungen. Nur wurde dieses Balancieren immer unerträglicher. „In Israel wäre das viel einfacher, da gibt es viele, die so wie ich... eigentlich balancieren dort alle. Aber hier in Wien, da starren dich alle an, als ob du schizophren wärst. Im Theater glauben sie, ich spinne, und Shelly glaubt manchmal, ich meine es nicht ernst... Ach, essen wir die Suppe!“ Die Suppe... sie wurde nach einem Rezept von Meitals syrischer Mutter gekocht, das ein oder andere Mal aber nach jenem der polnischen Großmutter väterlicherseits. Manchmal gab es Kochexperimente, dann konnte man einen stillen Wüstensee mit kleinen Pfefferinseln schmecken oder eine Ursuppe mit Felsen aus Fell... Hauptsache die Suppe schimmerte Gold und schmeckte. Aber wenn sie jetzt aufhört zu tanzen, Tänzerin zu sein, waren dann nicht all diese Jahre, Jahrzehnte der Mühe vergebens gewesen? Angefangen mit der Kindheit und Jugend im täglichen Unterricht beim strengen Ballettlehrer in Tel Aviv, einst Star der Kiewer Oper, alte russische Schule, jene, wo die kleine Peitsche schnalzt, wenn Worte nicht zum schrittabfolgenden Ziel führen... Bald begriff sie damals, dass das klassische Ballett mit seinen Hieben nichts für sie war, fand für sich neue Wege und hatte sich für eine klassische Form des modernen Tanzes entschieden. Nach ihrem Militärdienst folgten unzählige Off- und Offoff-Produktionen, kleine Projekte auf noch kleineren Bühnen, folgte viele Arbeit und wenig Ruhm. Übrigens Geld gab es auch nur selten und es wurde übergeben - als große Gabe und nicht als verdienter Lohn. Von Tel Aviv ging es nach Paris, in das unerschwingliche und schön große Paris. Dort hatte sie die Meisterklasse der großen Carolyn Carlson in der Cartoucherie besucht. Mitten in der chemaligen Waffenffabrik im Bois de Vincennes, jenem Park, in dem ich selbst als kleines Kind schon auf die alten Bäume geklettert war, musste sie dann ihre erste große Katastrophe erleben. Cartoucherie, Catastrophe, eine „ca-ca“ Zeit, und beschissen waren die Jahre wirklich. Doch das liegt alles weit zurück, zehn, eigentlich hundert Jahre. Hauptsache Paris. Und Paris war Alon, war die große Liebe... Meitals „Du hast übrigens die gleichen Augen wie er“ hörte ich gerne... Paris war Vernachlässigen des Tanzes, Streit mit der Tanzmeisterin, Abgang von der Cartoucherie, Trennung von Alon...