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Während in Österreich Frauenministerin Heinisch-Hosek in ihrer Forderung nach einer bundesweit einheitlichen Regelung auch gleich die Abschaffung der Sittenwidrigkeit fordert”? - ohne im Gegenzug Prostitution als Gewalt gegen Frauen und Verstoß gegen die Menschenwürde festzuschreiben —, war die französische Enquete der Parlamentarischen Kommission im April 2011 in ihrem knapp 400 Seiten starken Bericht zu anderen Erkenntnissen gekommen.?! Neben der Situation in Frankreich wurden auch die Auswirkungen der verschiedenen Prostitutionsregelungen in Belgien, den Niederlanden, Schweden und Spanien beleuchtet. Über 200 Personen wurden zur Anhörung gebeten, von Prostituierten über JuristInnen, VertreterInnen der Prostituierten-“Gewerkschaft“, PolitikerInnen, ExpertInnen von Hilfsorganisationen bis zu PolizistInnen. Die Fakten, so dieam 13.4.2011 präsentierte Enqu£te, widersprechen der angeblichen sozialen Nützlichkeit und Notwendigkeit der Prostitution: „Das Gegenteil ist der Fall: Wird die Prostitution akzeptiert, steigt der sexuelle Druck.“ Mit Blick auf die Nachbarstaaten wird festgestellt: „Überall dort, wo die Prostitution liberalisiert wurde, ist der Menschenhandel im vergangen Jahrzehnt explodiert.“ 30 Forderungen werden aufgelistet, darunter: Die Bestrafung der Freier mit bis zu 3.000 Euro oder einem halben Jahr Gefängnis, Aufenthalts- und Eingliederungsmaßnahmen für Opfer von Menschenhandel, Abschaffung jeglicher Strafen gegen Prostituierte, Sensibilisierung der Kinder ab der Grundschule für die Gleichstellung der Geschlechter, die Erforschung der Auswirkungen von Pornografie auf das Frauenbild von Jugendlichen. Die Kommission kritisiert, dass sich der Staat aus seiner Verantwortung geschlichen habe, was die Ausstiegshilfen für Prostituierte anlangt.”” Die Zahl der Prostituierten wird in Frankreich auf 20.000 geschätzt (allein in Amsterdam sind es 30.000, in Deutschland 400.000), davon 85% Frauen, davon 90% aus dem Ausland, vor allem aus Rumänien, Bulgarien, der Ukraine, Nigeria, seit kurzem ist auch eine asiatische Prostitution entstanden. Der Großteil wird über Menschenhändlerringe rekrutiert. Noch vor 30 Jahren waren 80% der Prostituierten Französinnen.” „Der Menschenhandel zwang die Parteien sich zu positionieren“, so die französische Rechtsanwältin und Aktivistin von Osez le föminisme (Wagen wir den Feminismus), Iris Naud. Sie ist überzeugt, es sei der ehemaligen Prostituierten Marthe Richard zu verdanken, dass Frankreich nie ernsthaft eine Transformation der Zuhälter in Businessmen andachte. Die Französin Marthe, als junges Mädchen von zu Hause weggelaufen, war über die Bekanntschaft mit einem „Bildhauer“ in die Prostitution gekommen, später arbeitete sie in den Soldatenbordellen von Nancy, mit bis zu 50 Männern pro Nacht. Schr bald wurde sie krank. Sie hatte Glück, ein Mann kaufte sie frei. Als spätere Gemeinderatsabgeordnete galt ihr Kampf der Abschaffung der Prostitution. Sie zeichnete maßgeblich verantwortlich für das Gesetz Loi Marthe Richard von 1946, durch das in ganz Frankreich alle Bordelle, damals um die 1400, abgeschafft wurden. Für Zuhälterei in besonders schweren Fällen beträgt die Höchststrafe lebenslänglich. Gegen das schwedische Modell werden gerne religiös-sittliche Unterstellungen ins Feld geführt. So wurde bei einem internationalen Hearing der grünen EU-Fraktion im Februar 2003 in Brüssel gespottet: In den 1950er und 60er Jahren sei Schweden für Niederländer das Land der „sexuellen Freiheit und Gleichheit“ gewesen, aber inzwischen seien die Schweden ja „prüde und puritanisch“ geworden.” In einem kürzlich veröffentlichten Standard-Artikel wird das Modell „schwedisch-protestantisch“ genannt. Dabei existieren gerade in Skandinavien besonders viele konfessionslose 36 ZWISCHENWELT human-ethische Vereinigungen und bezeichnen sich Menschen offen als AtheistInnen, etwas, das in Österreich oder Deutschland nicht in jeder beruflichen Situation ratsam ist, und hat Frankreich, so Iris Naud, „den weltweit höchsten Anteil an AtheistInnen“.* Seit 1905 sind in Frankreich Staat und Kirche strikt getrennt. 2000 und 2001 hatten die Niederlande und Deutschland die Sexindustrie liberalisiert und damit dem Menschenhandel — zu 80% Frauen- und Madchenhandel, davon zu 92% zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung — einen neuen Schub gegeben: Zuhälterei war nun nicht mehr strafbar. Im Windschatten der Legalität konnte die organisierte Kriminalität neues Terrain erobern: Mit der Legalisierung der Prostitution ging ihre Normalisierung einher, zusätzlich heizte aggressive Werbung die Nachfrage an, unterstützt vom Boom der Pornographie im Internet. Neue Ansprüche und Bedürfnisse entstehen am laufenden Band. „Es ist ganz normal“, sagte mir eine ehemalige Prostituierte, „was sie im Porno gesehen haben, wollen sie auch ausprobieren.“ Das Begehren richtet sich dabei auf „neue Ware“ — eine der Hauptgründe für den Handel mit Frauen. Selbst wenn ein Land genügend „selbstbestimmte Sexarbeiterinnen“ hätte, würde der Markt — die Kunden — nach „neuen Mädchen“ verlangen. „Ich heiße Nina, ich bin niegelnagelneu“*®, das waren die Worte, die die minderjährige Nina aus Rumänien im Wiener Edelpuff Babylon sagen konnte. Sie war eine der zahlreichen Mädchen, die eine rumänische Modelagentur in europäische Bordelle lieferte - den Mädchen waren Fotoshootings oder Modeevents versprochen worden. Nun ermittelt in Rumänien die Justiz, ranghohe Politiker sollen verwickelt sein. In Wien wiederum sind ranghohe Politiker, „hochangeschene Mariazellpilger“, Freier des Edelbordells Babylon, wie mir eine Frau sagte, die um die Ecke wohnt. Die Rendite mit Menschen ist besonders hoch - im Unterschied zu Drogen können sie immer wieder neu verkauft werden. In den letzten Jahren stieg der Handel mit Frauen und Kindern aus Bulgarien und Rumänien, Roma trifft es am stärksten. Die Strategien der Händler reichen von brutaler Entführung über Täuschung, dem Aufbau emotionaler Beziehungen („Loverboy-Methode“) bis zum „gewaltlosen“ Ausnützen besonderer Hilflosigkeit.” „Taxifahrer zum Beispiel, wenn sie ein Mädchen schen, das alleine ist und weint, offensichtlich nicht weiß, wohin es soll, dann fragen sie es. Irgendwann geht sie mit.“” Nicht selten finden sich Handler — zunehmend auch Händlerinnen — im Bekannten- und Familienkreis. Eine ukrainische Freundin sagt mir: „Die Leute, wenn du Probleme hast, stürzen sich gerade dann auf dich, wie die Geier.“ Der kanadische Soziologe Paul Poulin sieht zwischen Neoliberalismus und Sexindustrie eine ursächliche Verbindung: Im Neoliberalismus wird der Markt als eine Ansammlung gleich starker Individuen gesehen. Der Staat hat sich dem Markt zu unterwerfen und nur dessen Rahmenbedingungen zu sichern. Millionen Menschen werden in die Armut geworfen, indem strukturelle Ungleichheiten, Rassismus und Sexismus ideologisch ausgeblendet und gleichzeitig wirtschaftlich vermarket werden. In einer patriarchalen Welt — Manner besitzen noch immer 99% des weltweiten Vermögens - sind Frauen und Kinder die schwächsten Glieder der Gesellschaft. Die Sexindustrie verwertet arme Frauen und Kinder und bietet sie am globalisierten Markt zum Kaufan. Das Schlagwort ist stets die individuelle Freiheit. So untermauert die Sexindustrie ihre Forderung nach der Anerkennung von Prostitution als Gewerbe mit dem „Selbstbestimmungsrecht“ der Frau. Zur größten