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durch die Erlebtes erst schr spät mitgeteilt werden kann, höchst problematisch ist. Aufgrund der Verpflichtung zur Umsetzung europarechtlicher Vorgaben wurde zudem mit den Bestimmungen zur Grundversorgung erstmals ein Rechtsanspruch aufGewährung elementarer Versorgungsleistungen geschaffen. Als weiterer größerer Einschnitt ist die Abschaffung des Botschaftsverfahrens auszumachen. In Kombination mit hochtechnisierten Grenzkontrollen und rigorosen Visapolitiken — Stichwort Festung Europa — gibt es damit keinerlei „legale“ Möglichkeit mehr für Menschen, die Schutz vor Verfolgung suchen, nach Österreich zu gelangen. Damit werden Asylsuchende nicht nur in die Abhängigkeit von SchlepperInnen getrieben. Die faktischen Hürden, nach Europa zu kommen, werden so hoch, dass viele Menschen auf der Flucht sterben. Sie erklären teils auch, warum die ohnedies geringe Anzahl an Frauen, die Asylanträge stellen, immer stärker im Sinken begriffen ist.'* Während das Asylrecht vor allem bis zur Wirtschaftskrise der 1970er Jahre noch eine geringere Bedeutung hatte, da es bei guter Konjunktur oft möglich war, über den Arbeitsmarkt in Österreich zu bleiben, ist Asyl mittlerweile fast zur einzigen Möglichkeit geworden, ein Recht auf Aufenthalt in Österreich zu erlangen. 2005 wurden Asylrecht und Aufenthaltsrecht schließlich nahezu vollständig getrennt. Auch nach langjähriger Dauer des Asylverfahrens gibt es nur in Ausnahmefällen für Asylsuchende die Möglichkeit, über das Aufenthaltsrecht in Österreich bleiben zu können. Als bislang stärkster verfahrensrechtlicher Einschnitt ist schließlich 2008 die Abschaffung des Zugangs zum Verwaltungsgerichtshofzu schen", an der sich insbesondere auch das Problem zeigt, dass die österreichische Verfassung- im Gegensatz zum Bonner Grundgesetz, in das 1949 ein mittlerweile allerdings wieder stark reduziertes Recht auf Asyl aufgenommen wurde - kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Asyl kennt. Der Rechtsschutz ist nunmehr stark beschränkt, die Qualität der Entscheidungen des „Asylgerichtshofs“ kann in vielerlei Hinsicht nicht mit der des Verwaltungsgerichtshofes mithalten. Damit wurde die Effektivität des Anspruchs auf internationalen Schutz maßgeblich geschwächt. Das zuletzt verabschiedete Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 brachteerneutein Bündel an Restriktionen mitsich, an deren vorderster Stelle die Einführung einer euphemistisch „Mitwirkungspflicht“ genannten De-Facto-Haft zu Beginn des Asylverfahrens steht. Die Genfer Flüchtlingskonvention steht nach wie vor im Zentrum des Flüchtlingsschutzes in Österreich. Der Schutz ist allerdings in vieler Hinsicht ausgehöhlt worden. Mit seiner restriktiven Praxis und Gesetzgebungist Österreich zwar heute nicht alleine in Europa, nimmt jedoch in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle ein, so etwa mit einem Vorschlag zu einem Strategiepapier im Rahmen der österreichischen Ratspräsidentschaft 1998, den individuellen Anspruch auf Asyl abzuschaffen. Spezifisch für Österreich ist darüber hinaus die Flut an Gesetzesänderungen, die oft aufvermeintlichen politischen Druck hin oder als Reaktion auf die Rechtsprechung mehrmals im Jahr Neuerungen bringt. Kombiniert mit schlechter Legistik, die auch ExpertInnen das Verständnis des Asylrechts mitunter verunmöglicht, handelt es sich heute beim Asylrecht um eine hochkomplexe Materie, der Schutzsuchende oft hilflos gegenüberstehen. Joachim Stern ist Universitätsassistent am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien und Mitherausgeber der Zeitschrift „juridikum“ Anmerkungen 1 BGBl 1955/55. 2 Vgl. bloß Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft (2000 [1951]). 3 Bundesgesetz über die zeitweilige Beschränkung der Beschäftigung ausländischer Arbeiter und Angestellter (Inlandarbeiterschutzgesetz), BGBl 1925/457. 4 Gerard Noiriel: Die Tyrannei des Nationalen. Sozialgeschichte des Asylrechts in Europa (1994), 89. 5 Siehe ausführlich G. Noiriel, wie oben, 101ff. 6 Siehe dazu umfassend etwa Nehemiah Robinson: Convention Relating to the Status of Refugees. Its History, Contents and Interpretation (1953 [1997]); Ulrike Davy: Asyl und internationales Flüchtlingsrecht I - Völkerrechtlicher Rahmen (1996). 7 Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich, wodurch die Ausländerpolizeiverordnung vom 22. August 1938 bekanntgemacht wird, Gesetzblatt für das Land Österreich (GBIFLÖ) 1938/379. 8 Pfundtner-Neubert, Das neue deutsche Reichsrecht, Loseblattsammlung; zit nach Eugene Richard Sensenig-Dabbous: Von Metternich bis EU Beitritt. Reichsfremde, Staatsfremde und Drittausländer. Immigration und Einwanderungspolitik in Österreich (1998), 422. www.ndu.edu.lb/lerc/publications/Von_Metternich_bis_EU_Beitritt. pdf (30.6.2011). 9 Verordnung über die Behandlung von Ausländern vom 5. September 1939, GBIFLÖ 1939/1134. 10 Siehe zu diesen Folgen, die bis in die heutige Zeit reichen Joachim Stern: „... nicht für die Rechtsbereinigung geeignet“. In: juridikum 2000, 197. 11 Bundesgesetz vom 20. Juni 1951, womit die Ausländerpolizeiverordnung ergänzt wird, BGBl 1951/139. 12 Bundesgesetz vom 17. März 1954, betreffend die Ausübung der Fremdenpolizei (Fremdenpolizeigesetz), BGBl 1954/75. 13 Siehe zur Entwicklung im Detail Rosmarie Doblhoff-Dier, Clemens Kaupa, Katrin McGauran, Joachim Stern: Legal Timelines on Migration, in: Initiative Minderheiten (Hg.): Viel Glück! Migration Heute (2010), 193ff. 14 Siehe zur Position von Frauen im Asylverfahren jüngst umfassend Anna Wildt: Frauen im Asylrecht. Begriffsbestimmungen. Fluchtgründe. Judikatur (2010). 15 Vgl dazu etwa Ronald Frühwirth: Asylgerichtshof revisited, juridikum 2009, 59. Mai2012 43