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Friedrun Huemer Flucht und Trauma in der Gegenwart Zuerst möchte ich mich für die Einladung bedanken, hier in diesem Rahmen über die aktuelle Situation von Flüchtlingsfrauen mit Trauma- und Foltererfahrungen zu berichten. Während des Zweiten Weltkriegs waren wir Verursacher von Verfolgung, Mord, Folter, Vertreibung und Flucht von vielen Millionen Menschen. Heute ist es unsere Aufgabe, Menschen auf der Flucht vor Verfolgung zu unterstützen und ihnen Schutz zu gewähren. Österreich und Europa kommen dieser Verpflichtung nur schr unzureichend nach, die Zahlen der Schutzsuchenden hier sind vergleichsweise marginal, denken wir zum Beispiel an Länder in Afrika, die ganz anders gefordert sind. Man würde gern glauben, dass Österreich und Europa aus der Geschichte des Holocaust gelernt haben und für die Lage von Flüchtlingen Verständnis haben. Aber so einfach ist das leider nicht. Ich arbeite seit sieben Jahren bei Hemayat, einem Betreuungszentrum für Folterüberlebende, als Psychologin und Psychotherapeutin. Hemayat ist Teil eines weltweiten Netzwerks, das sich der Opfer politischer, ethnischer und religiöser Verfolgung annimmt. „Wer der Folter erlag, kann in der Welt nicht mehr heimisch werden“, schrieb Jean Amery (Jenseits von Schuld und Sühne, 1988). Er hatte im Zweiten Weltkrieg als Jude in Belgien im Widerstand gegen die Nazis gekämpft, wurde verhaftet und gefoltert. Schließlich brachte man ihn nach Auschwitz. Er hat überlebt. Amery hat seinen Überlebenskampf nach der Befreiung sehr genau beschrieben und dabei allgemein gültige Erkenntnisse über die psychischen Verletzungen durch Folter zu Papier gebracht. Aber geholfen hat ihm das nicht. Jahre später hat er seinem Leben ein Ende gesetzt. Ich möchte mit einem allgemeinen Teil über Trauma und Folter beginnen, dann auf die für Frauen relevanten Spezifika eingehen und schließlich einen Zusammenhang mit den Auswirkungen des Asylverfahrens in Österreich herstellen. Was passiert mit einem Menschen, wenn er Folter erleidet oder wenn er zuschen muss, während andere gefoltert werden? Bei Folter und Misshandlungen spricht man von man made desasters. Sie werden psychisch immer als besonders schwerwiegend erlebt, weil siean der menschlichen Existenz rütteln. Folter ist für die Überlebenden die wohl folgenreichste gewaltsame Menschenrechtsverletzung. Die Häufigkeit der posttraumatischen Belastungserkrankungen liegt bei Folteropfern bei nahezu 100%. Meist handelt essich nicht um ein einzelnes Schockerlebnis, sondern eine ganze Kette von Ereignissen, die auch in Österreich nicht ihr Ende finden. Der Erfahrung von Folter und (Bürger-)Krieg gehen schr oft Diskriminierung und Verfolgung wegen ethnischer, religiöser Zugehörigkeit oder wegen politisch-oppositionellem Engagement voraus. Die Flucht aus dem Heimatland muss meist überstürzt und ohne Abschied angetreten werden. Um nach Europa zu gelangen, riskieren viele Flüchtlinge ihr Leben. Der Ausdruck Trauma bedeutet im Griechischen „Wunde“ und bezeichnet in der Medizin eine Verletzung oder Schädigung des Körpers. Psychisch bedeutet Trauma das Erleben eines Ereignisses, dem sich der Mensch schutzlos und hilflos ausgeliefert fühlt. Die traumatische Situation geht mit intensiver Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen einher. Es ist die Erfahrung von Todesbedrohung, 44 ZWISCHENWELT Lebensgefahr, schwerer Körperverletzung, begleitet von Ohnmachtsgefühlen des Ausgeliefertseins und der Entwürdigung. Es entsteht eine dauerhafte Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses. Nichts ist mehr wie vorher. Die normalen Abwehrmechanismen sind überfordert und außer Kraft gesetzt. Die psychische Erkrankung danach, die posttraumatische Belastungsstörung, ist eine protrahierte Reaktion, die sich oft erst Monate später manifestiert. Drei zentrale Symptomgruppen charakterisieren diese Erkrankung: * Intrusives, aufdringliches Wiedererleben des Horrors, emotional und kognitiv. Betroffene Menschen leiden an einem andauernden Wiedererleben der traumatischen Ereignisse, in Bildern und Gedanken, in Albträumen oder im Handeln und Fühlen, als ob das traumatische Ereignis sich aktuell wiederholen würde. Reize, die Aspekte des ursprünglichen Traumas symbolisieren oder daran erinnern, können dieses Wiedererleben auslösen: zellenähnliche Räume, Anblick von Uniformen, verhörähnliche Befragungen, oft kleine, unbedeutend scheinende Ereignisse bewirken dramatische Erinnerungsschübe. * Deshalb ist das Bemühen, Situationen oder Reize, die dem ursprünglichen traumatischen Erlebnis ähneln oder mit diesem assoziiert sind, zu vermeiden, schr ausgeprägt. ° Eine andauernde Übererregung, die vor dem Trauma nicht bestand: Dies drückt sich in Reizbarkeit und Wutausbrüchen, in Schlaf- und Konzentrationsstörungen aus. Die folgenden Auszüge aus Fallgeschichten sollen einige Merkmale der Folgen einer schweren Traumatisierung klarer darstellen. Die Erlebnisberichte sind anonymisiert, Ähnlichkeiten zufällig. Durchschlafstörungen/Albträume: * Frau A. gibt an, es sei ihr nicht möglich, im Dunkeln einzuschlafen. Sie schlafe immer bei Licht, vollständig bekleidet, weil sie Angst habe, dass jemand komme. Sie sei einmal um 4.00 Uhr früh verhaftet worden und habe auch hier in Österreich immer noch Angst, in der Nacht abgeholt zu werden. Sie träume von maskierten Männern, von der Folter, zerbombten Gebäuden und weinenden Menschen. Aus den Träumen wache sie vollkommen verschwitzt und zitternd auf. © Frau K. beschreibt, sie habe Schwierigkeiten einzuschlafen, sie habe Albträume in der Nacht und wache schreiend auf: Dann würden die Kinder mitschreien, und alle müssten sich an der Hand halten, um sich zu beruhigen. Flashbacks und sich aufdrängende Erinnerungen: « Herr T! beschreibt, immer wenn er über die Ereignisse sprechen müsse, dann wisse er zuerst nicht, ob er träume, und dann fühle es sich so an, als fände es in diesem Augenblick wieder statt. Er höre auch die Stimmen seiner Eltern in der Haft, er höre das Schreien seiner Mutter, obwohl keine Stimmen da seien. ° Frau C. gibt an, alles zu versuchen, um diese Erinnerungen nicht aufkommen zu lassen. Trotzdem würden sich die Erinnerungen an die Vergewaltigung ständig aufdrängen. Wenn die Erinnerung an diese Männer in ihrem Kopf sei, dann müsse sie duschen gehen.