OCR
Zugegeben, die Aufgabe der Asylbeamten und Richter ist schwietig. Aber da es fiir die Betroffenen um sehr viel — oft um Leben und Tod- geht, wäre es wichtig, dass die Beamten sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Asylbeamte sind nicht entsprechend geschult und wissen über die Auswirkungen schwerer Traumatisierungen nicht ausreichend Bescheid. Sie sind vermutlich von dem berichteten Horror selber oft überfordert, wollen die Berichte nicht glauben, verdrängen, was sie nicht wahrhaben wollen. Ein gutes Setting mit gezielter Ausbildung und Supervision für die Beamten wäre sinnvoll und gerechter. Angebote von Hemayat, Wissen über die Folgen von schweren Traumatisierungen mit in diesem Bereich tätigen Beamten zu erarbeiten, blieben bis jetzt ungehört und unbeantwortet, obwohl das ein Beitrag zur Wahrheitsfindung sein könnte. Ob esbei den Befragungen geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, kann ich nicht beantworten, wohl aber gibt es ein Genderproblem, das in letzter Zeit meistens berücksichtigt wird: Frauen werden, wenn sie es wünschen, von weiblichen Beamten und Dolmetscherinnen befragt. Verfolgung, Gewalt, Folter, Flucht und Trauma haben auch eine politische Dimension. Für die Heilung ist der Faktor Gerechtigkeit eine sehr wichtige Dimension. Wir wissen aus der Vergangenheit, dass Restitution nicht nur eine Frage des Rechts ist, sondern es geht auch um die gesellschaftliche und politische Anerkennung des Verbrechens als das, was es ist: ein Unrecht. Und so ist es auch im Asylverfahren: Wenn das Asylgericht zum Schluss kommt, dass es keine Verfolgung gegeben hat, dass der Asylwerber sich die Folterverletzungen womöglich selber zugefügt haben könnte und die Narben vielleicht ganzandere Ursachen haben, dann geschieht die psychische Verletzung noch einmal. Traude Bollauf Wie das Leben Erinnerungen formt Schwere posttraumatische Belastungsstörungen sind psychische Erkrankungen, die unbedingt behandelt werden sollten, psychotherapeutisch und psychiatrisch. Der Leidensdruck ist sehr groß, ein normales Leben mit den Symptomen kaum möglich. Es gibt natürlich auch Traumatisierungen, deren Folgen meist rasch abklingen und keiner weiteren Behandlung bedürfen. Aber die man made desasters, ausgelöst durch Verfolgung und Folter, hinterlassen verheerende seelische Wunden, die einer intensiven Behandlung bedürfen. Aus der Traumapsychologie wissen wir, dass einige Faktoren ganz wesentlich sind: zuallererst brauchen die Menschen Sicherheit und Schutz vor weiteren traumatischen Erlebnissen und Bedrohungen. Aber das bekommen Flüchtlinge und Asylwerber meist jahrelang nicht. Um lebenslanges Leiden an den Folgen der Traumatisierungen und darüber hinaus eine Weitergabe des Traumas an die nächste Generation zu vermeiden, muss den Betroffenen so rasch wie möglich Hilfe angeboten werden: ein rasches und gerechtes Asylverfahren, therapeutische Angebote, Aufenthaltssicherheit und ausreichend soziale Unterstützung, die einen Start ins neue Leben ermöglicht — in einer offenen Gesellschaft, die bereit ist, die „Fremden“ aufzunehmen. Frauen sind im Allgemeinen schr bemüht, sich sprachlich, kulturell und sozial zu integrieren, ganz besonders, wenn sie Kinder haben, denen sie ein friedliches Leben ermöglichen wollen. Trotzdem werden die meisten von ihnen ihr Leben lang an einer erhöhten Verletzbarkeit leiden. Friedrun Huemer, Politikerin, Psychotherapeutin, Mitarbeiterin von Hemayat, Engagement in der Menschenrechts- und Ökologiebewegung, Mitbegründerin von SOS Mitmensch. Die Erinnerung formt sich nach den Folgen des Erinnerten; der Phantasie liegt ein stabiles gegenwärtiges Verlangen zugrunde, nämlich: sich einzubilden, was man in der Vergangenheit hätte gewesen sein können, und trotz aller Vorsicht, nur ja nicht Wirklichkeit und Wunsch zu verwechseln, streckt sich das Fragezeichen des Konjunktivs allmählich zum Rufzeichen des Indikativs, so dass das Erinnerte bald alles andere als ein Bild aus der Vergangenheit darstellt, sondern nur noch die Nöte der Gegenwart spiegelt. So beschreibt der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier in seinem groß angelegten Roman „Abendland“, in dessen Zentrum die Lebenserinnerungen eines 95-jährigen Weltbürgers aus Österreich stehen, auf literarische Weise die Relativität der Erinnerung. Auch HistorikerInnen und SozialwissenschafterInnen mussten — bald nachdem sich die erste Euphorie über die in den 1970er Jahren neu erschlossene Quelle „Oral History“, die lebensgeschichtlichen Erzählungen von Zeitzeugen, gelegt hatte — erkennen, dass die Narrative ihrer GesprächspartnerInnen von vielen Umständen beeinflusst sind. Sie mussten sogar feststellen, dass auch sie selbst als InterviewerInnen durch Fragestellungen, 46 ZWISCHENWELT Zwischenbemerkungen, auch durch Körperhaltung und Gesten veränderten, was da wie erzählt oder eben nicht erzählt wurde. Sie mussten einräumen, dass lebensgeschichtliche Erzählungen von ZeitzeugInnen eben nicht wiedergeben, „wie es eigentlich gewesen ist“ (Leopold von Ranke). Die Wissenschaft wählte für die Beschreibung dieses Gegenwartsbezuges der Erinnerung andere Worte, kam aber zu ähnlichen Ergebnissen wie der eingangs zitierte Schriftsteller. So schrieb Gerhard Botz, einer der österreichischen Pioniere der „Oral History“, bereits 1981: Erinnerte persönliche Geschichte ist wohl immer stärker als Ausdruck sozialer Orientierung des Erzählers in seiner jeweiligen Gegenwart zu sehen denn als Widerspiegelung realhistorischer Begebenheiten. Eine Erkenntnis, die Historikerlnnen, die mit „Oral History“ arbeiten, bis heute gerne ihren Werken voranstellen: Vergangenheit ist etwas Verflossenes, nicht wirklich Fixierbares und dennoch immer Präsentes. Ein Versuch, die individuelle Vergangenheit mit dem Instrumentarium der Sprache zu entwerfen, ist demnach immer ein Gegenwartsprodukt, das wiederum sehr schnell zu Vergangenem wird, denn die Gegenwart zerfliefft uns in jedem Moment in das Universum des Gewesenen. Erinnerungsprodukte