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um Auswanderung Bemühten und versprachen, für Hilfe und Gastfreundschaft zu sorgen.” IFFF-Mitglieder in Schweden und England nahmen über hundert tschechoslowakische Flüchtlinge in ihren Häusern auf, und die dänische Sektion brachte mehr als dreihundert jüdische Kinder aus Berlin, Prag und Wien in Bauernfamilien unter.'° Grofen Wert legte die Frauenliga auf Lobbying-Arbeit, um Gesetzesänderungen zugunsten der Aufnahme von Flüchtlingen zu erwirken.'! Die Präsidentin der Internationalen Frauenliga Emily Greene Balch (1867 — 1961) - sie erhielt 1946 den Friedensnobelpreis — veröffentlichte zu diesem Zweck 1938 ihre Schrift „Refugees as Assets“, die weite Verbreitung fand. Auf dem Emergency-Meeting des Internationalen Exekutivkomitees der Frauenliga in Paris im April 1939 berichtete eine Vertreterin aus den USA, dass ihrer eigenen Lobbying-Arbeit jedoch an die dreihundert Organisationen gegenüberstanden, die gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in die USA arbeiteten. Das größte Hindernis für die Bemühungen der Frauenliga-Aktivistinnen blieb die Einwanderungspolitik ihrer Länder, wie durch jene Fälle dokumentiert ist, bei denen Aflıdavits bereits vorlagen, die Flucht vor der Deportation jedoch durch Einwanderungsquoten verhindert worden ist.'” Emigration und Exil von Frauenliga-Aktivistinnen Die deutschen Frauenliga-Aktivistinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, die sich während der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Ausland aufhielten, entschieden sich von dort direkt ins Exil in die Schweiz zu gehen. Obwohl sie als politische Gegnerinnen von Verfolgung bedroht gewesen waren, sprachen sie in ihren Memoiren von „Selbstverbannung“ und betonten damit die Selbstbestimmtheit ihres Handels. Nach der NS-Machtübernahme in Österreich waren die Frauenliga-Aktivistinnen insbesondere um Yella Hertzka besorgt, die als bekannte Frauenrechtlerin und Pazifistin sowie als Jüdin von Verfolgung bedroht war. Emily Greene Balch schickte ihr im Mai 1938 ein Affidavit fiir die USA, ihre bereits 1937 in die USA emigrierte Freundin und Frauenliga-Aktivistin Helene Scheu-Riesz zur selben Zeit ein weiteres von James und Agnes Warbasse, die in der Genossenschaftsbewegung an führender Stelle tätig waren." Yella Hertzka gelang die Abwehr und Flucht vor der Verfolgung schließlich durch eine ungewöhnliche Handlungsweise: Sie nahm durch Heirat mit einem tschechischen Cousin Ende 1938 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft an und nutzte damit die in der damaligen Rechtslage vorgesehene Unbeständigkeit der weiblichen staatsbürgerlichen Zugehörigkeit und die Unbeständigkeit des Nachnamens zum Zwecke eines äußerlichen Identitatswechsels.'* Die Aufhebung der ungleichen Behandlung von Männern und Frauen in Bezug auf ihre staatsbürgerlichen Rechte war eine zentrale Agenda der Internationalen Frauenliga.' Es kann daher davon ausgegangen werden, dass Yella Hertzka die Frauen benachteiligende Rechtslage kannte und den Vorteil, den sie in der Verfolgungssituation daraus ziehen konnte, erkannt hat. Während der Großteil der Juden und Jüdinnen nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz von November 1941 der nationalsozialistischen Zwangsausbürgerung ausgesetzt war'®, könnte Yella Hertzkas Handlung in Anlehnung an den ambivalenten Begriff der „Selbstverbannung“ als „Selbstausbürgerung“ bezeichnet werden. Durch ihre Heirat und Übernahme der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft entging Yella Hertzka knapp 52 ZWISCHENWELT dem Kennkarten-Zwang für Jüdinnen und Juden. Mit der Abwehr der zwangsweisen Aufprägung einer Identität als „Jüdin“ nach den Nürnberger Rassegesetzen fand Yella Hertzka einen Weg, sich im Rahmen des Prinzips der Staatszugehörigkeit zu behaupten, das im Nationalsozialismus an Geltung verlor, und sich im Gegenzug dem rassistischen Prinzip der Volksgemeinschaft, aus der Juden und Jüdinnen gemäß der NS-Ideologie ausgeschlossen waren, zu verweigern. Mit einem zeitlich befristeten Permit, das ihr britische Aktivistinnen besorgt hatten, reiste Yella Hertzka nach Großbritannien und wurde dort von Freundinnen und Freunden aufgenommen. Ihren ursprünglichen Plan, in die USA zu emigrieren, konnte sie jedoch nicht realisieren. Wie jene jüdischen Frauen, die als Hausangestellte Einreisegenehmigungen nach Großbritannien erhielten, begann Yella Hertzka — 1939 war sie allerdings 66 Jahre alt geworden — in Haushalten zu arbeiten. Im Gegensatz zur Mehrheit der jüdischen Exilierten besaß sie dafür jedoch eine berufliche Qualifikation: Vor der Gründung ihrer eigenen Gartenbauschule für Frauen 1913 hatte sie selbst eine derartige Einrichtung in Deutschland besucht und konnte sich daher im Exil als Gärtnerin ihren Lebensunterhalt verdienen. Einerseits berichtete Yella Hertzka wie viele andere Dienstbotinnen von häufigem Arbeitsplatzwechsel — ,,25 times in 5 years“!” — und Gefühlen der Isolation, andererseits pflegte sie regelmäßigen Kontakt zu Vertreterinnen des Britischen Zweiges der Frauenliga. Mit vielen anderen Flüchtlingen teilten Frauenliga-Aktivistinnen die Erfahrung sozialer Deklassierung, eingeschränkter Arbeitsmöglichkeiten und begrenzter Handlungsräume im Exil, sie fanden jedoch durch ihre Identifikation mit der Internationalen Frauenliga, durch die Idee einer internationalen Gemeinschaft und freundschaftliche Beziehungen mit Gleichgesinnten einen starken Rückhalt, wie er für andere Exilierte nicht selbstverständlich war. Für Yella Hertzka, Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg sind keine engen Kontakte zu Flüchtlings-Organisationen ihrer Herkunftsländer nachweisbar. Während sich andere Flüchtlinge vielfach Exil-Organisationen anschlossen, die ihnen zu Unterstützung und einem Gefühl der Gemeinschaft in der Fremde verhalfen, wandten sich Frauenliga-Aktivistinnen vorrangig an Mitglieder der eigenen Organisation. Insofern kann die Identifizierung mit der eigenen Organisation als eine Art Ersatz für die nationale Identität verstanden werden, deren Überwindung erklärtes Ziel der Vordenkerinnen in der Frauenliga war. Für diese Frauenliga-Aktivistinnen hatte sich die Idee einer internationalen Gemeinschaft im Exil als tragfähig erwiesen. Auch Olga Misaf gelang gemeinsam mit ihrem Mann Vladimir Misaf die Flucht nach Großbritannien, nicht jedoch einer weiteren österreichischen Frauenliga-Aktivistin: Helene Rauchberg (1875 —?) wurde 1941 von Wien nach Riga deportiert und überlebte die Shoah nicht. Corinna Oesch, DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (2007), 2007-10 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien.